00: 00:00: Der Marktdesigner guckt sich einen ganz spezifischen Markt an und beschreibt für diesen Markt die optimalen Regeln, testet sie und hilft eventuell bei der Implementierung dieser Regeln.
00: 00:11: Musik.
00: 00:14: Wirtschaft, Forschung, Debatten. Der Podcast des Leibniz-Zentrums für europäische Wirtschaftsforschung.
00: 00:25: Märkte fallen nicht vom Himmel, sondern sie werden von Menschen geschaffen, um bestimmte Ziele zu erreichen. Wie gut ein Markt dafür geeignet ist, das hängt ganz entscheidend von den Regeln ab, die auf ihm gelten. Mit diesen Regeln beschäftigt sich die noch relativ junge ökonomische Disziplin Marktdesign. Hier im ZEW Mannheim gibt es eine eigene Forschungsgruppe für Marktdesign und ihr Leiter ist Professor Vitali Gretschko. Mit ihm spreche ich jetzt darüber, wie man gute Regeln für Märkte findet. Mein Name ist Carola Hesch, herzlich willkommen. Hallo Vitali.
00: 00:52: Hallo Carola.
00: 00:53: Zu Beginn würde ich dich bitten, kurz zu erklären, was eigentlich ein Markt ist.
00: 00:58: Ja, das ist natürlich eine sehr schwierige Frage. Was ist ein Markt? Vielleicht fangen wir mal so an. Ich leite die Forschungsgruppe Marktdesign und eigentlich finde ich den Begriff Marktdesign ein bisschen unglücklich, weil Märkte in der normalen öffentlichen Wahrnehmung ein ganz bestimmtes Bild hervorrufen. Das sind Angebot und Nachfrage, da gibt man am liebsten einen Preis, und alles ist käuflich und alles ist verkäuflich und das hat nicht immer eine positive Konnotation. Wenn wir über Märkte reden, reden wir eigentlich über etwas Fundamentaleres. Auf der fundamentalen Ebene, was ist ein Markt? Wir haben ein bestimmtes Gut oder eine Dienstleistung, die knapp ist und die wir irgendwie verteilen müssen. Wenn es nicht knapp wäre, müssten wir es nicht verteilen. So, und dann haben wir üblicherweise zwei Seiten. Eine Seite, die diese Dienstleistung, dieses Gut nachfragt, und eine andere Seite, die dieses Gut oder Dienstleistung anbietet. Nicht immer muss es ein Markt sein, wie man es sich vorstellt. Nicht immer muss ein Preis da sein. Nicht immer muss es versteigert werden. Ich glaube wir werden noch ein paar Beispiele besprechen, wo Leute denken werden, oh, das ist aber nicht das, was ich mir unter einem Markt vorstelle.
00: 02:21: Und was machen die Marktdesigner dann mit diesen Märkten?
00: 02:24: Genau, was wir machen oder Marktdesigner im Allgemeinen, wir schauen uns solche Situationen an. Nennen wir sie mal Märkte, und überlegen uns welche Regeln und welche Rahmenbedingungen, welche Institutionen dazu führen, dass diese Märkte besonders gut funktionieren, dass das knappe Gut in die Hände kommt, die dieses Gut auch am meisten wertschätzen, dass genügend Austausch auf den Märkten stattfindet, dass überhaupt Märkte da sind, wo sie gebraucht werden. Das heißt wir gestalten im Wesentlichen Regeln und Institutionen, nach denen ein Austausch stattfindet.
00: 03:08: Um das mal konkret zu machen, welchen Beitrag könnte denn Marktdesign, könnten Marktdesigner zur Bewältigung der Corona-Krise leisten?
00: 03:15: Ja, das ist eine sehr gute Frage, weil das eigentlich sehr gut veranschaulicht, wo die Grenzen des üblichen Begriffs des Marktes auftauchen. Was wir am Anfang der Corona-Krise sehr stark gemerkt haben, ist, dass im Krisenmodus es an allen Ecken und Enden an medizinischen Gütern gefehlt hat. Also es gab zu wenig Masken, es gab zu wenig Beatmungsgeräte, es gab zu wenig Intensivbetten, weil natürlich die Vorräte oder das, was produziert wird, nicht für den Krisenmodus gemacht ist, sondern für das normale Leben. Als die Krise da war, war auf einmal zu wenig von allem da und was dazu geführt hat, dass die Preise explodiert sind, dass die Krankenhäuser nicht mehr ihre Nachfrage decken konnten und dass viel mit diesen Gütern spekuliert wurde. So, was kann Marktdesign dazu beitragen? Es gibt einen tollen Vorschlag von sehr bekannten Marktdesignern, aktuell in Nature publiziert, Axel Ockenfels, der auch wissenschaftlicher Beirat hier am ZEW ist, Robert Wilson, der den Nobelpreis bekommen hat, Peter Cramton, die haben im Prinzip vorgeschlagen, wie man diesem Problem beigehen kann. Und zwar, indem man eine zentralisierte, sie nennen es Clearingstelle oder Clearinghausschaft für medizinische Produkte, beispielsweise auf Bundesebene. Das heißt diese Stelle würde zunächst einmal Daten sammeln. Welches Krankenhaus hat welche medizinischen Produkte aktuell zu Verfügung? Diese Stelle würde potentiell auch medizinische Güter und Dienstleistungen einkaufen von den Herstellern. Dann würde sich nur noch die Frage stellen, wie würde sie jetzt mit diesen Informationen oder den Dingen, die sei eingekauft haben, wie würde sie die auf die Krankenhäuser verteilen? Was man nicht möchte, ist, dass die verauktioniert werden. Weil, wenn sie verauktioniert werden, haben wir wieder genau das gleiche Problem. Es gibt zu wenig von allem, deshalb gehen die Preis durch die Decke, deshalb ist es unklar, wer was bekommt. Deren Vorschlag ist es, zunächst einmal zu verstehen, wo werden die Güter am meisten gebraucht. Zum Beispiel, wenn wir einen Ausbruch in Hamburg haben, aber keinen Ausbruch in München, dann würde es total sinnvoll sein, medizinische Güter von München nach Hamburg zu transferieren. So würde man das machen. Natürlich könnte man einfach sagen, okay, ich weiß, in München sind soundso viele Güter zu viel, in Hamburg sind soundso viele zu wenig, deshalb mache ich die Anweisung, dass was transportiert werden soll. Das Problem dabei ist, dass man eben nicht genug Daten sammeln kann, um diese Entscheidung treffen zu können, deshalb ist deren Vorschlag, einen fiktiven Markt aufzusetzen. Und der fiktive Markt würde so funktionieren, dass man eine medizinische Währung entwickelt und jedes Krankenhaus würde eine Grundausstattung mit dieser Währung bekommen. Das ist wie ein Euro, nennen wir ihn den Med-Euro. Und diese Grundausstattung würde davon abhängen, wie groß das Krankenhaus ist, in was für einem Gebiet es ist, was typische Krankheitsbilder in diesem Krankenhaus sind. Und mit dieser medizinischen Währung, könnten die Krankenhäuser dann über diese zentrale Clearingstell die Güter kaufen. Also in meinem Beispiel würde das Krankenhaus in Hamburg dann für diese medizinische Währung in München sagen wir mal Beatmungsgeräte kaufen. Warum ist das für München vorteilhaft, dann diese Geräte zu verkaufen? Denn sie wissen, dass wenn sie die Währung jetzt bekommen und diese Währung in Zukunft dafür benutzt werden kann, Beatmungsgeräte kaufen zu können, geben sie diese Beatmungsgeräten aktuell nach Hamburg ab und können sie dann beschaffen, wenn sie sie brauchen. Das ist ein Beispiel für Marktdesign, wo man halt eben in einer Situation ist, wo man nicht alles über einen Euro-Preis regulieren möchte, sondern weil man eine zentrale koordinierte Stelle haben möchte, die die medizinischen Güter dahin bringt, wo sie am meisten gebraucht werden.
00: 07:25: Eine zentrale koordinierte Stelle, das klingt jetzt gar nicht so nach dem, was man sich unter einem Markt so vorstellt. Aber du hast ja auch schon gemeint, dass ihr euch nicht mit diesen klassischen Märkten beschäftigt. Also das ist auch ein Markt?
00: 07:37: Genau, Markt ist immer dann, wenn ich zwei Seiten zueinander bringen möchte, um mein knappes Gut auszutauschen. Die wesentliche Idee bei Marktdesign, warum das so ein anderer Mindset ist als sagen wir mal klassische VWL, auch wenn das jetzt vielleicht keine gute Begriffsabgrenzung ist, ist, dass wenn wir Märkte gestalten, dann schauen wir uns wirklich ganz spezifisch die Situation an, die wir gestalten wollen. Sprich, der Marktdesigner beweist eher keine allgemeine Theoreme, die auf allen Märkten gelten, sondern der Marktdesigner guckt sich einen ganz spezifischen Markt an, so wie zum Beispiel diese Clearingstelle, die ich gerade beschrieben habe, und beschreibt für diesen Markt die optimalen Regeln, testet sie und hilft eventuell bei der Implementierung dieser Regeln. Das heißt man hat vielleicht gar nicht so eine allgemeine Aussage über Märkte an sich oder wie man Märkte an sich verbessern kann, sondern man hat eine ganz spezifische Aussage, wie dieser Markt, den man sich anschaut, verbessert werden kann. Und das bedeutet insbesondere und das ist vielleicht was vor der Marktdesignerrevolution ein bisschen zu kurz gekommen ist, dass man sich wirklich mit den feinen Details des Marktes, den man gestaltet, auseinandersetzt. Dass man versteht, was sind denn eigentlich für bindende Nebenbedingungen auf diesem ganz speziellen Markt, was muss man berücksichtigen, wenn man die Regeln für diesen Markt gestaltet.
00: 09:25: Und was wär noch so ein Beispiel für einen ganz konkreten Markt, den ihr euch anschaut und dann Lösungen dafür sucht?
00: 09:32: Ich würde jetzt auch bewusst wieder ein Beispiel nennen, wo die meisten Leute jetzt nicht an einen Markt denken würden, aber das ist ein ganz konkrete Projekt, was wir hier am ZEW machen und es geht um die Zuteilung von Kindergartenplätzen. Offensichtlich, nach der Definition, die ich gerade gegeben habe, handelt es sich um ein knappes Gut. Wir haben zwei Seiten, die wir zueinander bringen. Das ist auf der einen Seite die Träger der Kindergärten, auf der anderen Seite die Eltern, die ihre Kinder in den Kindergarten bringen wollen und wir möchten natürlich, dass die Plätze möglichst effizient verteilt werden; sprich, dass die Leute möglichst die Plätze bekommen, die sie auch wollen. Hat alle Eigenschaften eines Marktes, eine Eigenschaft hat es nicht, wenn Leute an einen Markt denken, das ist ein Preis. Es gibt glaube ich gute gesellschaftliche Gründe, warum wir Kindergartenplätze nicht versteigern wollen. Sonst, wenn ich sagen würde, wir haben ein knappes Gut, machen wir doch eine Auktion, der Höchstbietende bekommt den Platz. Es gibt gute Gründe, warum wir das nicht machen wollen. Trotzdem heißt das natürlich nicht, dass dieser Markt völlig ohne Regeln sich selbst überlassen werden sollte. Man kann Regeln finden, die zu besseren Marktergebnissen führen. Das was wir tun, zusammen arbeiten wir mit einigen Kreisen und Jugendämtern, ist im Prinzip eine zentralisierte Vergabe von diesen Kindergartenplätzen. Das funktioniert so, die Eltern geben vor der Vergabe eine Liste mit Präferenzen ab, sprich, die sagen, Kindergarten A ist der Kindergarten, wo ich am liebsten hingehen würde, Kindergarten B ist der Kindergarten, wo ich am zweitliebsten hingehen würde, und so weiter so fort. Diese Liste nehmen wir und füttern sie in einen Computer, salopp gesagt. Auf der anderen Seite sitzen die Träger. Die Träger und auch die öffentlichen Kindergärten haben eine Prioritätenliste und sagen, es gibt bestimmte Kriterien, nach denen Kinder eine Priorität in einem bestimmten Kindergarten haben. Beispielsweise, wenn ich nah dran wohne oder wenn mein Bruder schon in diesem Kindergarten ist, dann sollte ich eher in diesen Kindergarten reinkommen. So, jetzt haben wir zwei Listen, Präferenzen und Prioritäten, und die füttern wir beide in diesen Computer und der Computer findet nach einem bestimmten Algorithmus eine Zuteilung, die eine sehr schöne Eigenschaft hat und diese Eigenschaft heißt Stabilität. Was heißt Stabilität? Das heißt, dass wenn ein Kind lieber in einen anderen Kindergarten gehen würde als den, den es bekommen hat, dann bedeutet das, dass sie in diesem Kindergarten eine niedrigere Priorität hat als alle Kinder, die den Platz bekommen haben. Das heißt, es gibt eigentlich gar keine Möglichkeit, diese Zuteilung so zu verbessern, dass beide Marktseiten zufrieden sind. Das ist die tolle Eigenschaft, deshalb kann nicht außerhalb des Marktes eine Verbesserung herbeigeführt werden. Und die zweite tolle Eigenschaft von diesem Algorithmus ist das, was wir Ökonomen Strategiesicherheit nennen. Strategiesicherheit heißt, dass der Algorithmus so gestaltet ist, dass wenn die Eltern ihre Präferenzen aufschreiben, also Kindergarten A über Kindergarten B über Kindergarten C, es für sie gar keinen Anreiz gibt, das strategisch zu machen. Der Algorithmus führt immer dazu, dass wenn sie die Wahrheit sagen bei den Präferenzen, dass sie immer die bestmöglichen Kindergarten bekommen, gegeben die Prioritäten der Träger.
00: 13:28: Also strategisch bedeutet, ich gebe meinen Zweitwunsch als ersten an, weil ich denke beim ersten komme ich sowieso nicht rein.
00: 13:34: Genau, du kennst das vielleicht von der ZVS, die Zentrale Vergabe für Studienplätze, die hat ja auch so ein ähnliches Verfahren. Da gebe ich ja an, wenn ich Medizin studieren möchte, in welchen Universitäten möchte ich am liebsten Medizin studieren. Das Verfahren der ZVS ist nicht strategiesicher, weil sie immer erst alle Universitäten mit Erstwünschen vollmacht. Das heißt bei der ZVS muss ich mir überlegen, wenn ich beispielsweise in Heidelberg Medizin studieren möchte, aber ganz viele andere in Heidelberg auch Medizin studieren wollen und ich kein 1,0er Abi habe, dann tu ich vielleicht nicht Heidelberg nach oben, sondern irgendeine andere Universität, die vielleicht nicht ganz so beliebt ist. Und das ist natürlich ein Problem, weil woher weiß ich eigentlich wie viele Leute auf welche Universität wollen und deshalb ist es ein bisschen zufällig, wie ich es mache und das gesamtgesellschaftliche Ergebnis, was dabei rauskommt, ist recht zufällig. Bei den Kindergärten ist es anders. Da lohnt es sich für mich nicht, zu sagen, ich geh nicht in den Kindergarten, weil der Algorithmus so gestaltet ist, den gebe ich jetzt nicht an, weil alle dahin wollen, das schadet mir nicht, zu sagen, ich möchte am liebsten zu Kindergarten A. Und so muss ich als Eltern gar nicht erst überlegen, was wollen andere Eltern, sondern ich muss nur noch überlegen, was möchte ich.
00: 14:54: Und wenn dieser Mechanismus so praktisch ist, warum ist er dann noch nicht so allgemein im Einsatz?
00: 15:01: Das ist eine gute Frage. Als Wissenschaftler könnte man natürlich sagen, das ist der wissenschaftliche Fortschritt, dass man versteht, was für Mechanismen auf welche Probleme gut anwendbar sind und dass man das erstmal gebraucht hat, das zu verstehen. Allerdings kennen wir diesen Algorithmus, den ich gerade beschrieben habe, schon seit den 50er Jahren. Die große Frage ist dann und das ist vielleicht die Marktdesign-, ich nenne es schon wieder Revolution, auch wenn bestimmt einige Kolleg*innen das anders sehen würden, ist, dass man diese Erkenntnis aus der Wissenschaft nimmt und sie in die Praxis trägt. Dass man sagt, ich versteh etwas theoretisch über ein Problem und ich scheue mich nicht, auf die Praktiker zuzugehen und zu sagen, lass uns doch mal zusammenarbeiten, ich erkläre euch, was ich über euer Problem meine zu verstehen, und ihr erklärt mir, was ich über euer Problem nicht verstehe, und zusammen entwickeln wir etwas, was funktioniert. So war das auch bei unserem Kindergartenprojekt. Es ist nicht so, dass die Jugendämter auf uns zugegangen sind, so: Toll, wir haben unsere Marktdesigngruppe am ZEW, macht uns doch mal so eine Allokation. Sondern nein, wir sind rausgegangen und haben gesagt, so und so, wenn man sich das theoretisch anschaut, könnte man das eventuell verbessern, erklärt uns doch mal, warum das so schwierig ist. Und dann tauchen ganz, ganz viele Probleme auf – also Probleme, der Berater nennt sie Herausforderungen – tauchen ganz viele Herausforderungen auf, wo man sagt, dass der Algorithmus, den man seit den 50er kennt, gar nicht so funktionieren würde und dann muss man mit den Jugendämter zusammenarbeiten. Deshalb, wie passen wir das an, damit das wieder funktioniert? Das kann man auch gut sehen, an den beiden Nobelpreisen, die für Marktdesign vergeben wurden. Dieses Jahr an Paul Milgrom und Robert Wilson und 2013 an Alvin Roth und Lloyd Shapley. Die wurden explizit für die Anwendung von Marktdesign vergeben. Das war der wesentliche Schritt, dass man proaktive die Erkenntnisse in den Markt getragen hat und mit den Marktteilnehmer zusammengearbeitet hat, um die zu verbessern. Alvin Roth war der erste, der solche Matching-Verfahren, wie ich sie gerade beschrieben habe, auf Schulen und Krankenhäuser angewandt hat.
00: 17:31: Also Matching bedeutet, man bringt zwei Seiten ohne Geld zusammen.
00: 17:35: Genau, genau. Und Robert Wilson und Paul Milgrom waren die ersten, die große komplexe Auktionen gestaltet haben für die Vergabe von Frequenzen, von Mobilfunkfrequenzen.
00: 17:50: Stichwort Auktionen. Du bist von Haus aus ja eigentlich auch Auktionstheoretiker, beschäftigst dich auch mit der Versteigerung von Mobilfunkfrequenzen. Was hat denn das mit Marktdesign zu tun?
00: 18:04: Wir haben jetzt zwar viel über Märkte gesprochen, die keine Preisbildung haben, aber die meisten Märkte, die auch wirklich relevant sind für unsere Wirtschaft, haben eine Preisbildung. Und immer wenn es eine Preisbildung gibt, kann der Mechanismus im Kern dieser Preisbildung als Auktion gesehen werden, als Versteigerung. Die einfachste Art von Auktion ist das, was jeder kennt. Bei Sotheby’s, ein Picasso wird versteigert, das ist ein Picasso, der Auktionator ruft Preise auf, die Leute heben die Hand bis nur noch einer die Hand heben kann und der Picasso ist versteigert. Sehr einfache Form der Auktion, sehr robust, funktioniert seit tausenden von Jahren. Aber nicht jedes Auktionsproblem ist so einfach. Bestes Beispiel sind die eben genannten Frequenzauktionen. Man könnte sagen, dass die Verteilung von Frequenzen auf die Mobilfunkbetreiber ein Markt ist. Wir haben ein Angebot, das sind die Frequenzen, wir haben eine Nachfrage, das sind die Mobilfunkbetreiber, und jetzt müssen wir dieses Angebot mit der Nachfrage zusammenbringen und dürfen einen Preis bilden. Weil warum sollte man das nicht verkaufen? Frequenzen sind für Mobilfunkbetreiber wesentlich. Kein Handy würde funktionieren ohne Frequenzen. Frequenzen sind endlich, im Sinne von, es gibt eine bestimmte Kapazität. Ich kann nicht ein enges Frequenzband nehmen und all meine Kunden darüber senden, sondern je mehr Kunden ich habe, je mehr Datendurchsatz, desto mehr Frequenzen. Die große Frage für den Staat ist, wie entscheide ich eigentlich, wer welche Frequenzen bekommt? Woher weiß ich wo der größtmögliche Nutzen gestiftet wird? Da kommt jetzt die Auktion ins Spiel oder im größeren Sinne das Marktdesign. Das heißt wir müssen uns überlegen, nach welchen Regeln möchte ich diese Frequenzen vergeben, sodass der größtmögliche Nutzen entsteht. Und die Idee dahinter ist, dass wenn ich die Frequenzen versteigere, das Unternehmen, was diese Frequenzen am besten nutzen kann, das beste Angebot im Markt hinterher machen wird, die größten Profite generieren wird und deshalb den höchsten Preis bei der Auktion bieten wird. Deshalb ist es effizient diesem Unternehmen, die Frequenz zu geben. Diese Logik hat natürlich, und das ist die Komplikation des Marktdesigns, einen kleinen Haken, weil welches Unternehmen wird die größten Profite erwirtschaften? Das ist der Monopolist. Das heißt, was man dann sicherstellen muss, wenn man die Regeln gestaltet, ist, dass eben nicht ein Unternehmen alles ersteigert, sondern dass man gewisse Pakete von Frequenzen hat, die von unterschiedlichen Unternehmen ersteigert werden können. Da sieht man schon, warum das so viel komplizierter ist, als einen Picasso zu kaufen. Weil wir haben unterschiedlich Frequenzpakete, die alle auf einmal versteigert werden. Die Komplexität dabei ist, die Regeln so zu gestalten, dass am Ende tatsächlich ein funktionierender Telekommunikationsmarkt herauskommt. Sprich, dass die Unternehmen, die am besten was mit den Frequenzen anfangen können, die Frequenzen bekommen, dass genug Wettbewerb auf dem Markt hinterher herrscht und dass die Auktionseinnahmen am Ende in die richtige Stelle fließen.
00: 21:35: Ein Argument gegen Auktionen für Frequenzen lautet ja oft, dass Unternehmen sehr hohe Summen an den Staat zahlen und letzten Endes zu wenig Geld für den Netzausbau übrig haben. Also warum setzt man hier überhaupt auf Auktionen?
00: 22:47: Das ist ein Argument, das hört man tatsächlich sehr häufig, das basiert auf etwas, was wir Ökonomen Sunk-Cost-Fallacy nennen. Noch einmal ein Beispiel aus dem realen Leben. Du hast dir eine Kinokarte gekauft und willst am Mittwoch ins Kino gehen. Jetzt kommst du am Mittwoch vor dem Kino an und hast festgestellt, dass du diese Karte verloren hast. Würdest du dir an der Kasse eine neue Karte kaufen oder nicht? Das erste Gefühl ist, ich hatte die Karte, ich habe sie verloren, dann gehe ich jetzt nach Hause. Aber der rationale Gedanke dabei ist, naja, du warst schon bereit, acht Euro für die Karte zu bezahlen, weil der Film dir einen größeren Nutzen stiftet als die acht Euro, die du für die Karten bezahlt hattest. Deshalb solltest du jetzt schon wieder bereit sein, acht Euro für die Karte zu bezahlen, es sei denn natürlich du hast nicht genug Geld. Genauso ist es bei den Telekommunikationsunternehmen. Sie haben in einer Auktion Geld für Frequenzen ausgegeben und wenn sie jetzt entscheiden was für ein Netz sie bauen, dann wird ihre Entscheidung nicht davon abhängen, an dem Geld, was schon ausgegeben ist, sondern es wird wesentlich davon abhängen, was ist das beste Netz, mit dem sie den besten Business Case für sich selbst realisieren können. Das ist völlig unabhängig davon, wie viel Geld sie vorher ausgegeben haben, und das ist mehr abhängig davon, wie wettbewerblich ist der Markt. Je mehr Wettbewerb wir auf dem Telekommunikationsmarkt haben, desto größer ist der Anreiz, das Netz auszubauen. Das Argument, dass das Beziehen des Geldes von den Unternehmen, dann im Netzausbau fehlt, hat so ein Bild von, als wären wir vom Unternehmen eine Oma, die ihr Geld unter der Matratze hat. Wenn sie die Hälfte des Geldes ausgeben hat, kann sie nur noch die andere Hälfte ausgeben. Das stimmt aber nicht, weil Mobilfunkunternehmen haben Zugang zu Finanzmärkten und die können sich das Geld leihen. Solange die einen guten Business Case haben, werden sie das Geld auch bekommen. Das einzige Problem, was entstehen kann, ist, wenn die Auktion so teuer war, dass die Finanzierungskosten für die Unternehmen größer werden, dann werden natürlich die Kosten des Kapitals größer. Aber von diesen Dimensionen sind wir in Deutschland sehr weit entfernt gewesen in den letzten Jahren.
00: 24:10: Und wie schafft man es denn, dass ländliche Regionen Zugang zu schnellem Internet bekommen?
00: 24:14: Genau, das ist auch im weitesten Sinne eine Marktdesignfrage, denn es liegt so eine Art Marktversagen vor, nennen wir es mal so. Natürlich lohnt es sich für ein gewinnorientiertes Unternehmen nicht, Hintertupfingen an 5G anzubinden, weil zu wenig Kunden in Hintertupfingen wohnen. Es gibt zwei Möglichkeiten, wie man dem begegnen kann. Die eine Möglichkeit ist und das wird aktuell gemacht, jedem, der eine Frequenz ersteigert eine Auflage zu machen, auch in Hintertupfingen 5G-Masten aufzubauen. Das ist eine Idee, die häufig gemacht wurde und auch nicht schlecht funktioniert, um die weißen Flecken zu schließen. Aber man könnte das noch besser machen, wenn man das als echtes Marktdesignproblem sieht und sagt, warum sollte ich allen drei oder vier Mobilfunkbetreibern, die wir haben, die Auflage machen, 5G in Hintertupfingen zu bauen, wenn es nicht reicht, dass einer es macht zunächst einmal. Deshalb wäre die weiterführende Idee eigentlich, das zu versteigern. Das heißt, ich als Staat mache eine Auktion, nur jetzt umgekehrt, statt Geld einzunehmen, gebe ich Geld aus, und sage, ich kaufe mir die Dienstleistungen ein, dass es 5G in Hintertupfingen gibt. Die Mobilfunkunternehmer können dann darauf bieten, wer in Hintertupfingen 5G machen darf und im Gegenzug bekommen sie Geld. Was ist das Schöne daran? Wer wird den Zuschlag bekommen? Das Unternehmen, was Hintertupfingen am kostengünstigsten anbinden kann, weil das die sind, die auch den geringsten Preis anbieten.
00: 25:58: Also ein Einkauf kann auch über eine Auktion ablaufen?
00: 26:01: Genau, ein Einkauf ist tatsächlich das, was häufig übersehen wird, aber eigentlich das Anwendungsfeld für Auktionen ist. Beschaffung und Einkauf ist ein so großer Teil unserer Wirtschaftsleistung und dafür aber relativ stiefmütterlich behandelt in der Öffentlichkeit. Im OECD-Schnitt gibt ein OECD-Mitglied circa 19 Prozent des Bruttoinlandsproduktes allein in der öffentlichen Beschaffung aus. Wenn man die private Beschaffung dazu nimmt, dann landen wir bei viel, viel größeren Zahlen. Bestes Beispiel, unsere geliebte Automobilindustrie, wenn man jetzt auf Daimler schaut, nur ein Bruchteil von einem Mercedes wird von Daimler gebaut, das wird von Zulieferern gebaut. Daimler ist in großen Teilen eine große Einkaufsorganisation, die die richtigen Teilen beschafft und zusammenbaut. All das läuft über Auktionen. Deshalb ist es sehr wichtig, zu verstehen, wie Auktionen funktionieren, und wurde auch zurecht mit dem Nobelpreis dieses Jahr belohnt.
00: 27:11: Gibt es noch andere spannende Bereiche außer Frequenzauktionen und Kita-Plätzen, über die ihr im Team so nachdenkt?
00: 27:21: Ja, absolut. Wir haben einige Projekte aus dem Bereich Martkdesign. Ein besonders spannendes Projekt ist, wir arbeiten mit den Tafeln Deutschlands zusammen, wo es darum geht, Lebensmittelspenden zu verteilen. Das Problem ist, die Tafeln in Deutschland bekommen teilweise große Spenden von Unternehmen und diese Spenden müssen auf die einzelnen Tafelläden aufgeteilt werden. Bei Spenden, ganz offensichtlich, möchte man nicht, dass die Tafelläden darauf steigern, dass irgendwie Geld fließt. Aber trotzdem möchte man wissen, welcher Tafelladen mit dieser Spende am meisten anfangen kann, wessen Kunden das am meisten brauchen, wer am wenigsten von dem Gut vorrätig hat. Dafür soll ein System entwickelt werden, in ferner Zukunft, das ähnlich ist zu dem System, was ich beschrieben habe für die medizinischen Güter, dass man eine Plattform schafft für die Tafelläden, auf denen sie auf diese Spenden bieten können, aber nicht mit realem Geld, sondern mit fiktivem Geld, was dann an die Tafelläden je nach Bedürftigkeit ausgegeben wird. Das ist ein mögliches Projekt. Wir denken über Energiemärkte nach. Marktdesign ist ein sehr etablierter Begriff im Energiebereich, wo man darüber nachdenkt, wie gestaltet man die Auktionen, mit denen Energie versteigert wird. Wie gestaltet man die Auktionen, mit denen Klimazertifikate versteigert werden? Wie möchte man überhaupt Elektrizität bepreisen? Möchten wir einen einheitlichen Preis haben in ganz Deutschland oder möchten wir regional unterschiedliche Preise haben? All das sind Marktdesignprobleme und wir haben ein großes Projekt mit einem großen Konsortium, wo wir über das Marktdesign der Zukunft des Energiemarktes nachdenken.
00: 29:15: Das ist sehr vielfältig und klingt auch ziemlich spannend. Du hast kürzlich gesagt, Market Design is fun. Ist das wirklich so und warum?
00: 29:24: Marktdesign ist absolut fun, weil man jeden Tag mit etwas Neuem konfrontiert wird. Man lernt nicht nur etwas über die Ökonomie, sondern man lernt auch ganz, ganz viel über reale Institutionen. Was ich jetzt alles über Kindergärten gelernt habe in unserem Kindergartenprojekt, kommt mir natürlich auch zugute, wenn ich meine Tochter irgendwann bei einem Kindergarten anmelden möchte. Das heißt, man sieht einfach sehr viele vielfältige Sachen, man lernt sehr viel darüber, wie die reale Welt tatsächlich funktioniert und darf dann auch noch am Ende Vorschläge machen, wie man es eventuell besser machen kann. Nicht immer liegt man richtig. Wichtig ist es tatsächlich, zu verstehen, was sind die Nebenbedingungen, unter denen die realen Märkte funktionieren. Das ist nicht immer einfach, aber fun.
00: 30:18: Vielen Dank Vitali für diese Einführung ins Thema Marktdesign!
00: 30:21: Ich danke dir!
00: 30:22: Musik.
00: 30:25: Wirtschaft, Forschung, Debatten. Der Podcast des Leibniz-Zentrums für europäische Wirtschaftsforschung.