Wirtschaft · Forschung · Debatten

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00:00:00: Martin Lange Wenn Medien konsequent die Herkunft der Täterinnen und Täter nennen, dass dann die Menschen Kriminalität und Zuwanderung gar nicht mehr so stark in einen Kontext setzen.

00:00:12: Wirtschaft, Forschung, Debatten. Ein ZEW-Podcast.

00:00:23: Bastian Thüne Mit der Gründung des Deutschen Kaiserreichs 1871 gab es bereits die erste Migrationswelle mit polnisch-sprechenden Menschen aus Ostpreußen. Damals gingen diese ins Ruhrgebiet und bauten mit diese Kohle und Stahlindustrie auf. Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs gab es viele Kriegsflüchtlinge aus den ehemaligen deutschen Ostgebieten. Während der Zeit des Wirtschaftswunders, also so ab den Fünfzigern, Sechzigern, kamen die sogenannten Gastarbeiter aus der Türkei, Italien, Griechenland, Spanien, Portugal oder anderen Ländern. Seit den Neunzehnhundertneunzigern -Jahren kam zuerst die Spätaussiedler, später aber auch vermehrt Kriegsflüchtlinge, etwa aus dem ehemaligen Jugoslawien, Syrien oder inzwischen aus der Ukraine. Was ist die Gemeinsamkeit aller Migrantengruppen? Seit jeher hat ein Teil der Deutschen Angst vor Überfremdung, wahlweise vor kultureller Durchmischung, vor Abschottung oder auch vor Kriminalität. Auch bei den anfangs sehr willkommenen Ukrainerinnen und Ukrainern hat sich die Stimmung mitunter gedreht. Dabei gibt es aber auch tatsächlich Kriminalität. Es gab islamistische Anschläge in Berlin oder vor kurzem in Mannheim oder auch Übergriffe auf der Kölner Silvesternacht von 2015. Man darf dabei aber nicht vergessen: Die allermeisten Migrantinnen und Migranten führen ein unauffälliges Leben und werden wie die Ruhrpolen heutzutage teilweise gar nicht mehr als solche wahrgenommen. In der heutigen Folge des ZEW-Podcast sprechen wir deswegen über Migration und Sicherheit. Als Gast haben wir Dr. Martin Lange. Er ist Wissenschaftler im Bereich Arbeitsmärkte und Sozialversicherungen. Er beschäftigt sich mit den Auswirkungen von Zuwanderung und analysiert auf ökonomische Weise kriminelles Verhalten. Gemeinsam sprechen wir über die Erfahrungen aus früheren integrierten Einwanderungsgruppen, was dran ist am Zusammenhang zwischen Migration und Kriminalität und ob es überhaupt ein Zusammenhang gibt und wie Integration tatsächlich gelingen kann. Mein Name ist Bastian Thüne. Herzlich willkommen zum ZEW-Podcast, dem Podcast des Leibniz-Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung aus Mannheim. Hallo Martin, schön, dass du heute da bist.

00:02:24: Hallo Bastian. Schön, dass ich da sein kann.

00:02:26: Bastian Thüne Ja, sehr gerne. Wie kam es eigentlich dazu, dass mit devianten Verhalten und Zuwanderung zu beschäftigen?

00:02:32: Martin Lange Als ich 2015 angefangen habe zu arbeiten, habe ich mich damit beschäftigt. Es lag vor allem daran, dass Migration in aller Munde war damals. Wir hatten gerade das „Wir schaffen das“ von Angela Merkel. Kurz danach habe ich im ZEW begonnen zu arbeiten. Das ganze Land wollte eigentlich wissen, was macht diese Migrationsepisode mit Deutschland, mit der Gesellschaft? Alle wollten da Zahlen und wissenschaftliche Evidenz haben. Und da lag es nahe, dass ich als angehender Wissenschaftler mich mit diesen Themen beschäftige. Mich hat vor allem der Umschwung, den es dann gab innerhalb der Gesellschaft, interessiert. Zuerst waren die Geflüchteten sehr positiv willkommen heißen empfangen worden und dann hat es das relativ schnell gedreht. Und dieser Wandel, den fand ich sehr bemerkenswert und sehr interessant. Und dann habe ich mir gedacht, okay, das würde ich gerne besser verstehen, wieso so etwas passieren kann. Und ich habe mich dann ein bisschen damit beschäftigt, wissenschaftlich und dann gesehen, dass eine große Sorge der Bevölkerung im Zuge von Zuwanderung ist halt die Angst vor steigender Kriminalität. Und dadurch habe ich dann gedacht, okay, das müsste man mehr untersuchen und sich anschauen, wie da der Zusammenhang wirklich ist.

00:03:48: Bastian Thüne Kriminalität ist vor allem auch ein Thema in der Soziologie und da passt das auch gut hin. Inwiefern ist kriminelles Verhalten dann auch ein Fall für Ökonomen wie dich?

00:03:57: Martin Lange Na ja, VWL oder Volkswirtslehre oder die Ökonomie beschäftigt sich ja sehr stark mit dem individuellen Verhalten, also mit zum Beispiel Kaufentscheidungen: Soll ich eine Wohnung kaufen? Ja/ Nein? Wo soll ich die kaufen? Bei wem, in welcher Firma soll ich anfangen zu arbeiten? Welche Bildungsentscheidungen treffe ich? Und so weiter. Und natürlich gehören auch sozusagen die Entscheidungen dazu: Verhalte ich mich kriminell oder im legalen Rahmen gehört auch dazu. Und das haben sich dann Ökonomen schon früh angeguckt in den Siebzigern. Die ersten Ökonomen haben sich damit befasst. Deswegen gibt es diese Disziplin innerhalb der der Ökonomik schon ziemlich lange. Die neuere oder modernere Ökonomik der Kriminalität beschäftigen sich aber mehr mit so Fragen: Was sind die gesellschaftlichen Implikationen oder die gesetzlichen Folgen von Kriminalität? Und was kann, was können Politik Maßnahmen sein, um kriminelles Verhalten einzudämmen oder zu bekämpfen?

00:04:57: Bastian Thüne Um Aussagen über unterschiedliche Gruppen feststellen zu können oder einfach genau zu forschen, müssen ja auch ein bisschen unterteilt werden. Und jetzt sind Zugewanderte nicht gleich Zugewanderte. Es gibt ja geflüchtete Menschen, es gibt aber auch Spätaussiedlerinnen, Spätaussiedler und Expats. Hast du da Zahlen dazu zur Verteilung der Gruppen? Und kannst du kurz erläutern, wo da die Unterschiede liegen?

00:05:20: Martin Lange Genau. Also da hast du Recht: Migrantinnen und Migranten sind keine homogene Gruppe, wie man sagt, sondern es gibt sehr, sehr viel Unterschiede. Sie können sich in sehr vielen Dingen unterscheiden. Zum Beispiel natürlich der Grund der Migration, warum jemand dann in ein anderes Land geht. Das ist ein sehr großer Unterschied. Dann die Herkunftsländer, Vorbildung, und so weiter. Das sind alles Unterschiede zwischen diesen Gruppen, auch wie lange Leute in dem Land bleiben wollen, also die geplante Dauer der Migration. Dann unterscheiden sich sehr viele typische, also unterschiedliche Typen von Migrantinnen und Migranten. Die Gruppen, die du angesprochen hast, unterscheiden sich halt vor allem in ihrem Grund der Migration. Also Spätaussiedlerinnen und Spätaussiedler kamen halt nach dem Fall der Sowjetunion nach Deutschland, weil sie deutsche Vorfahren hatten und kamen deswegen nach Deutschland zurück. Viele sprachen aber gar kein richtiges Deutsch und hatten nur diese Wurzeln, konnten aber direkt hier die deutsche Staatsbürgerschaft erhalten. Geflüchtete kommen in der in den meisten Fällen aufgrund von politischer Verfolgung oder wegen Krieg und Zerstörung verlassen sie ihr Heimatland und kommen deswegen nach Deutschland, also eine ganz andere Gruppe. Und dann die Expats: Das ist so ein bisschen eine schwammige Definition. Also ich würde sagen, es sind vor allem Fachkräfte oder Expertinnen und Experten, die im Arbeitsmarkt tätig sind und aus allen Ländern kommen. Du hattest auch gefragt nach Zahlen: Da hatte ich ein bisschen was recherchiert vorher. Also zu den Spätaussiedlerinnen und Spätaussiedlern. Die hatten ihre Hochphase in den 1990er-Jahren. Da kamen die meisten, wie gesagt, nach dem Fall der Sowjetunion. Und da kamen circa zwei Millionen Menschen nach Deutschland in diesen zehn Jahre, in dieser Dekade. Zur Anzahl der Geflüchteten, die so im Moment in Deutschland leben und ich habe mal eine aktuelle Zahl von vom Ende von 2022, da sind es ungefähr drei Millionen Menschen, die gerade in Deutschland leben. Und zu den Expats, wie gesagt, ein bisschen schwammiger Begriff, da habe ich nur den Anteil von im Ausland geborenen sozialversicherungspflichtigen Beschäftigten gefunden und der Betrug 2023 ungefähr 15 Prozent an allen sozialversicherungspflichtig Beschäftigten, also knapp 5,3 Millionen Menschen.

00:07:35: Bastian Thüne Fangen wir mal mit Spätaussiedlerinnen und Spätaussiedlern an, weil da haben deine Kollegen auch geforscht. Ein Unterschied zwischen Spätaussiedlern und anderen Migranten ist, dass sie sofort die deutsche Staatsangehörigkeit besitzen oder bekommen haben und sie mussten auch keine Asyl- oder Arbeitserlaubnisverfahren durchlaufen. Hat sich das positiv auf deren Integration ausgewirkt?

00:07:59: Martin Lange Das ist ein bisschen schwer zu untersuchen. Also was wir von anderer Literatur wissen, die sich nicht die Spätaussiedlerinnen und Spätaussiedler angeguckt haben, wissen wir, dass die Länge des Asylverfahrens und Arbeitsmarktbeschränkungen negative Auswirkung hat auf die Arbeitsmarktintegration. Bei den Spätaussiedlerinnen und Spätaussiedler, wie du richtig sagtest, gab es die nicht, das heißt, es ist eigentlich ein positiver Effekt zu erwarten. Das Problem nur bei den Spätaussiedlern und Spätaussiedlern war, dass diese Gruppe in den Arbeitsmarkt integriert sind, dem sehr schlecht ging, zu der Zeit. Das heißt, sie hatten sehr, sehr schwierige Startchancen. Arbeitslosigkeit war hoch und deswegen fiel es den relativ schwer, im Arbeitsmarkt Fuß zu fassen. Viele, wie ich eingangs auch schon gesagt hatte, konnten auch nicht gut Deutsch, hatten auch keine großen Netzwerke, außer vielleicht entfernte Familienangehörige. Und das erschwert natürlich den Start ins Erwerbsleben. Das heißt, diese Gruppe hat es verhältnismäßig schwer, wirklich im Arbeitsmarkt Fuß zu fassen. Und das hat sich dann auch in den Beschäftigungsstatistiken sichtbar gemacht. Und die Gruppe hatte tatsächlich einfach Pech, sozusagen, dass der Arbeitsmarkt im schlechten Zustand war. Und deswegen sind die ersten Phasen der Arbeitsmarktintegration eher ungünstig verlaufen sind für sie.

00:09:22: Bastian Thüne Wenn das mit der Arbeitsmarktintegration aufgrund der damaligen wirtschaftlichen Lage nicht so gut geklappt hat, hat das zu mehr kriminellem Verhalten geführt?

00:09:30: Martin Lange Ja, da gibt es eine interessante Studie, die gezeigt hat, dass das die Zuwanderung von den Spätaussiedlerinnen und Spätaussiedler nach Deutschland die Kriminalität relativ stark erhöht hat. Vor allem bei Eigentumsdelikten. Und das führen die Autoren und Autoren auch oder die beiden Autoren auch zurück auf den Fakt, dass die Arbeitsmarktlage so schlecht war und die Integrationschancen deswegen nicht so gut waren für die für die Spätaussiedlerinnen und Spätaussiedler. Und zudem war kam auch noch der Fakt, dass Spätaussiedlerinnen und Spätaussiedler verteilt worden sind, über ganz Deutschland und dadurch auch Personen bestimmten Arbeitsmärkten zugeordnet worden sind, in denen ihre Fähigkeiten und Eigenschaften, die sie mitgebracht hatten, nicht gut gepasst haben, was noch mal mehr die Integration in den Arbeitsmarkt erschwert hat und dann natürlich auch ein Anreiz ist, dann zu devianten Verhalten, wie du das so schön genannt hast, und dort vielleicht auch Eigentumsdelikte zu stärker zu begehen.

00:10:35: Bastian Thüne Und weißt du, ob die Studie noch zeigen konnten?] Oder gibt es neuere Studien, wie sich die Integration das sind ja jetzt so dreißig bis fünfunddreißig 35 Jahre vorbei, ob die dann mit der Zeit dann doch geglückt ist, ob es das Verhalten sich geändert hat, also dass die Kriminalität auch wieder runter ging, meinetwegen Ende der Neunziger oder so?

00:10:55: Martin Lange Zu den Spätaussiedlerinnen und Spätaussiedlern, da kenne ich keine genauen Zahlen, was die Kriminalität angeht. Meistens sind diese Studien eher auf einen kurzen Zeitraum angelegt und man beobachtet sozusagen den Zustrom von diesen Menschen in eine bestimmte Region und guckt sich dann an: Sehen wir in dieser Region mehr Kriminalität, mehr Vorfälle, mehr Straftaten? Und das ist langfristig natürlich sehr, sehr schwer sich anzuschauen, weil über die Zeit Menschen umziehen, wegziehen, neue Menschen in die Region ziehen, es einfach sehr viel Fluktuation gibt und dann kann man so ein langfristiges Bild schwer valide erzeugen, würde ich sagen. Deswegen guckt man sich meistens immer den direkten Einfluss von Zuwanderung auf Kriminalität an.

00:11:39: Bastian Thüne Wenn wir jetzt auch, das sind jetzt keine Spätaussiedler, aber Menschen, die teilweise aus ähnlichen Gebieten kommen, also wie etwa diese sogenannten „Ruhrpolen“, die damals vor hundertfünfzig Jahren nach Deutschland kamen. Kein Mensch mehr würde heute auf die Idee kommen, jemand, der Kowalski mit Nachnamen heißt oder Grabowski noch irgendwie migrantisch zu lesen. Vor allem nicht, wenn die Menschen aus dem Ruhrgebiet stammen. Jetzt gibt es aber auch Gastarbeiter, Familien, die ja auch schon in der teilweise vierten, fünften Generation in Deutschland leben. Die werden aber immer noch irgendwie als fremd wahrgenommen. Gibt es irgendwie Zahlen dazu, ab wann eine Gruppe im Kollektiv so als integriert gilt?

00:12:20: Martin Lage Ich glaube, ein ganz wichtiger Faktor ist Zeit: Je länger Leute in einem Land leben, desto und auch bleiben, desto eher werden sie als Teil des Landes halt auch wahrgenommen und wie in dem Beispiel jetzt erwähnt, hat es da die Ruhrpolen, die ja Ende des 19. Jahrhunderts kamen, quasi die haben immer noch 50 bis 70 Jahre, also den Gastarbeitern Familien voraus, sozusagen. Also wenn wir jetzt darüber nachdenken, jetzt aber die sechste, siebte Generation der Gastarbeiterfamilien, ich glaube, die werden auch nicht mehr migrantisch gelesen werden. Ich glaube vor allem einfach der Faktor Zeit spielt eine ganz große Rolle.

00:13:00: Bastian Thüne Also Medien vermitteln ja auch Bilder und haben einen gewissen Einfluss auf Menschen. Also auch wir sind nicht ganz frei von Medien Bildern. ein Teil der Medien vermittelt den Eindruck, dass es einen unbedingten Zusammenhang zwischen Migration und Kriminalität gibt. Und jetzt ist die Frage Was sagen die Zahlen überhaupt dazu? Also ist es so oder Werden da einfach Kausalitäten hergestellt, die es so gar nicht gibt, in den Daten?

00:13:29: Martin Lange Das ist immer eine spannende Frage. Zunächst einmal gibt es ja kriminelles Verhalten überall in der Gesellschaft. Also unter Deutschen, unter Zugewanderten, unter Jugendlichen, aber auch unter Rentnerinnen oder Rentnern. Und Zugewanderte bilden hier natürlich keine Ausnahme. Wenn du nach den Zahlen gefragt hast, erst mal darüber sprechen, bevor wir über die über die Medien sprechen. Also Fakt ist tatsächlich, dass Zugewanderte in der Kriminalitätsstatistik überrepräsentiert sind. Aber es gibt circa 30 Prozent der Tatverdächtigen haben einen ausländischen Pass und es leben ungefähr 15 Prozent Ausländerinnen und Ausländer in Deutschland, das heißt stark überrepräsentiert. Aber hier muss man sehr, sehr viele Dinge beachten. Es gibt sehr, sehr viele Einschränkungen sozusagen dabei. Zum einen ist die in Deutschland lebende ausländische Bevölkerung relativ viel jünger als die deutsche, in Deutschland lebende Bevölkerung sozusagen. Sie ist auch vor allem männlicher. Also es gibt mehr Männer in der ausländischen Bevölkerung und das ist so eine Gruppe, die grundsätzlich mehr Kriminalität verursacht. Junge Männer, die in einer sozialen Umgebung aufwachsen, die vielleicht auch von Armut geprägt sind, die einen schwierigeren Zugang zum Arbeitsmarkt haben und so weiter. Vielleicht auch mit einem Milieu niedriger Bildungsniveau. Das sind alles Gruppen, die grundsätzlich es schwerer haben am Arbeitsmarkt und auch vor allem in der Kriminalitätsstatistik stark repräsentiert sind, überrepräsentiert sind Und diesen Typus findet man unter anderem auch unter Migranteninnen und Migranten. Und das heißt, es liegt nicht daran, an deren Herkunft, sondern einfach an deren sozioökonomischen Faktoren sozusagen, denen sie ausgesetzt sind. Das ist der eine Punkt. Der nächste ist halt auch, dass es so eine gewisse Tendenz gibt, dass ausländische Tatverdächtige oder Verdächtige öfters angezeigt werden als Deutsche. Ich hatte letztens zu Zahlen gesehen, dass zum Beispiel wenn es einen deutsch deutschen Konflikt gibt, also mit deutschen Tätern, Täterin und deutschem Opfer, das ist zu 10 Prozent angezeigt wird. Wenn aber der Täter oder die Täterin ausländisch ist und das Opfer Deutsch, dann wird es zu fast 20 Prozent angezeigt. Diese Fälle, die angezeigt werden, tauchen dann Kriminalitätsstatistik auf. Das heißt, wir haben so eine Verzerrung hin dazu, dass Straftaten oder Konflikte, die unter Deutschen passiert, weniger oft in der Statistik auftauchen. Und dadurch ist natürlich Statistik, die wir sehen, verzerrt. Und dann gibt es natürlich auch den Punkt, vielleicht als letzten noch, dass man bedenken muss, das auch quasi ein beachtlicher Teil der Kriminalität Grenzkriminalität ist, in Grenzregion passiert. Und da natürlich Ausländerinnen Ausländer überrepräsentiert sind, weil sie in den Ländern wohnen und sozusagen halt Personen in der Statistik auftauchen, die gar nicht in Deutschland leben, aber halt Straftaten in Deutschland begangen haben, zum Beispiel auch ausländische Touristeninnen oder Touristen. Und dann jetzt noch zu den Medien Vielleicht, die dann die Rolle der Medien angesprochen. Ich glaube hier, was hier wichtig ist, ist, dass die Medien ja schon nur eine Selektion von allen Straftaten berichten oder ein Ausschnitt von allen Straftaten überhaupt berichten. Sie berichten halt vor allem Straftaten, die eine öffentliche Relevanz haben, die uns emotional auch irgendwie ansprechen, wie zum Beispiel große Steuerskandale. oder Vergewaltigungen oder Morde. Und das sind Sachen, die jetzt in den Medien berichtet werden und die Leute mitkriegen. Und das alleine ist ja schon eine verzerrte Darstellung von Kriminalität, weil das sind Vorfälle, die passieren selten und ganz wenig, aber sind in den Medien überrepräsentiert, weil sie halt so extrem sind, natürlich. Aber da wird nicht die Kriminalstatistik wird in den Medien abgebildet. Das ist der eine Punkt. Und dann kommt dazu noch so eine migrantische Verzerrung in dem Sinne, dass halt oft, wenn Straftaten passiert sind, Täterinnen und Täter die Herkunft der Täterinnen und Täter genannt wird. Wenn diese Person aus dem Ausland kommt, also zum Beispiel ein Syrer hat eine Messerattacke gemacht oder so, aber es passiert nicht wenn es in Deutschland Täter ist. Also es wird selten gesagt, ein Deutscher hat eine Messerattacke gemacht und es gibt ein sehr schönes Studie zum Beispiel dazu, die gezeigt hat, dass wenn Medien konsequent die Herkunft der Täterinnen und Täter nennen, also genau das Herkunftsland oder die Nationalität, dass dann die Menschen Kriminalität und Zuwanderung gar nicht mehr so stark in einen Kontext setzen, weil sie auch öfters davon hören, dass halt auch Deutsche kriminell sind und nicht nur wie vorherigen Darstellung vor allem Migranten und Migranten.

00:18:07: Bastian Thüne In der Soziologie haben wir auch gelernt also was du gesagt hast, dass junge Männer mehr kriminelles Verhalten zeigen als jetzt ältere Männer oder junge Frauen oder ältere Frauen. Und Armut ist natürlich auch ein Faktor. Jetzt kamen 2015 viele Flüchtlinge aus dem Nahen Osten, also auch aus Syrien, unter anderem. Da das viele junge Männer waren, die auch erst mal keine gute Perspektive in Deutschland hatten und am Anfang ja auch ein Arbeitsverbot durch die Asylverfahren. Kannst du dazu was sagen? Eigentlich hätten die Kriminalitätsstatistik nach oben treiben müssen von den sozioökonomischen Faktoren.

00:18:51: Martin Lange Ja, genau, das ist eine super Frage. Das habe ich auch geforscht und eine Studie zu zu gemacht mit einer Arbeitskollegin. Und genau da gucken wir uns genau den in dem Punkt angeguckt bei uns an die Zuwanderung von 2015/2016, wo viele Geflüchtete nach Deutschland kamen und schauen uns an, welchen Einfluss hat das auf die Kriminalität in Deutschland und wie wir das machen? Es im Prinzip. Wir gucken uns an und wir schauen uns die Region an, den die Leute angekommen sind und schauen uns an, sozusagen würden erwarten, dass in einer Region, in der viele Geflüchtete untergebracht werden oder aufgenommen werden, dass dort die Kriminalität steigen würde. Wenn es einen Zusammenhang gibt zwischen mehr Geflüchtete in einem Ort und die Straftaten an diesem Ort. Wenn Regionen weniger Geflüchtete bekommen haben, dann würden wir dort erwarten, dass dort halt nicht weniger stark steigt. Das haben wir untersucht. Und gerade mit dem Hintergrund auch, den du genannt hast, dass halt die Geflüchteten zu aus dieser Zeit zu zwei Dritteln. Männlich waren, Männer waren und zu drei Vierteln halt unter 35, das heißt, es war genau diese Gruppe, wo man erwarten würde, dass die recht stark ansteigt. Was wir dann rausgefunden haben, ist, dass tatsächlich die Kriminalität ansteigt und quasi unmittelbar, also ein Jahr nach dem, nachdem sie angekommen sind und danach ist aber dieser Effekt weg, sozusagen. Danach sieht man das nicht mehr und dieser Anstieg ist aber relativ klein, also der ist statistisch aufspürbar und signifikant sozusagen, aber der ist super klein. Viel kleiner zum Beispiel als der aus der Studie mit den Spätaussiedlern über den wir vorher gesprochen haben. Und es geht und dieser Effekt ist nur sichtbar für Eigentumsdelikte und Gewaltkriminalität, also auch sehr wichtige Straftatkategorien, natürlich. Aber er ist sehr klein und wirklich nur für ein Jahr sichtbar und und es ist interessant, dass der halt nur sichtbar ist, sozusagen ein Jahr nach dem Ankommen der Geflüchteten. Und das führen wir auch vor allem darauf zurück, auf die Faktoren, die du schon genannt hast, dass sie in den ersten Zeit keinen Zugang zum Arbeitsmarkt haben, dass sie in prekären Unterkünften oder Wohnverhältnissen leben, in großen Unterkünften sehr lange auf ihren Asylstatus warten mussten, auf ihre Aufenthaltsgenehmigung und so weiter, also sehr viel Unsicherheit auch hatten und dass diese Zeit, in der sie halt in schwierigen Situationen gelebt haben, nicht arbeiten durften und es noch nicht mal klar war, wie lange sie bleiben. Dass das natürlich Faktoren sind, gepaart mit ihrer Sozio- Demografie, die natürlich uns nicht verwundern lassen, sozusagen, dass dort mehr Straftaten passieren und gegeben all diesen Faktoren ist der Anstieg sogar relativ niedrig. Man würde sozusagen erwarten, dass der Anstieg der Kriminalität eigentlich viel größer hätte sein müssen, wenn so viele ungünstige Faktoren zusammen treffen.

00:21:46: Bastian Thüne Also ist das auch ein Fall von die gefühlte Sicherheit oder gefühlte Annahmen sind dann doch wieder was anderes als was die Zahlen sagen?

00:21:56: Martin Lange Natürlich genau, auf jeden Fall. Und aber und das kommt ja auch einfach daher, dass das, was wir fühlen, also man hat ja kein realistisches Bild sozusagen von der von der Kriminalität, wie soll man das haben? Es ist es ja sehr einzelfallbedingt sozusagen: Entweder werde ich Opfer von Kriminalität oder nicht, entweder sehe ich Kriminalität ja oder nein oder ich lese davon in den Medien ja oder nein. Und darüber bilden wir uns ja unsere Welt oder unsere Vorstellung davon, wie Kriminalität in Deutschland aussieht. Und natürlich ist die verzerrt und die ist für alle Leute verzerrt, sozusagen außer für die Personen, die vielleicht die Kriminalstatistik erstellen. Aber ansonsten ist es für alle Menschen ja sehr, sehr schwierig, dort ein realistisches Bild sozusagen zu erhalten.

00:22:44: Bastian Thüne Jetzt gehen wir noch einmal auf das Jahr 2015 zurück. Das war ja nicht nur das Jahr mit dem berühmten Satz von Angela Merkel: „Wir schaffen das“. Es gab ja auch ein kein so schönes Ereignis an Silvester 2015 in Köln. Da gab es Übergriffe und das war dann schon ein Event, wo es tatsächlich so ein großes kriminelles Ereignis gab und sich viele in der Bevölkerung nicht nur in Köln, sondern auch anderweitig unsicher gefühlt haben. Dazu hast du ja auch eine Studie gemacht. Magst du die noch mal unseren Zuhörerinnen und Zuhörern vorstellen?

00:23:19: Martin Lange Ja, total gerne. Also da sprichst du ein super wichtiges Event an, meiner Meinung nach, weil ich glaub das Gefühl, dass die Kölner Silvesternacht so der Wendepunkt war in der Willkommenskultur. Und danach ist die Stimmung, glaube ich, relativ stark gekippt. Weil es das erste Großereignis war, wo sehr viel Kriminalität, sehr viele Straftaten verübt worden sind, sehr drastisch schlimme Straftaten und das von Asylsuchenden. Genau. Wir haben uns das ein bisschen genauer angeguckt, weil wir wissen wollten, was sind eigentlich die Auswirkungen auf die auf das Sicherheitsempfinden der Gesellschaft von so einem Großereignis? Und genau dann haben wir Umfragedaten dazu genommen und uns angeschaut, wie sich das Sicherheitsempfinden verändert vor der Kölner Silvesternacht und danach. Und wir sehen tatsächlich, dass Leute nach der Kölner Silvesternacht angeben, sich relativ unsicherer zu fühlen als zuvor und dass dieser Einfluss der Kölner Silvesternacht für maximal zwei Jahre erhalten bleibt und danach ist er wieder weg. Wir haben dann vor allem gefunden, dass Frauen und Personen, die sich eher politisch rechts einordnen, am stärksten von der Kölner Silvesternacht betroffen sind und ihr Sicherheitsempfinden sich am stärksten verändert. Und das ist auch für uns nicht war für uns auch sehr plausibel im Prinzip, weil Frauen waren, als die größte Opfergruppe im Prinzip und Personen im eher die sich eher als politisch rechts einordnenden sind Themen, die innere Sicherheit und Migration einfach auch wichtiger. Und sie konsumieren auch mehr Nachrichten und sind deswegen vielleicht einfach stärker in dem Thema drin und dem auch ausgesetzt gewesen. Genau dann haben wir noch uns angeschaut, als ein Indikator für die gefühlte Sicherheit sozusagen, nach was die Leute online suchen im Prinzip und haben festgestellt, dass so Suchanfragen nach Pfefferspray oder nach Selbstverteidigungsprodukten, dass die stark ansteigen. Nach der Kölner Silvesternacht. Und das ist auch für uns ein Indiz dafür, dass die Leute wirklich einen Verlust in ihrem Sicherheitsempfinden hatten und irgendwie versucht haben das zu kompensieren. Vielleicht mit einer Kaufabsicht von einem Sicherheitsprodukt, wie zum Beispiel Pfefferspray.

00:25:36: Bastian Thüne Ja, vielen Dank, dass du genau dieses Thema so ausführlich erklärt hast und auch noch mal in Kontext gesetzt hast, sodass man jetzt auch mal die realen Auswirkungen sieht. Gleichzeitig hast du aber auch viele eingeordnet, wie es jetzt zwischen einer gefühlten Bedrohung, einer medialen Berichterstattung von Bedrohung und Kriminalität und den tatsächlichen Zahlen aussieht, wie mit der Studie zu den Spätaussiedlern oder zu den syrischen Geflüchteten. Jetzt abschließend noch eine Frage: Was glaubst du, wie kann Integration gut gelingen?

00:26:11: Martin Lange Ja, das ist eine super gute Frage und ein bisschen kompliziert sozusagen zu beantworten. Also man kann sie nicht eindimensional beantworten, würde ich sagen. Ist immer die Frage als erstes welche Art von Integration meint man? Man kann über soziale Integration sprechen, man kann über Arbeitsmarktintegration sprechen. Es gibt ja verschiedene Ideen davon, quasi was Integration ist und dann noch mehr Ideen davon, was gute und gelungene Integration ist. Im Arbeitsmarkt-Kontext, in dem ich mich bewege und auskenne, schauen wir uns meistens natürlich an: Sind die Leute, haben die eine Beschäftigung gefunden? Ist es sozialversicherungspflichtige Beschäftigung? Ist das sozusagen eine gute Beschäftigung? Ist die adäquat zu den Qualifikationen, die die Leute haben oder arbeiten, die als Überqualifizierte in irgendwelchen Positionen? Wie sind deren Löhne? Das sind dann Faktoren, wie wir gute und gelungene Integration beurteilen können. Was dazu hilft, wie man hinkommt, sind ganz klassisch in der Arbeitsmarkt. Integration auf jeden Fall Sprache. Spracherwerb ist ein wichtiger Faktor, aber natürlich dann auch so was wie Qualifikationsanerkennung. Das heißt, die Migranten und Migrantinnen, die kommen, ihre Vorkenntnisse leicht und einfach anerkennen lassen können in Deutschland, das ist teilweise nicht so und da gibt es noch viel Nachbesserungspotenzial. Dann ist auch ein ganz wichtiger Faktor einfach eine gute Willkommenskultur, der es den Fachkräften oder Arbeitskräften auch einfach macht, hier anzukommen und auch Fuß zu fassen und dann am Ende auch eine gute soziale Integration zu haben, weil das Leben ist nicht nur Arbeit, sondern auch Freizeit und das ist ein großer Teil und der gehört natürlich auch dazu. Und wenn du mir das noch erlaubst, würde ich noch einen Kommentar sagen dazu: In Deutschland wird viel darüber diskutiert , wie wir jetzt vielleicht weniger Migration kriegen sollten, während eigentlich die Arbeitsmarktökonomen und Ökonomen sich mehr oder weniger einig sind, dass halt wir eigentlich viel, viel mehr Zuwanderung brauchen für unseren Arbeitsmarkt, um die Fachkräfte und Arbeitskräfteengpässe, die wir jetzt schon haben und die in Zukunft mit dem demografischen Wandel noch größer werden, bewältigen zu können. Also eigentlich brauchen wir eine etwas andere Stimmung in dem Land, dass wir, um unseren Wohlstand zu halten, eher versuchen müssten, mehr Fachkräfte und Arbeitskräfte aus dem Ausland und aus dem nicht europäischen Ausland vor allem auch nach Deutschland zu bekommen und sie hier halt gut zu integrieren.

00:28:54: Bastian Thüne Vielen Dank Martin, dass du heute da warst und uns faktenbasiert über dieses doch sehr heikle Thema aufgeklärt und informiert hast.

00:29:01: Martin Lange Danke! Vielen Dank für die Einladung. Hat mir sehr viel Spaß gemacht.

00:29:04: Bastian Thüne Danke auch fürs Zuhören beim ZEW-Podcast. Wenn das der Podcast gefallen hat oder ihr Fragen oder Anregungen habt, schreibt gerne eine Mail an podcast@zew.de. Wir sind gespannt auf eure Zuschriften.

00:29:22: Wirtschaft, Forschung, Debatten. Ein ZEW-Podcast.

Über diesen Podcast

Der Podcast des ZEW Mannheim.

von und mit ZEW – Leibniz-Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung

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