00: 00:00: Nicht jeder hat so ein Smartphone, das für die App hinreichend modern ist, und warum dann nicht es einfach günstiger machen für Menschen, die die App nutzen wollen?
00: 00:11: Musik.
00: 00:14: Wirtschaft, Forschung, Debatten. Der Podcast des Leibniz-Zentrums für europäische Wirtschaftsforschung.
00: 00:24: Als die deutsche Corona-Warn-App im vergangenen Juni auf den Markt kam, waren damit große Hoffnungen verbunden. Die App sollte helfen, die Kontakte von Infizierten besser nachzuverfolgen, und künftige Lockdowns verhindern. Diese Hoffnungen haben sich bisher leider kaum erfüllt. Warum die App trotzdem eine gute Idee ist und wie man sie verbessern kann, darüber spreche ich jetzt mit Dr. Dominik Rehse. Er leitet die Nachwuchsforschungsgruppe „Design digitaler Märkte“ am ZEW Mannheim und er beschäftigt sich seit dem vergangenen Frühjahr mit der Corona-Warn-App. Mein Name ist Carola Hesch, herzlich willkommen. Hallo Dominik.
00: 00:59: Hallo Carola.
00: 01:01: Fangen wir doch mal ganz grundlegend an. Was ist die Idee hinter der App?
00: 01:05: Die Idee hinter der App ist, dass Menschen, die sich infiziert haben, andere Menschen, mit denen sie Kontakt hatten, über diese Infektion informieren können, sodass diese Menschen sich dann isolieren können, testen lassen können und andere Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie einleiten können.
00: 01:23: Und wie könnte uns die App zum Beispiel im Frühjahr unterstützen, wenn der Lockdown dann wieder gelockert wird?
00: 01:29: Wenn wir wieder mehr Kontakt haben zu anderen Menschen, wird natürlich auch wieder die Frage sein, wie man dann auf solche möglichen Infektionen das Virus nachverfolgen kann. Das kann man natürlich machen, indem man die Menschen befragt. Das ist nicht ganz einfach, denn nicht jeder kann sich an die Person, mit der er gemeinsam im Café saß oder in der U-Bahn saß, erinnern und wird auch selten den Namen kennen. Und genau in solchen Augenblicken kann die App helfen, denn sie ermöglicht es, Menschen, die diese App nutzen, auch ohne dass sie sich persönlich kennen – ihren Namen, ihre Anschrift, ihre Telefonnummer kennen – sich über mögliche Infektionen gegenseitig zu informieren.
00: 02:06: Und wie genau schützt mich die App jetzt, wenn ich sie installiert habe?
00: 02:12: Grundsätzlich ist das so, dass der Mensch, der die App installiert hat, zum einen selber andere Menschen informieren kann über eine Infektion von sich selber oder aber darüber informiert werden kann über Menschen, mit denen er Kontakt hatte, die auch diese App nutzen. Und die App nimmt eine Risikoeinschätzung vor abhängig davon, wie nah ich dem Mensch war im Sinne einer Entfernung und wie lange.
00: 02:36: Also man bekommt dann ja angezeigt, wie viele Risikobegegnungen man in der vergangenen Zeit hatte. Wer ist denn so ein Risikokontakt dann?
00: 02:45: Jemand, der nach einer bestimmten Formel so ganz ungefähr über längere Zeit über kurze Distanz mit mir Kontakt hatte. Die Zeit, über die da gesprochen wird, liegt irgendwo zwischen 15 und 30 Minuten und die Distanz, über die wir hier sprechen, sind Distanzen so ungefähr von weniger als drei Metern. Diese Formel ist aber nicht in Stein gemeißelt und wird fortwährend weiterentwickelt. Unter anderem jetzt Mitte Dezember gab es eine Aktualisierung, wonach nicht mehr ein einzelner Risikokontakt relevant ist, sondern die Gesamtzahl und Gesamtdauer aller Risikokontakte an einem Tag. Also hab ich 15 Mal einen einminütigen Risikokontakt, könnte das genauso entsprechend eine Risikowarnung auslösen wie wenn ich mit einer Person 15 Minuten in gefährlicher Nähe war.
00: 03:33: Bevor die App in Deutschland auf den Markt kam, ging es in der öffentlichen Debatte auch viel um Datenschutz. Wird den Bedenken Rechnung getragen?
00: 03:42: Ich glaube man kann mit Fug und Recht behaupten, dass die aktuelle Lösung einer App zur digitalen Kontaktnachverfolgung, die wir in Deutschland haben, die Datenschutzbedenken bestmöglich adressieren kann. Dazu zählt, dass in der App niemals mein Name erfasst wird, dass es keine Informationen darüber gibt, wo oder wann ein Risikokontakt stattgefunden hat und welche Person ganz genau das war, sondern alles wird nur anonymisiert mit Pseudonymen, Kontaktdaten – das sind sogenannte Hash Codes, kurze Zahlen und Buchstabencodes, die regelmäßig aktualisiert und zufallsgeneriert werden – erfolgt und das ist im Prinzip vermutlich so das bestmögliche, was man an Datenschutzkonzept haben kann.
00: 04:31: Jetzt haben wir diese App und sie erfüllt auch alle Datenschutzkriterien, aber trotzdem konnte sie ja nicht verhindern, dass im Herbst eine zweite Welle über Deutschland hereingebrochen ist. Warum hat die App da versagt?
00: 04:46: Die App hat zum einen nicht genug Menschen erreicht, das heißt es gibt einfach nicht genug Menschen, die die App nutzen. Zum anderen besteht aber auch die Befürchtung, dass sie auch andere Defizite hat. Neben der Verbreitung, dass die Nutzerführung nicht optimal ist, es ist auch die Frage, ob diese Distanzmessung und die Zeitmessung wirklich gut justiert sind. Wir haben wenig praktische Erfahrungswerte, wie beispielsweise eine App in einem öffentlichen Verkehrsmittel so wirklich funktioniert im Alltag. Das kann man nur begrenzt im Labor und in organisierten Tests testen. Das geht wahrscheinlich nur wirklich gut in der tatsächlichen Praxis. Und darüber haben wir nicht wirklich Informationen und Date. Und wie diese drei Problembereiche – Verbreitung, Nutzerführung und Erfolgsmessung – wirklich Probleme bereiten oder auch nicht – auch darüber haben wir in vielerlei Hinsicht gar keine Daten. Wir stehen so ein bisschen im Nebel und ursächlich ist dabei unter anderem eben dieses sehr hohe Maß an Erfüllen von Datenschutzbedenken.
00: 05:49: Also es würde im Endeffekt mehr nützen, wenn es mehr Daten auch für die Wissenschaft gäbe.
00: 05:57: Um die App weiterzuentwickeln. Das sollte wissenschaftlich begleitet werden, aber die aktuelle App ist im Grunde fast die gleiche, wie sie im Juni letzten Jahres an den Start ging. Und es gab geringfügige Verbesserungen, die aber keineswegs dazu führten, dass wir wirklich klar auch quantifizieren könnten, wie gut denn jetzt nun wirklich diese App dabei hilft, die Pandemie einzudämmen, menschliches Leid zu lindern und die vielfältigen gesellschaftlichen Folgen, die die Pandemie mit sich bringt, auch tatsächlich zu verringern.
00: 06:29: Es gibt jetzt auch die Möglichkeit, ein Kontakttagebuch in der App zu führen, also auch andere Kontakte zu erfassen, aber sonst hat sich aus Nutzersicht auch nicht viel geändert. Und ich persönliche finde es auch immer in bisschen verwirrend, wenn ich die App öffne und so wenig Informationen darin habe. Was für Kritik gibt es denn da noch?
00: 06:50: Die verwirrende Nutzerführung ist sicherlich etwas, was die meisten Nutzer erlebt haben. Das beginnt mit der Darstellung von möglichen Risikokontakten. Der Begriff Risikokontakt ist erstmal für die meisten Menschen neu und ist auch schwer, zu definieren. Im Grunde unterscheidet man ja zwischen einem grauen Display in der Corona-Warn-App, das heißt man hat noch nicht genug Zeit gewartet, damit die App aktiv wurde, einem grünen mit einer Benachrichtigung über mögliche Risikokontakte und einem roten Display, was für ein erhöhtes Risiko mit wohl sehr konkreten Risikokontakten steht. Und wenn wir diesen roten Status erreicht haben, dann sollten wir vermutlich uns testen lassen. Und dann beginnt das nächste verwirrende Moment, nämlich: Wie mache ich das und wo mache ich das? Nach aktuellem Stand ist es so, dass man mit einem roten Display in der Corona-Warn-App nicht von seinem Hausarzt oder von einem anderen Arzt getestet werden kann, weil wir aktuell in Deutschland nur dann Tests zulassen, wenn Symptome vorliegen.
00: 08:00: Das heißt die Wirksamkeit ist praktisch außer Kraft gesetzt, solange es nicht genügend Tests gibt. Wie aussagekräftig ist die App dann überhaupt?
00: 08:09: Das ist leider eine der offenen Fragen, die wir so auch aufgrund der Tatsache, dass wir so wenig Daten über die App, die App-Nutzung sammeln, kaum beantworten können. Also wir stehen ein bisschen in dem selbstgemachten Nebel und wissen nicht so richtig, ob die App konkret hilft, worin sie hilft, wo die Defizite liegen. Und das vermutlich daneben augenscheinlichste Defizit ist auch schlicht, wir betreiben die App als Parallelsystem zur Kontaktnachverfolgung der Gesundheitsämter, die dafür ja originär eigentlich zuständig sind. Es gibt auch bei den Prozessbeschreibungen, wie die App funktioniert, bei allen Dokumenten, die auch den Nutzern zur Verfügung stehen, keinerlei Verbindung zu dem, was die Gesundheitsämter machen. Soll auch heißen, die eigentliche Entlastung der Kapazität der Gesundheitsämter ist so kaum möglich. Denn auch die Gesundheitsämter müssen unabhängig von der App Kontakte individuell nachverfolgen durch Befragen der Infizierten dahingehend, mit wem sie Kontakt hatten, und auch die Isolierung von Infizierten nach vorne blickend. Für all diese Dinge hilft die App nur sehr beschränkt. Und das Kontakttagebuch ist da so ein kleiner Ansatz, um da eine Hilfestellung auch für die Gesundheitsämter zu bieten, die aber natürlich auch gerade grundsätzlich ein großes Problem haben, manuelle Kontaktnachverfolgung zu haben, da seit dem Herbst die Kapazitäten auch der Gesundheitsämter überschritten werden.
00: 09:40: Und müsste die Idee nicht eigentlich sein, die App und die Kontaktnachverfolgung durch die Gesundheitsämter zusammenzubringen, damit die sich gegenseitig unterstützen können?
00: 09:49: So wäre eigentlich auch wahrscheinlich das Potential der App am besten zu heben. Die beiden Systeme der Kontaktnachverfolgung durch die Gesundheitsämter und die digitalen Systeme sollten sich ergänzen und nicht nur ersetzen. Das geschilderte Beispiel in der U-Bahn oder in öffentlichen Verkehrsmitteln, wo wir möglicherweise mit einem Infizierten Kontakt hatten, ist ein gutes Beispiel. Das Gesundheitsamt wird diesen Kontakt nie identifizieren können, weil keine Namen und Ähnliches vorliegen. Mit der App wäre das sehr wohl möglich.
00: 10:22: Und weiß man wie viele Leute die App überhaupt nutzen?
00: 10:26: Also so zu Beginn des Januars nutzen rund 25 Millionen Menschen die deutsche Corona-Warn-App. Das ist so ungefähr 30 Prozent der Bevölkerung. Und wir haben so ganz grobe Daten darüber, wie viele Menschen tatsächlich auch Testergebnisse mit der App dann auch teilen, das läuft auch zu Anfang Januar sich so auf rund 190 Tausend positive Testergebnisse, die in der App markiert wurden. Es gibt eine grobe Abschätzung, ob wirklich alle positiven Testergebnisse geteilt wurden für den Zeitraum von Anfang September bis Anfang Januar und da scheint es so zu sein, dass rund 40 Prozent der positiven Testergebnisse in der Corona-Warn-App geteilt wurden.
00: 11:11: Und könnte man das automatisch machen, dass das Testergebnis geteilt wird?
00: 11:16: Absolut. Wir sprechen da auch in der finanzökonomischen Forschung von einem sogenannten Default, dass sozusagen standardmäßig diese Testergebnisse geteilt werden. Man könnte aber dennoch so eine Art Opt-out möglich machen, dass Nutzer, die das explizit nicht wollen, es dennoch ausschalten können, aber sozusagen im Standardfall ist es eingeschaltet. Das wäre sehr wohl möglich.
00: 11:40: Würde zumindest dafür sorgen, dass man es nicht mehr vergisst.
00: 11:43: So ist es. Und das Thema Vergessen ist ein großes. Es gibt gute Forschung, die zum Beispiel zeigt, dass Menschen, die die Absicht haben sich zu impfen, es dennoch vergessen können. Und eine einfache Erinnerung, die sie per SMS beispielsweise erreicht, führt dazu, dass ein signifikant größerer Teil derjenigen, die sich bereiterklärt haben grundsätzlich sich impfen zulassen, sich auch dann impfen lassen. Das ist so etwas, was man auch nicht unterschätzen sollte in der möglichen Tragweite eines solchen Defaults.
00: 12:13: Stichwort Impfen: Da reden wir ja immer über Herdenimmunität. Gibt es bei der App auch so einen Anteil der Bevölkerung, die sie idealerweise nutzen sollte, damit sie ihre volle Wirkung entfalten kann?
00: 12:26: Die Frage ist, was die volle Wirkung ist. Die volle Wirkung, sozusagen bestmöglich formuliert, könnte sein, dass jede Art der anderen pharmazeutischen oder nicht-pharmazeutischen Maßnahme zur Eindämmung der Pandemie unnötig wäre. Wenn das die Erfolgslatte ist, dann gibt es Schätzungen aus dem Frühsommer des letzten Jahres, wonach wenn rund 60 oder 70 Prozent der Bevölkerung eine digitale Kontaktnachverfolgung nutzen und die wirklich sehr gut ausgestaltet ist, andere Maßnahmen obsolet werden könnten. Diese Zahl wurde stark diskutiert, ob sie nun richtig oder falsch ist, ist schwer zu sagen, aber man kann wahrscheinlich von einem ähnlichen Niveau sprechen an Verbreitung wie man es auch mit einer Impfung bräuchte, um tatsächlich die Pandemie wirkungsvoll zu bekämpfen.
00.13: 14: Das wäre ja ein Riesenpotential, wenn man sich überlegt, wie teuer die Lockdown-Maßnahmen sind und wie viele Existenzen daran hängen.
00: 13:22: Zumal die Kosten für die Entwicklung der App sich im mittleren zweistelligen Millionen-Betrag bewegen dürften. Das ist relativ zu den anderen Maßnahmen, die wir unternehmen, um die Pandemie zu bekämpfen, ein verschwindend niedriger Preis, den wir als Gesellschaft zu zahlen hätten. Zumindest rein monetär bemessen. Also die Verhältnismäßigkeit von Wirkung zu Kosten sollte sehr vorteilhaft sein. Selbst wenn die Kosten sich noch verzehnfachen, würde es dennoch ein wahrscheinlich sehr gutes Kosten-Wirkungs-Verhältnis haben.
00: 13:59: Das spricht ja eindeutig dafür, die App weiterzuentwickeln, und genau das hast du auch vorgeschlagen in einem Policy Brief. Trotzdem scheint es nicht so die große Bereitschaft dafür zu geben in der Politik. Woran liegt das und warum brauchen wir so eine Weiterentwicklung?
00: 14:16: Grundsätzlich hat die Politik Schwierigkeiten mit dem Bekenntnis, wir wissen ex ante nicht was funktioniert, wir müssen es systematisch testen und wir sind dann auch im Nachhinein ehrlich zu uns selbst, um zu sagen, dass manche Maßnahmen eben doch nicht so gefruchtet haben, wie gedacht. Das ist ein grundsätzliches Problem des politischen Betriebs. Da sind auch wir Bürger, da ist auch die Presseberichterstattung durchaus Schuld. Wir neigen dazu, sofort den schwarzen Peter zu vergeben und Schuldzuweisungen zu unternehmen, anstatt den Versuch, wirklich ehrlich zu versuchen und herauszubekommen, was funktioniert, wertzuschätzen, auch wenn es nicht funktioniert. Und in diesem Dilemma stecken wir auch mit der Corona-Warn-App. Die App ist in Eile entstanden. Manche Entscheidungen, wie man die App ausgestaltet, wie man sie nutzt, waren sehr ad hoc. Und nun ist sie in der Welt und jede Art der Änderung ist ein bisschen auch ein Eingeständnis, dass das was man anfänglich entschieden hat, vielleicht nicht ganz optimal war. Und dieses Mindset ist sicherlich einer der Gründe, der aktuell die Weiterentwicklung der App zurückhält.
00: 15:20: Du hast deswegen vorgeschlagen, ein Reallabor für die App einzurichten. Was kann man sich denn darunter vorstellen?
00: 15:28: Ein Reallabor ist der Versuch, eine Politikmaßnahme unter relativ realen Bedingungen zu testen, bevor sie breit ausgerollt wird. Dazu bringt man im Regelfall alle beteiligten Parteien, die für die Politikmaßnahme von Relevanz sind, zusammen und testet in einem sehr kontrollierten und risikoreduzierten Rahmen, wie die Maßnahme wirkt. Und das erlaubt einem auch, Maßnahmen zu testen, die nicht zwingend ausschließlich positive Wirkungen haben, die sozusagen Risiken und Nebenwirkungen haben. Und das ist genau etwas, wo man leider auch sagen muss, viele der denkbaren Maßnahmen zur Verbesserung und besseren Wirksamkeit der Corona-Warn-App können auch solche Risiken und Nebenwirkungen haben. So ein Reallabor ist kein ganz neues Konzept. Reallabore wurden in den letzten Jahren verstärkt eingesetzt, um komplexe Politikmaßnahmen zu evaluieren oder zumindest zu begleitet. Und die Corona-Warn-App in ein Reallabor zu stecken, ist verhältnismäßig einfach. Die Corona-Warn-App besteht im Prinzip aus Bits, nicht aus Atomen. Wir müssen keine LKWs durch die Republik schicken, um ein Reallabor physisch aufzubauen. Es reicht schlichtweg, dass in Software abgebildete Konstrukte, Corona-Warn-App, die Politik-Interventionen zu verändern. Und das geht der Natur von Softwaren entsprechend relativ einfach, relativ schnell, mit kurzen Iterationszyklen, sodass auch jetzt unter diesem großen Zeitdruck, den wir auch haben, das dennoch möglich sein sollte.
00: 17:07: Was wären denn noch Beispiele für Reallabore? Du hast ja gemeint, die wurden schon eingesetzt.
00: 17:12: Wir haben tatsächlich in der Rhein-Neckar-Region, in der auch das ZEW zu Hause ist, ein Reallabor für Asylsuchende, begleitet das ZEW in den vergangenen Jahren. Und es gibt ähnliche Modelle, wo tatsächlich auch nicht-pharmazeutische Interventionen zum Schutz der Gesundheit getestet werden sollten. Es gibt verschiedenen Ansatzpunkte, wie man zum beispielsweise auch die jetzt lange angekündigte und hoffentlich nun bald auch kommende elektronische Patientenakte so auch nochmal evaluieren könnte in der Einführung. Der Begriff ist gerade in aller Munde. Allzu viel große Erfolgsbeispiele gibt es noch nicht. Das liegt aber auch daran, dass viele dieser Reallabore eben noch laufen. Und manche dieser Maßnahmen, die dort getestet werden, auch ungleich komplexer sind, als eine Corona-Warn-App zu verbessern.
00: 18:06: Und jetzt wieder bei der App: Wer wäre denn beteiligt an diesem Reallabor und wie würde sich das dann gestalten?
00: 18:14: Beteiligt sein sollten auf jeden Fall natürlich die Nutzer selber. Dazu müssten wir eine repräsentative Bevölkerungsstichprobe in Deutschland ziehen. Das sind Menschen, die die App nutzen und aber auch nicht nutzen. Und wir würden versuchen, sie dafür zu begeistern, bei einem Reallabor mitzuwirken, und sie dazu befragen, warum nutzen sie sie, warum nutzen sie sie nicht, und auch dann konkret Daten darüber sammeln mit diesen Nutzern dann explizit mit ihren Einverständnis, wie sie die App eben auch konkret nutzen, wo sie Defizite sehen und wo sie aber auch nicht funktioniert. Daneben sind natürlich ganz wichtig die Parteien, die die App herausgeben, das sind das Robert-Koch-Institut und die beiden beteiligten Dienstleister der deutschen Telekom und der SAP. Und dann natürlich auch die Parteien, die bisher zu kurz kommen im Umgang mit der Corona-App, dazu zählen zum Beispiel die Gesundheitsämter oder aber auch natürlich viele Forschende, die etwas beizutragen hätten zum Erfolg der Corona-Warn-App. Das sind teilweise Ökonomen, das sind aber auch Ingenieure, die die Distanzmessung beispielsweise und die Risikoeinschätzung verbessern könnten, das wären auch Psychologen und Mediziner, die sich schon mit Risikoaufklärung im Vorfeld medizinischer Behandlungen beschäftigt haben. Das sind alles Parteien, die zum Erfolg der Corona-Warn-App und zur Verbesserung ganz konkret beitragen können.
00: 19:37: Und was wäre die Rolle von den Ökonomen in diesem Reallabor?
00: 19:42: Ökonomen beschäftigen sich schon lange mit der Frage, wie kann man es fördern, dass Beiträge zu öffentlichen Gütern geleistet werden. Eins der größten öffentlichen Güter, das wir kennen, ist die öffentliche Gesundheit. Man ist nur so gesund wie sein Nachbar. Ist der Nachbar ungesund, ist die Wahrscheinlichkeit, dass man sich ansteckt recht hoch. Und wir Ökonomen haben so einen ganzen Werkzeugkasten an Hilfsmitteln, wie wir solche Beiträge zu öffentlichen Gütern analysieren können, wir haben Erkenntnisse, wie man sie fördern kann, und so im Zentrum steht dann auch immer diese Frage des Nutzenkalküls, wo potentielle Nutzer der Corona-Warn-App ja auch abwägen müssen, wie wichtig ist ihnen denn jetzt beispielsweise etwas wie Privatsphärenschutz versus dem Schutz der eigenen Person und dem Schutz von den besagten Nachbarn, die ja auch gesund bleiben sollten zum eigenen Schutz. Und wie man das alles dann sozusagen in diesem Kalkül abwägt, das ist eine Überlegung, die wir als Ökonomen so selbstverständlich auch in anderen Zusammenhängen anstellen und vermutlich auch sehr gewinnbringend aus unserer Sicht einbringen können um die Verbesserung der Corona-Warn-App, die letztlich auch eine Maßnahme zum Beitrag zu einem öffentlichen Gut ist.
00: 20:59: Könnte es sein, dass man Menschen dann Anreize schaffen müsste, dass sie sich mehr daran beteiligen? Also es ist ja so, wenn ich jetzt meinen Test da eingeben, bin ich ja eigentlich mit ganz anderen Dingen beschäftigt. Ich mein, wenn der Test positiv ist, hab ich immerhin Corona und man tut das ja hauptsächlich für andere. Und müsste man die Menschen dafür vielleicht mehr belohnen, dass sie das tun?
00: 21:20: Belohnungen sind denkbar. Wir sprechen ja immer von „Anreize setzen“ im ökonomischen Vokabular. Die Frage ist aber natürlich, ob das möglicher Weise intrinsische Motivation, so das ehrliche bekümmert sein um den Nachbar und die Person, mit der man Kontakt hatte, dadurch möglicherweise vermindert wird. Und wir sprechen dabei von Crowding-out-Effekten. Und ob solche Effekte tatsächlich eintreten, ist etwas, was man nur schwer ex ante sagen kann und wo man in einem Reallabor wahrscheinlich wirklich systematisch evaluieren muss, inwiefern und ob das passiert.
00: 21:56: Und wie könnte man das herausfinden?
00: 22:00: Tatsächlich indem man konkrete Anreize setzt und im Nachhinein verfolgt, was verändert sich am sonstigen Verhalten dieser Menschen. Das könnte eine reine Beobachtung sein oder auch eine Befragung der Personen, wie sie denn nun zum Infektionsschutz und ähnlichem stehen.
00: 22:21: Und was für Maßnahmen könnte man sonst noch so testen in dem Reallabor?
00: 22:25: Die Frage zum Beispiel ist, wie man es schafft, dass die App weiter verbreitet wird. Und ein ganz einfaches, auch so eine Art Anreizinstrument könnte die Subvention von modernen Smartphones sein. Nicht jeder hat so ein Smartphone, das für die App hinreichend modern ist, und warum dann nicht es einfach günstiger machen für Menschen, die die App nutzen wollen? Und das könnte man durchaus daran binden, dass entsprechend natürlich auch die App dann genutzt werden muss. Gleichermaßen könnte man es auch so machen, dass grundsätzlich auf allen Smartphones die App erstmal standardmäßig installiert ist. Aber es stellt sich auch wieder die Frage: Fühlen sich die Bürger dadurch bevormundet? Gibt es etwas, was auch da an negativen Konsequenzen erwachsen kann? Das gleiche gilt für die Zeichen sozialer Anerkennung im Zusammenhang mit der App. Nicht jeder wird gerne mit einem T-Shirt rumlaufen, wo draufsteht „Ich benutze die Corona-Warn-App“. Das ist ja eine wunderbare Werbung, aber es könnte natürlich auch ein Stigma auslösen, dass man sagt: Ach, du kümmerst dich nicht um unsere Privatsphäre? Und das ist etwas, was natürlich auch dann bei anderen möglichen Verbreitungsinstrumenten der Fall sein könnte. Öffentlich diskutiert wird schon die Möglichkeit, durch die App einen leichteren Zugang zu öffentlichen Räumen erhalten könnte. Anstatt im Restaurant, seinen Namen, die Telefonnummer zu notieren, könnte man natürlich auch dort mit seiner Corona-Warn-App einen Barcode scannen, so müsste man auch vielleicht nicht die an manchen Stellen doch schon durchaus gering ausgestattete Privatsphäre, den Privatsphärenschutz auch verbessern und es würde einfach einen zusätzlichen Anreiz setzen, diese App zu nutzen aktiv. Daneben gibt es natürlich schon, beim Thema Nutzerführung haben wir schon über Defaults gesprochen und über Probleme bei der Informationsbereitstellung. Aber ein ganz wesentlicher Punkt, sicherlich auch in so einem Reallabor wäre die Frage: Kann man die Erfolgsmessung der App verbessern? Das heißt, wie kriege ich eigentlich heraus, wie gut die App wirkt? Und das auch wirklich detailliert abzugleichen mit den Daten der App, mit den Daten der Gesundheitsämter, auch wirklich zu schauen: Inwiefern ergänzt das nun die Gesundheitsämter? Könnte man das besser verzahnen? Und zum anderen aber auch die Risikoeinschätzung: Könnte man die verbessern? Also denkbar wäre beispielsweise, dass für die Teilnehmer im Reallabor nicht nur ein Risikokontakt erfasst wird und auch nicht nur die Uhrzeit eines Risikokontaktes, sondern auch die Geokoordinaten eines Risikokontaktes. Und was man so natürlich möglicherweise sammeln könnte, wäre wie so eine Art Risikokarte über die Republik, wo man sagen würde, an gewissen Orten kommen Menschen so nah zusammen, dass die Wahrscheinlichkeit eines Risikokontaktes größer ist. Das könnte man wiederum nutzen, um die Risikoeinschätzung zu verbessern, und das würde umso besser werden, wenn man das mit tatsächlich durchgeführten Testergebnissen verbinden würde, wo man wirklich sieht: Aha, in U-Bahnen sind die Menschen eng beieinander, aber vielleicht nur so kurz, dass der Risikokontakt wirklich vernachlässigbar ist. Und in anderen Situationen, einer stickigen Supermarktkassen-Gegend, die man vielleicht als risikoarm einschätzen würde, kommt es zu vielen Ansteckungen. Und das ist etwas, was man sicherlich gut in einem Reallabor testen könnte und wo nicht eben jeder Nutzer der Corona-Warn-App in der ganzen Republik zu allem, was an Veränderung vorgenommen wird, schon seine Einwilligung geben müsste, sondern man könnte das in einem sehr kontrollierten kleineren Umfeld machen.
00: 25:58: Wie viele Teilnehmer bräuchte man für so eine Stichprobe dann?
00: 26:02: Das ist ein bisschen schwer ex ante zu sagen. Unsere Schätzung ist, dass man wahrscheinlich, zehn-/zwanzigtausend Menschen initial kontaktieren müsste. Mal angenommen, dass rund zwanzig/dreißig Prozent dieser Menschen die App schon nutzen, wäre natürlich dann bei den restlichen siebzig Prozent die vornehmliche Frage, wie bekommen wir die dazu, dass sie die nutzen. Und da werden wir sicherlich eine große Menschengruppe brauchen, um wirklich herauszukriegen, was die Menschen bisher davon abgehalten hat, die App zu nutzen, und gleichermaßen muss die andere Gruppe, die die App schon nutzen, so groß sein, dass wir auch da wiederum systematisch Vergleiche anstellen können, ob eine bestimmte Maßnahme zur Verbesserung der Nutzerführung wirklich die Wirkung hat, die wir uns davon versprechen, oder ob es negative Konsequenzen auch hätte und wie groß die sind. Und dazu muss dann entsprechend die anfängliche Stichprobe hinreichend groß sein.
00: 26:57: Und haben die Teilnehmenden dann auch Vorteile davon?
00: 27:01: Man könnte natürlich so wie wir auch bei anderen Studien den Teilnehmern grundsätzlich irgendeine Art von Entlohnung bereitstellen. Das ist ja auch bisher so, wenn wir repräsentative Bevölkerungsumfragen machen, dass natürlich diese Menschen, die daran teilnehmen, eine Entlohnung im Regelfall bekommen. Gleichermaßen muss man natürlich auch Acht geben, dass man dadurch die Untersuchungsergebnisse des Reallabors nicht verzerrt. Wir wollen natürlich am Ende extern valide Ergebnisse generieren, das heißt, die dann auch für die gesamte restliche Bevölkerung gelten, Untergruppen der Bevölkerung zumindest. Und daher sollte sicherlich auch da von vorneherein auch da getestet werden, ob die Entlohnung eines Teilnehmers im Reallabor Ergebnisse verändert. Das heißt auch da müssen wir dann diese anfängliche Ziehung dieser Stichprobe aus der Bevölkerung entsprechend groß gestalten, dass wir diese Vergleiche auch anstellen können.
00: 27:58: Und warum gibt es so ein Reallabor nicht schon längst?
00: 28:02: Ausgezeichnete Frage. Ich kann es nicht sagen. Meine Vermutung wäre, dass es schlicht nicht der Modus Operandi ist, wie in Deutschland Politikmaßnahmen gestartet, ausgerollt und auch in der Begleitung und im Nachhinein evaluiert werden.
00: 28:19: Das wäre ja sehr zu wünschen, wenn das jetzt doch noch kommt. Vielleicht nochmal einen anderen Dreh: Siehst du für die Zukunft auch für andere Maßnahmen im Gesundheitswesen ein Potential von Apps und digitalen Hilfsmitteln?
00: 28:33: Es ist wahrscheinlich nur der Anfang einer ganzen Welle von digitaler Interventionen zum Sichern der öffentlichen Gesundheit, die wir in den nächsten Jahren zu erwarten haben. Ich hatte schon einmal kurz angesprochen diese große Wirkung, die die Erinnerung zum Impfen beispielsweise haben könnte. Das ist letztlich auch eine digitale Intervention, wenn man da eine SMS bekommt. Aber wie gestaltet man die aus, dass sie auch die maximale Wirkung hat? Gleichermaßen ist auf der ganzen Welt die Haupttodesursache Herzversagen in den unterschiedlichen Ausgestaltungen. Wir haben nun alle mittlerweile Smartphones, viele haben Smartwatches, die teilweise Gesundheitsparameter erfassen können wie den Puls, den Blutdruck und Ähnliches. Und diese Daten könnte man natürlich auch gut dafür einsetzen, um unser aller Leben zu schützen, indem man frühzeitig erkennt, ob Menschen derartige gesundheitliche Probleme zu befürchten haben und frühzeitig alarmiert. Gleichermaßen könnte man so auch wertvolle Daten sammeln, die natürlich dann auch eine umso genauere Einschätzung, wann nun wirklich ein Herzversagen vorliegt, schätzen lassen könnte. Und das sind alles so Überlegungen, die in den Kinderschuhen stecken, die vielversprechend sind, aber wir kommen immer wieder zu den gleichen Fragen zurück. Wie schaffen wir es, dass Menschen daran teilnehmen? Wie schaffen wir es, dass Privatsphärenbedenken daran adressiert werden können? Wie schaffen wir es in kurzer Zeit, tatsächlich auch dann die Wirkung zu messen und zu bestimmen? Schaffen wir es dann auch, die Menschen davon zu überzeugen, dass weil eine gute Wirkung vorliegt, die Nutzung erst recht eingesetzt werden sollte? Und das sind alles so grundlegende Fragen, die mit all diesen digitalen Interventionen verbunden sind, die wir jetzt hier exemplarisch an der Corona-Warn-App, ja, so ein bisschen auf dem Silbertablett serviert bekommen, denen wir uns jetzt stellen können und wenn wir gute Antworten darauf finden, wird uns das auch bei den zukünftigen Maßnahmen von Hilfe sein.
00.30: 32: Also ich sehe schon, da ist ein großes Potential. Wenn ihr euch nicht gerade mit Gesundheitsthemen beschäftigt, was macht ihr in der Nachwuchsforschungsgruppe „Design digitaler Märke“ sonst noch so?
00: 30:43: Wir beschäftigen uns damit, wie digitale Plattformen Märkte verändern, manche Märkte auch ganz neu schaffen, wie manche Marktfunktionen durch Algorithmen beispielsweise vollzogen werden. Und das ist so ein Feld, das grundsätzlich manche Fragen auch nahelegt, die uns jetzt auch mit der Corona-Warn-App beschäftigen. Denn diese digitale Plattformen, die kommen ja nicht aus dem Nichts. Die muss auch irgendjemand mal starten und man muss auch entsprechend eine Verbreitungsstrategie für diese Plattformen und Marktplätze und Ähnliches haben. Das ist ganz ähnlich zur Corona-Warn-App. Auch die Corona-Warn-App muss gewisse Algorithmen einsetzen, beispielsweise um diese Risikomessung zu vollziehen. Und das ist so für uns auch sicherlich auch der Startpunkt gewesen, weshalb auch wir die Corona-Warn-App so als ein bisschen auch unser Thema sehen, um jetzt in dieser konkreten Situation, das ist es letztlich, eine neue Plattform zu schaffen und zum Erfolg zu führen. Wenn man sich die Zahl der Teilnehmer anguckt, dann reden wir jetzt ja aktuell von so von rund 25 Millionen Nutzern. Eine digitale Plattform, die innerhalb von einem halben Jahr so viele neue Nutzer gefunden hat, haben wir in Deutschland quasi noch nicht gehabt. Das Dilemma ist nur, dass die Nutzerzahl noch nicht groß genug ist, aber die Frage, wie solche Sachen sich verbreiten, wurde natürlich schon häufiger früher gestellt. Und die kurze Antwort ist: Durch den Zufall nicht, sondern durch sehr bewusste Gestaltung von Verbreitungsstrategien.
00: 32:24: Das heißt wir können uns von euch dann noch wertvolle Beiträge erhoffen für die Corona-Warn-App und auch für andere digitale Anwendungen.
00: 32:33: Das hoffen wir. Und hoffentlich in Form auch eines Beitrags zu einem Reallabor für die Corona-Warn-App.
00: 32:39: Ja, das hoffe ich auch. Vielen Dank Dominik für diesen Überblick über die Corona-Warn-App.
00: 32:45: Dankeschön Carola.
00: 32:47: Das war die siebte Folge ZEW-Podcasts. Vielen Dank an alle fürs Zuhören. Wenn Sie Fragen haben oder Rückmeldung geben wollen, dann schreiben Sie gerne eine Mail an podcast@zew.de. Wir freuen uns über Ihre Zuschriften.
00: 33:00: Musik.
00: 33:03: Wirtschaft, Forschung, Debatten. Der Podcast des Leibniz-Zentrums für europäische Wirtschaftsforschung.