Wirtschaft · Forschung · Debatten

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00: 00:00: Das ist ein Hinweis, dass sie überproportional in Engpassberufen arbeiten und dementsprechend tendenziell zu einer Entlastung des deutschen Arbeitsmarktes beitragen.

00: 00:12: Musik.

00: 00:14: Wirtschaft, Forschung, Debatten. Der Podcast des Leibniz-Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung.

00: 00:25: Der 1. Mai ist der Tag der Arbeit - auch wenn er in diesem Jahr auf einen Sonntag gefallen ist. Am 1. Mai jährt sich außerdem die Erweiterung der Europäischen Union in Richtung Osten. Das war im Jahr 2004. Neben Malta und Zypern sind damals acht osteuropäische Staaten der EU beigetreten, nämlich Polen, Tschechien, Ungarn, die Slowakei, Slowenien und die baltischen Staaten. Das sind die sogenannten EU-8. Seit dem 1. Mai 2011 haben Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer aus diesen Ländern auch Zugang zum deutschen Arbeitsmarkt. Im Jahr 2014 kamen mit Rumänien und Bulgarien zwei weitere Staaten hinzu, die EU-2. Inzwischen sind mehr als eine Million Menschen aus den neuen EU-Mitgliedstaaten sozialversicherungspflichtig in Deutschland beschäftigt. Welche Berufe sie hier ausüben, darüber spreche ich jetzt mit Dr. Katrin Sommerfeld. Katrin leitet die Nachwuchsforschungsgruppe „Integration von Migranten und Einstellungen zum Sozialstaat“ am ZEW Mannheim. In dieser Folge erklärt sie, ob Deutschland von der EU-Osterweiterung profitiert hat. Besonders blicken wir auf den Fachkräftemangel und auf Qualifikationen, die Beschäftigte aus diesen Ländern mitbringen. Mein Name ist Carola Hesch. Herzlich willkommen. Hallo Katrin.

00: 01:48: Hallo Carola.

00: 01:50: Es ist ja sehr passend, dass der Tag der Arbeit auch der Tag ist, an dem die Arbeitnehmerfreizügigkeit in Kraft getreten ist. Aber woran lag es eigentlich, dass die Freizügigkeit für die acht osteuropäischen Staaten in Deutschland erst ab 2011 galt, also erst sieben Jahre nach ihrem EU-Beitritt?

00: 02:10: Ja, man hat damals in der gesamten EU vereinbart, dass die Länder für eine Übergangszeit ein Maximum von sieben Jahren gewähren können, in dem die Arbeitnehmerfreizügigkeit noch nicht gilt. Eine Randbemerkung: Die Niederlassungsfreiheit, also für selbstständige Personen, die galt sowieso von Anfang an. Wenn wir jetzt verstehen wollen, warum damals das Maximum von sieben Jahren Übergangszeit bis zur Arbeitnehmerfreizügigkeit in Deutschland voll ausgenutzt wurde, müssen wir uns nochmal in die Zeit zurückversetzen. Anfang der 2000er Jahre galt Deutschland noch als das Schlusslicht Europas in der Wirtschaftskraft und was den Arbeitsmarkt angeht. Es gab das den Begriff von der Roten Laterne für Deutschland. Das waren also ganz andere Zeiten als heute. Denn wir wissen, dass dann eben später das sogenannte deutsche Arbeitsmarktwunder begonnen hat und in der Zeit 2003 und 2005 wurden verschiedene Arbeitsmarktreformen durchgesetzt, die als Hartz-Reformen bekannt geworden sind, weil sie von der Hartz-Kommission empfohlen wurden. Es war eine Zeit, wo der Arbeitsmarkt in einer nicht so guten Verfassung war und eben diese Reformen sehr umstritten waren. Soweit waren wir eben einfach noch nicht, dass der Aufstieg des deutschen Arbeitsmarktes begonnen hatte. Da war einfach große Sorge vor Lohndumping und davor, dass Beschäftigung für Deutsche weniger würde, wenn Zuwander/-innen dazukommen.

00: 03:44: Hat sich das bewahrheitet?

00: 03:47: Nein, wir sehen ja ein kontinuierliches Wachstum des deutschen Arbeitsmarktes. Das muss man wirklich glaube ich so mal wahrnehmen. Das ist wirklich ganz enorm und das ist vielleicht in der öffentlichen Wahrnehmung gar nicht so präsent.

00: 04:01: Wie viele Einwanderinnen und Einwanderer sind dann gekommen und war das ungefähr das, was man vorher erwartet hatte?

00: 04:06: Genau, es gab vorher Schätzungen. Die gingen davon aus, dass im Nachgang zur EU-Osterweiterung so 160.000 Personen pro Jahr nach Deutschland einwandern würden – in den ersten zehn Jahren. Es gab auch Hans Werner Sinn, der eine sehr polarisierende Debatte gestartet hatte, der sogar von vier bis fünf Millionen Zuwander/-innen in den ersten 10 Jahren ausging. Aber diese 160.000, die sind waren tatsächlich eine ganz gute Prognose, denn es waren nach unseren Zahlen so ungefähr 175.000 Personen, die dann nach pro Jahr aus diesen Ländern nach Deutschland kamen. Also wir werden ja heute sprechen über die Länder der EU-8 und der EU-2, die du schon genannt hast. Eine weitere Einschränkung dessen, worüber wir aber gleich weiter sprechen wollen ist: Wir wollen ab jetzt nicht mehr über alle Zuwanderinnen und Zuwanderer sprechen, sondern über die Beschäftigten.

00: 04:56: Beschäftigte, das umfasst dann welche Gruppen genau?

00: 05:00: Ich fange mal lieber an mit der mit der Zahl an Personen, weil ich jetzt gerade eben gesagt hatte, 175.000 kamen ungefähr und wir zeigen, dass 107.000 Beschäftigte aus diesen Ländergruppen der EU-8 und EU-2 jährlich zusätzlich in Deutschland sozialversicherungspflichtige Beschäftigung gefunden haben und tatsächlich ist die sozialversicherungspflichtige Beschäftigung die mit Abstand größte Gruppe - also wichtigste Beschäftigungsform. Es gibt dann auch noch ein paar Personen, die sind ausschließlich geringfügig beschäftigt, umgangssprachlich also Minijobber. Und wir sprechen auch noch über entsendete Personen und Selbständige.

00: 05:42: Entsendete Personen, was machen die?

00: 05:45: Es gibt in der EU ein Arbeitnehmerentsendegesetz. Das sieht vor, dass Personen aus ihrem Heimatland von dem dortigen Arbeitgeber entsandt werden in ein anderes Land der EU, um dort eine Tätigkeit auszuüben. Dann unterliegen sie eben in dem Fall jetzt in Deutschland, also dem aufnehmenden Land, Regelungen wie der Mindestlohnregelung und Arbeitsschutzregelungen, die hier gelten. Allerdings wird im Prinzip der Lohn des entsendenden Landes gezahlt, also zum Beispiel Polen, weil sie sind ja dann dort bei einem beispielsweise polnischen Unternehmen beschäftigten, bis auf so etwas wie die Mindestlohnregelung, die gilt dann entsprechend wie sie in Deutschland gilt. Allerdings unterliegen die Person nicht den Sozialsystemen. Sie zahlen in die Heimat-Sozialsysteme ein und nicht in die von dem aufnehmenden Land. Lange Rede kurzer Sinn: Das sind Personen, die häufig von Polen sagen wir mal nach Deutschland entsandt werden, im Durchschnitt ist so eine Entsendung ungefähr 3 Monate lang, kann aber bis zu zwei Jahre betragen und muss dann einfach erneuert werden.

00: 06:58: Das ist dann der Unterschied zur sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung hier?

00: 07:02: Genau. Dazu kann man sagen, dass wenn wir uns jetzt alle EU-Länder vorstellen und die können alle Entsendeländer oder Empfängerländer sein, dann ist die Beziehung von Entsendung von Polen nach Deutschland tatsächlich die stärkste Entsendebeziehung in der gesamten EU. Deshalb habe ich sie eben auch als Beispiel genannt.

00: 07:23: Schwarzarbeit ist wahrscheinlich eine Beschäftigungsform, die ihr nicht ausgezählt habt?

00: 07:29: Richtig, da können wir einfach nicht einschätzen, welche Zahlen belastbar sind oder nicht. Dass es offizielle Zahlen nicht gibt, ist denke ich allen klar.

00: 07:39: Liegt in der Natur der Sache. Du hast ja schon gesagt, wie viele Leute inzwischen gekommen sind. Da liegt ja auch das Thema Fachkräftemangel nahe. Insbesondere in der Pflegebranche ist der Fachkräftemangel ein viel diskutiertes Thema. Durch Corona auch noch mal besonders wichtig geworden. Gehören die Alten- und Krankenpflege zu den Berufen, in denen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer aus diesen neuen EU-Mitgliedsstaaten, EU-8 und EU-2 besonders häufig anzutreffen sind?

00: 08:09: Also tatsächlich haben wir uns angeschaut, was die 15 wichtigsten Berufe sind, wo diese Beschäftigten arbeiten. Tatsächlich gehören der Altenpflege und Krankenpflege dazu. Nichtsdestotrotz sind es innerhalb dieser Top-15 Berufe nicht die dominierenden Berufe. Konkret ist der gesamte Ausländeranteil in der Krankenpflege ziemlich gering mit ungefähr 4 Prozent in 2011, 10 Prozent in 2019. In der Altenpflege ist es bisschen mehr, da wuchs der Anteil bis auf 14 Prozent im Jahr 2019. Wie werden aber nachher noch über andere Branchen sprechen, die sehr viel höhere Anteile an Beschäftigten, an ausländischen Beschäftigten haben. Aus der EU-8 und EU-2, aus diesen Ländern, ist tatsächlich dieser Anteil ziemlich gering. Da wächst die Beschäftigung so ein bisschen, aber man muss sagen, dass das Beschäftigungswachstum in diesen beiden Branchen ganz stark von Einheimischen geprägt ist und wir haben so ungefähr 40.000 Beschäftigte aus der EU in der Krankenpflege und ungefähr 30.000 in der Altenpflege. Der Anteil von diesen Ländergruppen ist also ziemlich gering unter allen Beschäftigten in diesen Berufen in Deutschland.

00: 09:28: Jetzt ist aber gerade in der häuslichen Pflege so das Klischeebild der Osteuropäerinnen recht präsent, die sich rund um die Uhr um Oma oder Opa kümmert. Dann ist es ja ein bisschen verwunderlich, dass die Zahlen so gering sind. Habt ihr eine Erklärung dafür?

00: 09:39: Ja, das ist ein guter Punkt. Tatsächlich beziehen sich die Zahlen, die ich jetzt eben genannt habe und auch im Weiteren nennen werde, auf die sozialversicherungspflichtig Beschäftigten. Das heißt, tatsächlich wird ein Teil dieser Pflegearrangements über Entsendung abgedeckt, darüber sprachen wir eben. Die sind nicht in den Zahlen drin, die ich gerade genannt habe. Ein weiterer Teil von häuslicher Pflege wird über Selbständige abgedeckt beziehungsweise Solo-Selbstständige. Dann wissen wir natürlich nicht, welcher Teil auch über Arrangements abgedeckt werden, die vielleicht nur zum Teil legal sind, wo vielleicht nicht der gesamte Beschäftigungsumfang angemeldet ist oder wie auch immer. Gerade im Bereich der häuslichen Pflege ist die Datenlage sehr unübersichtlich, weil es Beschäftigungsformen gibt, die im Graubereich liegen und das wäre auch unsere Empfehlung und unser Wunsch an die Politik: Es gibt ja gerade große Diskussionen darüber, wie man Pflegearrangements für die häusliche Pflege neu so versucht zu legalisieren, dass es einfach eine Sicherheit für alle Beteiligten gibt. Lange Rede kurzer Sinn: Man wird auf Basis der aktuellen Datenlage keine sinnvolle Evaluation von Politikmaßnahmen herstellen können und muss das eben mitbedenken, also eine gute Datengrundlage mitdenken, wenn man Politikreformen umsetzen will.

00: 11:06: Wenn es so schwierig ist, da an Daten zu kommen. Könnt ihr dann überhaupt eine Aussage darüber treffen, ob die Zuwanderung aus diesen Ländern den Fachkräftemangel aufhalten kann?

00: 11:18: Für die Pflegebranche im Speziellen kann ich das schlecht beantworten, weil da wie gesagt einfach so viele Beschäftigungsformen so wichtig sind, die gleichzeitig so schlecht gemessen werden können. Wenn wir uns aber das große Gesamtbild anschauen, dann wissen wir natürlich, dass wir ja jetzt schon Fachkräfteengpässe haben und das sicher davon auszugehen ist, dass sich das verschärfen wird in den nächsten Jahren, weil ja die Babyboomer in Rente gehen und einfach die Alterspyramide in Deutschland ja schon lange keine Pyramide mehr ist. Also wirklich Millionen von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer werden in Rente gehen. Jetzt fragt man sich, was passiert daraus? Ein Teil davon kann vielleicht durch Digitalisierung oder Automatisierung abgefangen werden. Ich denke da zum Beispiel an Kellnerinnen und Kellner im Restaurant, wo man jetzt immer öfter auch am Handy zum Beispiel bestellen kann. Aber das ist eine kleine Gruppe und es ist trotz technischen Fortschritts in der Arbeitsmarktökonomie vollkommen klar, dass wir weiterhin sehr viele Beschäftigte brauchen. Können jetzt diese Engpässe, die wir sicher haben werden, können die abgefangen werden durch die Zuwanderung? Ich würde sagen: Nicht. Wir haben zwar eine zunehmende Zuwanderung jetzt insbesondere aus den EU-8 und EU-2 Ländern über die wir heute sprechen. Aber die Millionen an Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die in Rente gehen werden, werden dadurch nicht abgefangen werden können.

00: 12:55: Hinzu kommt ja, dass diese Länder auch einen demografischen Wandel erleben.

00: 13:00: Natürlich. Wir sprechen hier natürlich auch ganz klar über Braindrain. Wenn die Person in Deutschland arbeiten, dann arbeiten sie nicht in dem Maße in ihren Heimatländern. Das hat natürlich auch potenziell gravierende Folgen für die Länder. Das müssen wir uns schon auch bewusst sein.

00: 13:16: Du hast ja gerade bezweifelt, dass die Zuwanderung ausreicht, um den Fachkräftemangel aufzuhalten. Wie kann man das eigentlich messen?

00: 13:26: Das ist natürlich schwierig zu messen, weil wir einfach verschiedene Dynamiken über die Zeit haben. Wir haben uns das so angeschaut: Es gibt von der Bundesagentur für Arbeit eine Klassifikation, welche Berufe als Engpassberufe klassifiziert werden. Da geht es zum Beispiel ein, wie viele vakante Stellen es gibt, wie lange die unbesetzt bleiben, und so weiter. Von dieser Definition sind wir ausgegangen, mussten das aus Datengründen noch ein bisschen aggregieren auf Berufsgruppen. Schauen uns also solche Berufe an, die als Fachkräfteberufe klassifiziert sind und schauen dann, wie viele der Beschäftigten arbeiten in diesen Berufen. Unter Deutschen ist es so, dass 32 Prozent der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten in solchen Berufsgruppen arbeiten, wo es Fachkräfte-Engpassberufe drin gibt. Diese Zahl ist jetzt erstmal nicht wichtig, die dient uns nur zum Vergleich. Wenn wir uns das nämlich anschauen für die Beschäftigten aus den EU-8 und EU-2 Ländern, also den verhältnismäßig neu beigetretenen südost- und osteuropäischen Ländern. Unter dieser Gruppe an ausländischen Beschäftigten arbeiten fast 43 Prozent in diesen Engpassberufen, also deutlich mehr als die Deutschen. Das ist ein Hinweis darauf, dass sie also überproportional in Engpassberufen arbeiten und dementsprechend tendenziell zu einer Entlastung des deutschen Arbeitsmarktes beitragen. Was ich vorher gesagt habe ist nur: Es wird überhaupt nicht ausreichen.

00: 15:04: Wenn zuvor in der Pflege hauptsächlich deutsche Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer tätig sind, sind diese Personen ja auch frei geworden, weil andere Berufe von diesen Einwanderinnen und Einwanderern übernommen werden. Was sind denn so die Branchen, in denen diese Leute besonders oft beschäftigt sind und vielleicht auch Deutsche verdrängt haben? Also verdrängt in einem positiven Sinne, dass sie woanders arbeiten können.

00: 15:34: Genau. Was du meinst würde ich bezeichnen als einen indirekten Entlastungseffekt. Wenn dadurch Menschen frei werden. Wir schauen uns an, in welchen Berufsgruppen arbeiten die Beschäftigten aus den EU-8 und EU-2 Ländern und ich muss jetzt hier nochmal den Disclaimer einbauen, dass wir uns nur die sozialversicherungspflichtige Beschäftigung anschauen. Wenn wir das tun, dann sehen wir, dass die meisten Beschäftigten in der Post- und Lagerwirtschaft arbeiten. Das sind so ungefähr 170.000 Beschäftigte aus diesen Ländergruppenden EU-8 und EU-2 zusammen. Auf Platz zwei unseres Rankings liegt dann die Fahrzeugführung im Straßenverkehr, also zu gut Deutsch Lkw-Fahrer. An dritter Stelle liegt die Reinigung mit immer noch gut 100.000 Beschäftigten.

00: 16:23: Besonders viele arbeiten ja auch in der Lebensmittelproduktion. Da gab es auch medial viel Aufmerksamkeit. Im Kontext der Corona-Einreisebeschränkungen gab es große Sorgen, dass Saisonkräfte nicht zum Spargelstechen kommen können und auch in der Fleischindustrie gab es Schlagzeilen, was die prekäre Beschäftigung und Werkverträge anging. Da hat sich ja seitdem auch die Gesetzeslage geändert. Wie wichtig sind denn die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer aus diesen Ländern für die Lebensmittelproduktion in Deutschland?

00: 16:56: Im Sektor der Lebensmittel- und Genussmittelherstellung haben wir tatsächlich ein Drittel von ausländischen Beschäftigten. Das ist Rang zwei nach der Reinigung, also das ist wirklich der zweithöchste Ausländeranteil, den wir so über die Berufsgruppen hinweg beobachten. Da sehen wir ein ganz interessantes Phänomen, weil die sozialversicherungspflichtige Beschäftigung in diesem Sektor eben gewachsen ist seit 2011. Das ist so unsere zeitliche Perspektive. Allerdings nur aufgrund des Wachstums von ausländischer Beschäftigung und tatsächlich geht die Beschäftigung von Einheimischen in der Lebensmittel- und Genussmittelherstellung zurück.

00: 17:43: Also das wäre praktisch eine Branche, wo dann Einheimische frei werden für andere Tätigkeiten.

00: 17:47: Genau und wenn die jetzt beispielsweise umschulen würden, sagen wir mal zu Krankenpflegerinnen und Krankenpfleger, dann hätte das so einen indirekten Entlastungseffekt für die Pflegebranche in Deutschland.

00: 17:59: Pflege ist ja vielleicht auch etwas, wo man mehr Sprachkenntnisse braucht als bei der Lebensmittelproduktion.

00: 18:10: Genau, das ist auch ein Effekt, den in der Literatur beobachten. Dass die Personen, die relativ bessere Sprachkenntnisse haben, auch von Zuwanderung profitieren können, indem sie in bessere im Sinne von anspruchsvollere Jobs gedrängt werden, die dann eben auch besser bezahlt werden. Ansonsten muss man aber sagen, dass das Berufsbild der Beschäftigten aus den EU-8 und EU-2 relativ breit ist. Von der Pflege bis zur Lebensmittelherstellung ist es schon mal ein großer Unterschied. Lkw-Fahrer habe ich auch schon erwähnt. Da sind die Anforderungen natürlich unterschiedlich. Es gibt aber innerhalb dieser Berufsgruppen tatsächlich ziemlich viele, wo die Anforderungen an sowas wie Sprache und Kommunikation relativ gering sind. Wir machen das, indem wir den Task-Inhalt der Berufe messen. Das ist sowas wie die Aufgabenzusammensetzung innerhalb eines Berufs. Da gibt es verschiedene Gruppen an Tasks und was uns hier interessiert sind die Nicht-Routine, interaktiven Tasks. Nicht-Routine heißt, ich kann es nicht automatisieren durch einen Computer und interaktiv heißt, ich habe mit einem Kunden, Klienten oder Patienten zu tun, sprich für diese Aufgaben braucht man zum Beispiel gute Sprachkenntnisse. Da ist es ganz krass zu sehen, dass es eben Berufsgruppen gibt, die von dieser speziellen Aufgabengruppe nur ungefähr ein Prozent oder sogar weniger - wenn man alle Aufgaben zusammenzählt - dann machen diese Nicht- Routine, interaktiven Task nur ungefähr ein Prozent aus. Das ist eben in der Lebensmittel- und Genussmittelherstellung der Fall. Das kann man sich gut intuitiv vorstellen. Wenn ich in der Schlachterei arbeite, dann ist die interaktive Kommunikation mit meinen Mitmenschen vielleicht relativ gering.

00: 20:17: Oder relativ routinebasiert.

00: 20:20: Ja genau oder dass der Teil, der dann Nicht-Routine interaktiv ist, ist einfach extrem gering, weil die Sachen entweder Routine sind oder nicht interaktiv sind. Weil mit einem toten Schwein brauche ich ja nicht mehr sprechen.

00: 20:36: Die Post- und Lagerwirtschaft, zählt die auch zu diesen Berufsgruppen?

00: 20:41: Die Post- und Lagerwirtschaft hatten wir identifiziert als diejenige Berufsgruppe, wo wirklich die Zahl an Beschäftigten aus der EU-8 und EU-2 am größten ist. Ich hatte vorhin schonmal gesagt, dass es jetzt ungefähr 170.000 sind und da ist einfach der Anstieg bei der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung aus den Ländergruppen der EU-8 und der EU-2 einfach enorm. Übrigens auch in den letzten Jahren aus den Asylherkunftsländern. Um das nochmal in andere Zahlen zu gießen. Für die EU-8 Länder hat sich die Zahl an sozialversicherungspflichtigen Beschäftigten in der Lagerei seit 2011 mehr als versiebenfacht und aus den EU-2 Ländern, also einfach nur Bulgarien und Rumänien, hat sich die Beschäftigung um den Faktor 24 vergrößert. Das ist ein Starten auf einem niedrigen Niveau und dann eine massive Erhöhung der Beschäftigung in der Post- und Lagerwirtschaft. Hier haben wir jetzt aber im Gegensatz zu dem was wir gerade eben diskutiert haben schon ein einen starken Anstieg der Beschäftigung in diesem ganzen Sektor. Das ist also höchstwahrscheinlich dem Versandhandel zuzurechnen. Der Sektor insgesamt wächst massiv, auch die ausländische Beschäftigung wächst und eben die ausländische Beschäftigung aus den EU-Ländern und gleichzeitig ist die Beschäftigung von Einheimischen bis zuletzt einigermaßen stabil. Im Gegensatz zu dem, was wir eben diskutiert haben, sehen wir da bis zu bis 2018 noch keinen rückläufigen Trend bei der einheimischen Beschäftigung. 2019 knickt es ein bisschen ab. 2020er Daten liegen mir noch nicht vor.

00: 22:32: Aber gerade das Paketeversenden und -lagern ist ja auch was, wo man eben relativ wenig Deutschkenntnissen arbeiten kann. Ist das dann so eine beliebte Einstiegsbranche auch für Einwanderinnen und Einwanderer?

00: 22:47: Absolut und damit wirfst du auch schon so einen Blick voraus. Wenn wir darüber sprechen, dass es einen guten Einstieg bietet, weil die Anforderungen an Sprachkenntnisse oder anderen Qualifikationen relativ gering sind, dann suggeriert es schon, dass vielleicht die Aufstiegsmöglichkeiten gerade nicht so gut sind. Also das, wie sich eine Beschäftigte, ein Beschäftigter mittel- oder langfristig entwickeln kann, das ist in dieser Branche wahrscheinlich nicht so sehr ausgeprägt. Dann kommen wir eben dazu: Wir brauchen die Fachkräfte, das haben wir ja schon gesagt und wenn man eben die Person mittel- oder langfristig in Deutschland halten möchte und an den deutschen Arbeitsmarkt binden möchte, dann wäre es wahrscheinlich vorteilhaft da auch Entwicklungsperspektiven zu geben. Das scheint jetzt in diesen Branchen, die ebenso so geringe Anforderungen haben, eher nicht der Fall zu sein.

00: 23:50: Wie ist das denn mit den Fähigkeiten, die die Leute schon mitbringen, wenn sie herkommen. Gibt es auch die Möglichkeit, wenn man jetzt einen qualifizierenden Berufsabschluss hat oder einen Hochschulabschluss, dann auch in Berufen zu arbeiten mit diesem Abschluss?

00: 24:06: Da können wir uns eine ganz einfache Gegenüberstellung anschauen. Von den Zugewanderten aus Rumänien und Polen weiß ich, dass ein Viertel dieser Personen einen Hochschulabschluss mitbringt. Demgegenüber stelle ich jetzt mal das Anforderungsniveau der Berufe, in denen die hier arbeiten. Da gibt es vier Kategorien. Das unterste sind die Helferberufe, da arbeiten so 44 Prozent der Beschäftigten aus allen EU-8 und EU-2 Ländern zusammen. Das nächst höhere Niveau sind die Fachkräfte und dann kommen noch die Kategorien Experten und Spezialisten. In der Fachkräfte-Kategorie arbeiten 47 Prozent, also fast die Hälfte der Beschäftigten aus den EU-8 und EU-2 Ländern. Bleiben also noch weniger als 9 Prozent für diese beiden höchsten Kategorien der Spezialisten und Experten. 9 Prozent ist auf jeden Fall weniger als 25 Prozent, auch wenn die Kategorien nicht ganz ein zu eins zueinander passen. Es ist denke ich aber ein deutlicher Hinweis darauf, dass die zugewanderten Beschäftigten im Schnitt unter ihrem Ausbildungsniveau arbeiten. Das nennen wir Downgrading. Das ist etwas, wo ich sagen würde, das können wir uns auf Dauer nicht leisten. Denn wie gesagt: Wir brauchen gut ausgebildete Fachkräfte und manche dieser Zugewanderten bringen diese Qualifikationen mit. Da hapert es am Anfang vielleicht noch mit Deutschkenntnissen die sie braucht, um die Kenntnisse auch voll zu nutzen. Aber das ist glaube ich das Potential, wo man darüber nachdenken muss: Wie kann man das wirklich nutzen? Weil das der deutsche Arbeitsmarkt auf jeden Fall brauchen wird.

00: 25:55: Zugespitzt: Wir haben die ausgebildeten Kräfte sogar schon im Land, aber sie arbeiten dann in der Paketzustellung.

00: 26:01: Richtig. Außerdem haben wir noch nicht genug von den Beschäftigten im Land.

00: 26:08: Was wäre dein politischer Appell: Was würdest du vorschlagen? Woran sollte man arbeiten?

00: 26:16: Es geht darum, das Potential zu heben was schon da ist und noch möglichst zusätzliche Arbeitskräfte anzuziehen, indem die Beschäftigung in Deutschland attraktiver wird und Deutschland als Standort bekannter und attraktiver wird. Konkret muss man wahrscheinlich darüber nachdenken, wie die Anerkennung von ausländischen Abschlüssen zügig und gut geregelt werden kann und wie man sowas wie Berufserfahrung möglichst gut als Qualifikation ausweisen kann. Das hat natürlich seine Engpässe. Aber die die Anerkennung von sämtlichen Qualifikationen ist sicherlich für alle Migrantengruppen ein wichtiger erster Schritt - gepaart natürlich damit, dass Deutschkenntnisse das A und O für viele Jobs sind. Außer da, wo das interaktive, Nicht-Routine-Tätigkeitsniveau nicht so hoch ist. Jedenfalls ist dieser Punkt der Anerkennung von Qualifikationen für sicherlich alle Migrantengruppen - egal woher - relevant. Das beinhaltet damit zum Beispiel eben auch Personen aus der Ukraine, die in Deutschland in den Arbeitsmarkt eintreten wollen. Das wird natürlich auch eine spannende Frage, wie sich das auf dem deutschen Arbeitsmarkt entwickelt.

00: 27:40: Auf jeden Fall. Vielen Dank Katrin für das Gespräch.

00: 27:44: Danke dir. Ich denke, wir sollten nochmal darauf hinweisen, dass vieles von dem was wir heute besprochen haben auf einer Kurzexpertise beruht, die meine Kollegin Katia Gallegos Torres und ich kürzlich verfasst und herausgebracht haben.

00: 27:58: Genau diese verlinken wir natürlich gerne in den Shownotes. In der Kurzexpertise kann man sich dann auch nochmal genauer die Entwicklung der Beschäftigung, der ausländischen und einheimischen Beschäftigung, im Zeitverlauf für die verschiedenen Berufsfelder über die wir gesprochen haben und auch noch über andere anschauen. Vielen Dank fürs Zuhören beim ZEW-Podcast. Wenn Ihnen der Podcast gefällt, freuen wir uns über Ihre positive Bewertung. Links zu den entsprechenden Podcast-Plattformen finden Sie auch in den Shownotes. Haben sie eine Idee, was gegen den Fachkräftemangel helfen könnte? Schreiben sie uns gerne an podcast@zew.de. Wir sind gespannt auf Ihre Zuschriften!

00: 28:35: Musik.

00: 28:37: Wirtschaft, Forschung, Debatten. Der Podcast des Leibniz-Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung.

Über diesen Podcast

Der Podcast des ZEW Mannheim.

von und mit ZEW – Leibniz-Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung

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