Wirtschaft · Forschung · Debatten

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00: 00:00: Frauen arbeiten mehr, machen trotzdem immer noch sehr viel mehr der unbezahlten Arbeit. Das beschränkt sie aber wiederum dann in den Arbeitsstunden, die sie leisten können. Es führt zu mehr Erwerbsunterbrechungen und so weiter.

00: 00:10: Musik.

00: 00:13: Wirtschaft, Forschung, Debatten. Der Podcast des Leibnitz-Zentrums für europäische Wirtschaftsforschung.

00: 00:23: Der 7. März 2022 ist Equal Pay Day. Der Tag soll auf die Lohnlücke zwischen den Geschlechtern aufmerksam machen. Frauen verdienen pro Stunde im Durchschnitt etwa 18 Prozent weniger als Männer. Auf das Jahr gerechnet sind das 66 Tage, also von Neujahr bis zum 7. März. Wenn man sich vorstellt, dass Frauen den gleichen Stundenlohn bekommen wie Männer, dann würden sie erst ab diesem Tag für ihre Arbeit auch bezahlt werden. Die geschlechtsspezifische Lohnlücke in Deutschland ist also erheblich. Warum die Kluft zwischen den monatlichen Einkommen sogar noch größer ist und wie sie sich im Laufe des Lebens entwickelt, darüber spreche ich jetzt mit Professorin Melanie Arntz. Sie ist stellvertretende Leiterin des Forschungsbereichs „Arbeitsmärkte und Personalmanagement“ am ZEW Mannheim. Wir reden darüber, warum es gar nicht so leicht ist, die Gründe für die Lohnlücke auseinanderzuhalten und wo die Politik ansetzen könnte, um Frauen noch bessere Einkommenschancen zu ermöglichen. Mein Name ist Carola Hesch. Herzlich willkommen. Hallo Melanie.

00: 01:29: Hallo Carola.

00: 01:31: Beim Equal Pay Day geht es um die Lücke zwischen den durchschnittlichen Stundenlöhnen. Aber Frauen und Männer sind in den Berufen gar nicht gleich vertreten. Zum Beispiel arbeiten Frauen seltener bei der Müllabfuhr und Männer nicht so oft in der Krankenpflege. Macht es dann überhaupt Sinn, eine Angleichung der Durchschnittslöhne zu fordern?

00: 01:50: Ja, das ist natürlich ich nur ein Aspekt, den du jetzt rausgreifst. Das ist richtig, dass ein Teil dieser Lohnlücke von er du eingangs sprachst geht sicherlich darauf zurück, dass Männer und Frauen einfach nicht dieselben Tätigkeiten ausüben und in verschiedenen Berufen sind. Aber interessanterweise ist es ja auch so, dass selbst innerhalb eines Berufes eine erhebliche Lohnlücke besteht. Insofern ist auch die Erklärung zu sagen, es liegt an unterschiedlichen Tätigkeiten an unterschiedlichen Berufen, die greift eben zu kurz und es ist es sehr viel komplizierter als das.

00: 02:18: Und was ist das Komplizierte daran?

00: 02:21: Genau, da habe ich dir jetzt eine Steilvorlage gegeben. Es ist sehr viel komplizierter, weil ganz viele Aspekte da zusammenkommen. Also was ist sozusagen die Lohnlücke die wir dann innerhalb von Berufen noch beobachten zwischen Männern und Frauen. Da spielen viele Dinge eine Rolle. Zum einen ist es so, dass Männer und Frauen unterschiedliche Erwerbskarrieren vollziehen, also Frauen häufiger Erwerbsunterbrechungen haben, häufiger in Teilzeit arbeiten, seltener Überstunden machen können, weil sie andere Verpflichtungen haben. All das führt dazu, dass sie eben einen Gewissen Nachteil haben, wenn es auch um Beförderungen geht, darum ihre Karriere voranzubringen. Das summiert sich im Laufe des Lebens. Das ist ein Aspekt, der auf jeden Fall dazu beiträgt. Dann ist es natürlich auch so, dass aufgrund eben dieser Verpflichtungen, die Frauen vielfach eben auch zu Hause eingehen, sich um Kinder zu kümmern. Sie kümmern sich häufiger um ältere Menschen, um Eltern die pflegebedürftig sind. All das führt dazu, weil sie das auch schon antizipieren, dass sie andere Entscheidungen hinsichtlich ihrer Erwerbskarriere treffen. Das alles summiert sich im Laufe der Zeit zu einer erheblichen Lohnlücke.

00: 03:28: Wenn du sagst, das summiert sich. Was bedeutet das für Entwicklung der Lohnlücke im Laufe des Lebens?

00: 03:34: Es ist so, dass wir am Anfang der Erwerbskarriere, wenn wir junge Menschen betrachten, nur eine relativ kleine Lohnlücke haben von ein paar Prozent. Wenn wir jetzt im Laufe der Erwerbskarriere voranschreiten wird es insbesondere mit dem Eintritt in die Elternzeit erheblich größer und am Ende beträgt es deutlich mehr als diese 18 Prozent, die im Schnitt beobachtbar sind. Man muss hinzufügen, dass sich das nur auf die Lohnlücke bezieht, was pro Stunde brutto verdient wird. Hinzu kommt, dass Frauen im Laufe der Zeit weniger Stunden arbeiten, sodass wir insgesamt einen erheblichen Unterschied im Lohneinkommen haben, was sich dann über diese ganze Erwerbskarriere hinweg zu einem erheblichen Nachteil bei den Renten addiert. Das ist etwas, dass wir als Gesellschaft adressieren müssen. 00:04:31: Wenn die Lücke am Anfang nur wenige Prozent beträgt, aber trotzdem schon da ist. Liegt das dann daran, dass Frauen von vornhinein in andere Berufe gehen?

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00: 04:41: Die Berufswahl spielt sicherlich eine gewisse Rolle. Es ist auf jeden Fall so, dass Frauen im Schnitt in Berufen arbeiten, die weniger gut bezahlt werden. Auch darüber könnte man sich schon länger unterhalten, warum das so ist. Zum einen kann es tatsächlich sein, dass es Präferenzen sind, dass Frauen und Männer einfach nicht die gleichen Berufe machen möchten. Auf der anderen Seite ist es aber auch so, dass Frauen sicherlich aufgrund der späteren Bedürfnisse, Familienleben und Beruf unter einen Hut kriegen zu wollen, von Anfang an dazu neigen Berufe zu wählen, die besser vereinbar sind. All das führt dazu, dass sie andere Berufe wählen, die dann häufiger auch mit niedrigeren Löhnen einhergehen. Das ist sicherlich ein Aspekt. Darüber hinaus gibt es aber auch eine Lohnlücke, die innerhalb der Berufe existiert. Das heißt, bei Frauen und Männer mit derselben Ausbildung, in demselben Beruf, gibt es immer noch eine erhebliche Lohnlücke zwischen Männern und Frauen.00:05:38: Das liegt dann an den geringeren Stunden, die gearbeitet werden?00:05:41: Das liegt zum Teil an diesen Nachteilen, die sich aus den Erwerbsunterbrechungen ergeben. Daraus, dass sie vielfach in Teilzeit beschäftigt sind und dadurch für die Karriereschritte die gerade in der Mitte des Lebens vollzogen werden, weniger in Betracht kommen oder in Betracht gezogen werden. Hinzu kommt, dass es auch Studien gibt die zeigen, dass Frauen weniger ihre Karriere einfordern. Sowohl seltener nach Lohnerhöhungen fragen, aber auch seltener Beförderungen anstreben oder das gezielt verfolgen. Das führt in der Mitte der Erwerbskarriere zu einem relativen Knick im Verhältnis zu Männern, was sich zu dieser starken Lohnlücke in den älteren Jahrgängen addiert.00:06:27: Könnte es nicht auch sein, dass eine Form der Diskriminierung vorliegt. Dass wenn Frauen nach Beförderung fragen, sie die weniger oft bekommen?00:06:36: Ob das bei Beförderungen so ist, weiß ich ehrlich gesagt nicht. Es gibt aber Studien die zeigen, dass beim Einstellungsverhalten Firmen sich gegenüber Männern und Frauen unterschiedlich verhalten. Beispielsweise gibt es eine Studie die darauf hindeutet, dass wenn Firmen Lebensläufe bekommen von Männern und Frauen mit genau demselben Lebenslauf, dass Frauen seltener zum Vorstellungsgespräch eingeladen werden. Dass das ein diskriminierender Nachteil ist der auch bedeutet, dass der Zugang zur Beschäftigung auch schwieriger ist für Frauen. Was sich wiederum natürlich auch auf den Lohn auswirken kann, weil es bedeutet, dass sie im Zweifel bereit sind, einen geringeren Lohn in Kauf zu nehmen, um ein Beschäftigungsverhältnis zu bekommen.00:07:34: Diese Diskriminierung: Wie erklärt die sich? Gibt es da immer noch die Vorstellung, dass Frauen vielleicht nicht zum Arbeiten geeignet sind?00:07:42: Ich glaube, dass ist weniger der Fall. Bei Diskriminierung muss man im Grunde genommen zwei Formen unterscheiden. Das eine ist eine sogenannte taste-based Diskriminierung. Eine Diskriminierung, bei der die Tatsache, dass jemand eine Frau ist, als Diskriminierung ausgelegt wird aufgrund solcher Vorstellungen. Das ist meines Erachtens eher der kleinere Teil. Relevanter ist glaube ich das, was wir statistische Diskriminierung nennen. Die Tatsache, dass es auf Arbeitsmärkten immer Informationsprobleme gibt. Wenn man beispielsweise ein Bewerber für eine Stelle vor sich hat, nie eine volle Transparenz über dessen Fähigkeit hat. Und dann folgendes Phänomen passiert: Dass das, was man über eine Gruppe an Personen im Schnitt weiß übertragen wird auf den Bewerber. Bei Frauen bedeutet das, wenn ich als Arbeitgeber bereits antizipiere, dass eine Frau häufiger in Elternzeit geht, dass sie irgendwann in Teilzeit geht, dass sie weniger karriereorientiert ist und vielleicht weniger Überstunden in ihren Job stecken kann, kann das dazu führen, dass das zum Nachteil ausgelegt wird und das zu einer Form von Diskriminierung führt.00:08:54: Diese Diskriminierung kann wiederum die Entscheidungen beeinflussen, die Frauen treffen. 00:09:00: Ja, mit Sicherheit. Gerade diese statistische Diskriminierung fällt ja nicht vom Himmel. Das hat tatsächlich mit unterschiedlichen Verhaltensweisen beider Gruppen zu tun. Dass wir diese unterschiedlichen Verhaltensweisen sehen, ist ein Spiegel von Geschlechternormen die wir haben, von Vorstellungen darüber, wer bestimmte Tätigkeiten übernimmt. Es ist interessant zu sehen, dass wir in den letzten 20, 30, 40 Jahren enorme Fortschritte gemacht haben, was die Arbeitsmarktbeteiligung von Frauen betrifft. Wir haben mittlerweile nur noch ein paar Prozent weniger an Frauen die beschäftigt sind als Männer. Allerdings ist ein großer Teil dieses Zuwachses an Erwerbsbeteiligung bei Frauen ist Teilzeitarbeit. Das ist einerseits eine gute Entwicklung. Gleichzeitig ist es aber trotzdem so, dass sich nach wie vor ganz große Unterschiede zwischen Frauen und Männer halten, was die unbezahlte Arbeit betrifft. Da kommen wir wieder zu dieser Diskriminierung zurück. Unbezahlte Arbeit meint genau das sich kümmern um Kinder, um ältere Pflegebedürftige und auch Haushaltstätigkeit. Trotz dieser Annäherung in der Erwerbsbeteiligung ist diese Lücke in der unbezahlten Arbeit sehr groß geblieben und hat sich in den letzten Jahren relativ wenig angenähert. Das heißt, Frauen arbeiten mehr, machen trotzdem immer noch sehr viel mehr der unbezahlten Arbeit. Das beschränkt sie aber wiederum dann in den Arbeitsstunden, die sie leisten können. Es führt zu mehr Erwerbsunterbrechungen und so weiter. Wenn man darüber nachdenkt, wie wir zu einem gleichberechtigteren Verhalten am Arbeitsmarkt kommen wollen, was dann letztendlich dazu führen würde, Diskriminierung zu reduzieren, dann muss man an all den Punkten ansetzen, die den gesellschaftlichen Wandel voranbringen. Die dazu führen, dass sich zum Beispiel Väter mehr einbringen in die Betreuung ihrer Kinder und solche Aspekte. Wenn da eine Wahrnehmung wächst, dass das nicht unbedingt die Frauen sind, die das am Ende leisten, sondern vielleicht auch die männlichen Arbeitnehmer, führt das auch nicht mehr zu einem potentiellen Nachteil, Kinder bekommen zu wollen. Genau das sind die Hebel, über die wir nachdenken müssen, wenn wir noch Fortschritte erzielen wollen. 00:11:11: Zumindest bei Hetero-Paaren ist es oft so, dass die Frau für Kinder, für die Pflege von Angehörigen ihre Arbeit reduziert, weil sie sowieso weniger Euro pro Stunde bekommt. Ist das nicht ein Teufelskreis?00:11:26: Absolut. Das ist dieses Henne-Ei-Problem. Weil die Welt quasi so ist wie sie ist, wird sie auch so reproduziert, mal philosophisch gesprochen. Ein gesellschaftlicher Wandel setzt im Kleinen an. Das sind keine Prozesse, die über Nacht passieren. Nehmen wir mal die Reform des Elterngeldes. Das war so ein Hebel. Wenn es darüber gelingt, mehr Männer in die Betreuung von Kindern stärker einzubinden, wenn sie das im Kleinkindalter tun wirkt das auch darüber hinaus fort, dann kann das genau solche Veränderungsprozesse anstoßen, die dazu führen, dass am Ende die Lohnlücke kleiner wird. Je kleiner die Lohnlücke wird, umso weniger gibt es das Argument, dass der Ehemann sich spezialisiert auf die Erwerbsarbeit und die Frau nach wie vor stärker die unbezahlte Arbeit leistet. Das heißt, am Ende muss man irgendwo ansetzen. Wir leben in einer freien Marktwirtschaft und wollen keine Löhne diktieren. Das kann nicht der Hebel sein. Natürlich gibt es die Vorgabe „equal pay“ für „equal work“. Da gibt es mit Entgelttransparenzgesetzen Hebel, um da den Blick darauf zu werfen. Wenn man diese ganzen anderen Aspekte, Berufswahl, Erwerbsunterbrechung, in Angriff nehmen will, muss das über solche Hebel funktionieren, die zu einem gleichberechtigteren Handhaben von all den Aufgaben beiträgt, die es gibt. Das ist dann nicht nur die Erwerbsarbeit, sondern auch die unbezahlte Arbeit. Wenn wir da mehr auf Augenhöhe sind, umso weniger wird es auch zu einem Nachteil für Frauen in ihrer Erwerbskarriere.00:13:07: Jetzt ist es ja so, dass in Deutschland trotzdem die Frauen den größten Anteil der Elternzeit nehmen und die viele Väter nur diese zwei Monate. Reicht das, um wirklich was zu bewegen?00:13:21: Ich glaube, es ist ein guter Anfang. Es ist so, dass wir aus Studien wissen, dass diese sogenannten Vätermonate in Anspruch genommen werden. Das ist allemal besser als nichts in dieser Richtung. Es ist sicherlich immer noch relativ wenig. In skandinavischen Ländern ist der Anteil an diesen Vätermonaten deutlich höher und ich denke, dass man auch in Deutschland über so eine Entwicklung nachdenken sollte, da die Väter möglicherweise noch mehr in die Pflicht zu nehmen. Weil nur dann ein dauerhafter Effekt eintreten kann im Hinblick auf diese Betreuungsaufgaben, wenn da eine gewisse Schwelle überwunden wird. Ich weiß, dass in vielen Fällen diese Vätermonate parallel zu den Müttern genommen werden. Dann hat es nicht unbedingt die Wirkung, tatsächlich in diese Betreuungsaufgabe reinzuwachsen und zu einer dauerhaften Veränderung in den Familien beizutragen. In Skandinavien, wo man das viel ausgiebiger nutzt, auch schon sehr viel länger diese Vätermonate existieren, hat man tatsächlich eine andere Aufteilung dieser Aufgaben in den Familien damit anstoßen können. 00:14:32: Ist in diesen Ländern dann auch die Lohnlücke geringer?00:14:35: Die Lohnlücke ist in den skandinavischen Ländern auf jeden Fall kleiner als in Deutschland. Allerdings muss man sagen, dass diese internationalen Vergleiche von Lohnlücken kompliziert sind, weil ganz viele Aspekte mit hineinspielen. Was eine Rolle spielt ist, wie viele Frauen am Erwerbsleben teilhaben. Beispielsweise in Italien ist die Lohnlücke ziemlich klein, mit am kleinsten in Europa. Jetzt würde man denken, das ist ja total gut. Aber das hängt damit zusammen, weil gleichzeitig die Erwerbsbeteiligung von Frauen in Italien auch am geringsten ist. Und man dann das Phänomen hat: Je weniger sich beteiligen, je mehr sind es die wirklich gut ausgebildeten Frauen. Das rechnet die Lohnlücke sozusagen kleiner. Das heißt, solche internationalen Vergleiche muss man immer mit ein bisschen Vorsicht genießen. Wenn wir jetzt Skandinavien und Deutschland vergleichen: Die Skandinavier haben nochmals eine etwas höhere Erwerbsbeteiligung als wir und die Lohnlücke ist da kleiner. Es deutet schon was darauf hin, dass das die richtige Richtung ist und wirksam wird.00:15:38: Also würdest du sowas auch für Deutschland vorschlagen?00:15:42: Ich würde das grundsätzlich begrüßen, bei einer weiteren Reform des Elterngeldes diese Vätermonate auszuweiten. Momentan ist es so, dass man zwei zusätzliche Monate bekommt, wenn die Väter sich beteiligen. Nichts spricht aus meiner Sicht dagegen, diesen Väteranteil nochmal zu erhöhen. Ich glaube es war aber auch richtig, mit zwei Monaten zu beginnen. Das sind gesellschaftliche Prozesse, die in Gang gesetzt werden können und müssen, wenn man in diese Richtung arbeiten will. Das braucht einfach Zeit und da muss sich auch die Einstellung der Arbeitgeber verändern, das sind Gewöhnungsprozesse. Mit zwei Vätermonaten zu beginnen und das jetzt vielleicht sukzessive auszuweiten ist genau der richtige Weg, diesen Wandel immer weiter voranzubringen. 00:16:26: Gibt es auch gegenüber den Männern gewisse Normen, wo sie sich nicht trauen abzuweichen, also zum Beispiel, dass der Arbeitgeber sagt: Elternzeit sehen wir nicht so gerne. Oder dass Männer bewusst Berufe suchen, von denen sie die Familie ernähren können?00:16:41: Es ist ganz sicher so, dass häufig da noch Vorbehalte auch auf Seiten der Arbeitgeber bestehen, mehr gegenüber Männern als Frauen, wenn es darum geht, Elternzeit in Anspruch zu nehmen. Das führt sicherlich dazu, dass nicht alle die gerne wollen dann auch tatsächlich diese Elternmonate nutzen. Das sind Veränderungsprozesse, die erstmal wirken müssen. Je mehr wiederum das machen, umso selbstverständlicher wird das und umso mehr bauen sich Vorurteile seitens der Arbeitgeber ab. Natürlich ist ein großes Problem, dass derzeit aufgrund der Lohnlücke es so ist, dass Väter im Schnitt mehr verdienen als Mütter und dann immer das Argument auf der Hand liegt, dass es aus Sicht des Familieneinkommens Sinn macht, wenn eben die Frau reduziert und weniger arbeitet und der Mann doch nicht diese Elternzeit in Anspruch nimmt. Insofern sind es wirklich die kleinen Schritte. An der einen Seite etwas zu schaffen, reduziert die Lohnlücke. Das wiederum kann dann zu anderen Entscheidungen beitragen. Daran sieht man schon, wie komplex das ist und wie schwierig es ist, über einen einzigen Hebel zu verbessern. Wir brauchen an verschiedenen Stellen Hebel. Angefangen, junge Frauen und Mädchen darin zu unterstützen, eine Perspektive zu entwickeln Richtung andere Berufe. Den Zugang zu den STEM-Berufen, also den mathematisch-naturwissenschaftlichen Berufen, attraktiv zu machen. Die Neigungen, die vorhanden sind, wirklich zu fördern. Das ist ein Hebel. Das andere ist die Frage, wie wir zukünftige die Nicht-Erwerbsarbeit auf die Schulter von Männern und Frauen verteilen. Wenn wir an all diesen Stellen ansetzen, dann kann das am Ende des Tages auch zu einer Reduzierung der Lohnlücke beitragen.00:18:38: Die EU-Kommission hat auch festgestellt, dass es eine große Lohnlücke gibt, natürlich unterschiedlich in den verschiedenen Ländern, und hat einen Action-Plan verabschiedet. Wie würdest du diesen einschätzen?00:18:49: Letztendlich spiegelt dieser Action-Plan gut wider, was wir gerade besprochen haben. Er versucht an all diesen verschiedenen Stellschrauben anzusetzen: Angefangen im Bildungsbereich, wenn es darum geht Frauen zu fördern. Überhaupt in Programmen, die arbeitsmarktwirksam sind, diese Genderperspektive mitzudenken. Dafür zu sorgen, wenn es zum Beispiel um die Entwicklung von digitalen Fähigkeiten geht, dass Frauen mitgenommen werden und genauso den Zugang zu diesen Programmen haben. Dann geht es darum, über genau solche Programme wie Elternzeit die Beteiligung von Männern an der Betreuung von Kindern zu erhöhen. Auch dafür zu sorgen, dass eine gewisse Transparenz an Entgelten vorhanden ist. Es gibt Entgelttransparenzgesetze, die in vielen Ländern schon wirksam sind. All das trägt dazu bei, am Ende diese Lohnlücke zu reduzieren. Wir wissen aber auch, dass das in der Vergangenheit ein langsamer Prozess war. Die Lohnlücke hat sich in den letzten 20, 30 Jahren hat sich im Schnitt um einen halben Prozentpunkt im Jahr reduziert, wobei das in den letzten Jahren ein bisschen stagniert, bei diesen was du anfangs sagtest 18 Prozent. Die ersten paar Prozent sind leichter abzubauen als die letzten. Selbst wenn man das alle macht, wir werden diese Lohnlücke sicherlich nur sehr, sehr sukzessive noch reduzieren können.00:20:32: Du hast gerade die Entgelttransparenzgesetze angesprochen. Was können die bewirken?00:20:38: Die Entgelttransparenzgesetze setzten in den Firmen an. Sie sollen dafür sorgen, dass Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer Transparenz darüber gewinnen, wie in diesen Firmen Männer und Frauen für ähnliche Tätigkeiten entlohnt werden. Die Idee daran ist, dass Frauen dann eher einen Blick davon bekommen, dass sie für das was sie in der Firma leisten möglicherweise mehr entlohnt werden sollten. Und das dann dazu beiträgt, dass sie sich zum Beispiel in Lohnverhandlungen stärker für sich selbst einsetzen. Das ist vom Grundsatz her eine gute Idee. Das Problem ist ein bisschen, dass die Lohnlücke innerhalb der Firma gar nicht so das Hauptproblem ist. Wir sagten eingangs, dass das Problem schon bei unterschiedlichen Berufen anfängt. Das Problem ist, dass Männer und Frauen unterschiedliche Erwerbsverläufe nehmen und das Problem ist auch, das haben wir noch nicht angesprochen, dass Männer und Frauen sich in unterschiedliche Firmen selektieren. Frauen arbeiten verstärkt in nicht so hoch entlohnenden Firmen. Die Lohnlücke in ein und derselben Firma ist oft gar nicht so das große Problem. Wenn man Männern und Frauen mit denselben Tätigkeiten in ein und demselben Unternehmen vergleicht, dann haben wir meistens keine so große Lohnlücke, die über ein Entgelttransparenzgesetz reduziert werden könnte. Insofern ist eher die Frage, warum Frauen in anderen Berufen arbeiten, in anderen Sektoren, in anderen Firmen und am Ende des Tages mit einer anderen Kontinuität als Männer. Das sind die Kernfragen, die es zu adressieren gibt. Nichtsdestotrotz sendet so ein Entgelttransparenzgesetz ein gutes Signal. Es sendet das Signal, dass wir auf jeden Fall den Anspruch haben müssen, für die gleiche Tätigkeit dasselbe zu bezahlen und zu bekommen.00:22:38: Das Motto beim Equal Pay Day dieses Jahr lautet „Equal Pay 4.0“ – gerechte Bezahlung in der digitalen Arbeitswelt. Du bist auch Spezialistin für die Zukunft der Arbeit. Was würdest du sagen: Welche Herausforderungen bringt die Digitalisierung für die Einkommensunterschiede zwischen den Geschlechtern mit sich?00:22:49: Es ist ein kompliziertes Thema. Zum einen ist es so, dass wir mit der Digitalisierung ein verändertes Lohngefüge bekommen und die Digitalisierung in der Tendenz dazu führt, dass wir bestimmte höhere Qualifikationen und auch bestimmte Fähigkeiten wie digitale Fähigkeiten höher entlohnt werden, also mit einer höheren Fähigkeitsrendite sozusagen einhergehen. In dem Maße, indem Frauen in diesen Berufen, die von der Digitalisierung profitieren, unterrepräsentiert sind, gerade naturwissenschaftlich, IT-Fächer, haben sie weniger Zugang zu diesen besseren Löhnen. Das heißt, wenn sich an der Verteilung von Männern und Frauen in den Berufen nicht viel verändert, dann könnte es gut sein, dass die Digitalisierung zu einer wachsenden Lohnlücke beiträgt. Insofern würde das wiederum dafür sprechen, dass wir nochmal mehr darauf hindrängen müssen, dass Frauen gerade auch dieselben IT-Fähigkeiten mitbringen und sich da in der verändernden Arbeitswelt behaupten können. Die besteht natürlich nicht nur aus IT-Fähigkeiten, sondern letztendlich immer aus einer Kombination aus IT-Fähigkeiten und nicht kognitiven Fähigkeiten. Gerade diese Kombination wird in der neuen Arbeitswelt besonders honoriert. Wenn Frauen da genügend digitale Fähigkeiten mitbringen, um in diesen Berufen Zugang zu bekommen, können sie sogar besonders davon profitieren, weil sie da im Grunde genommen sicherlich gebraucht werden und gute komplementäre Fähigkeiten mitbringen. De facto ist es so, dass wir momentan sehen, dass die digitalen Fähigkeiten, wenn man die von Männern und Frauen vergleicht, bei Frauen leider weniger ausgeprägt sind. Was wieder damit zu tun hat, dass Mädchen sich weniger schon in der Schule in diese Fächer selektieren und so weiter. Das sind natürlich Dinge, die gerade vor dem Hintergrund der sich wandelnden Arbeitswelt nochmal wichtiger werden, um da auch weiterhin die Chancengleichheit für Männer und Frauen zu wahren.00:24:56: Aber woher wissen wir, dass es vielleicht einfach auch zumindest im Durchschnitt mangelndes Interesse ist an solchen Tätigkeiten ist?00:25:04: Das ist immer eine große Gretchen-Frage. Natürlich kann es gut sein, dass selbst wenn wir jetzt umfassend schulen und Mädchen die entsprechenden Ausbildungen und Fähigkeiten über die Schule zukommen lassen, das nichtsdestotrotz sehr viel weniger Mädchen diese Berufe später ergreifen. Das ist sicherlich zum Teil auch so, weil es da auch unterschiedliche Präferenzen gibt. Auf der anderen Seite sind Präferenzen natürlich auch immer ein Stück weit wiederum ein Spiegel von Geschlechternormen. Da schließt sich wieder der Kreis. Wenn die Wahrnehmung dieser Berufe so ist, dass das Berufe sind, die mit meinem Wunsch nach Familie nicht vereinbar sind, weil ich aber auch im Kopf habe, dass dieser Wunsch bedeutet, dass ich mich dann mehr kümmern muss, dann ist die Hürde diese Berufe zu ergreifen höher als sie eigentlich sein müsste. Dass es unterschiedliche Präferenzen gibt ist vollkommen legitim und die soll es auch geben. Natürlich würden wir uns wünschen, dass grundsätzlich jeder die Möglichkeit hat, seine Fähigkeiten so gut es geht einzusetzen und dann die Berufe zu wählen, unabhängig von solchen Fragen und potentiellen Einschränkungen im späteren Erwerbsverlauf. Insofern brauchen wir einerseits diesen besseren Zugang in jungen Jahren und gleichzeitig auch eine Förderung entlang des gesamten Lebensverlaufs, um Frauen in diese neuen Berufsfelder zu integrieren und da Chancen zu eröffnen.00:26:38: Was würdest du abschließend sagen? Was ist deine Message an Frauen?00:26:44: Wenn ich einer jungen Frau einen Rat geben müsste, würde ich ihr vermutlich sagen, dass man eben nicht seine Erwerbsentscheidungen allzu sehr danach treffen sollte, was vielleicht gut vereinbar mit der Familie ist. Das heißt nicht, dass es ein legitimer Wunsch ist, später Familie und Beruf vereinbaren zu wollen. Aber ich glaube, wir müssen darum ein Stück weit kämpfen, beides zu tun. Das heißt natürlich auch im Kleinen, Privaten dafür zu kämpfen, dass wir Möglichkeiten finden, mit unseren Partnern zusammen ein Aufteilen von Aufgaben zu finden, dass es einem ermöglicht, sowohl seine beruflichen Fähigkeiten einzubringen als auch das andere zu tun. Ich glaube das wäre mein Rat, mit ein bisschen Mut seine Karriere zu planen und dann wird man sicherlich aus meiner Sicht auch belohnt.00:27:46: Aber was ist, wenn man sich für einen typischen Männerberuf einfach nicht erwärmen kann?00:27:51: Natürlich wird nicht jede Frau plötzlich Informatiker werden. Das muss auch gar nicht sein. Es ist wie gesagt völlig legitim, dass es unterschiedliche Präferenzen gibt und man sich einen frauentypischen Beruf aussucht. Auch wenn man sich so einen Beruf wählt kommt es darauf an, dass man trotzdem mutig seine Karriere voranbringt. Dass man auch als Frau nach Lohnerhöhungen fragt und man versucht seine Karriere wirklich zu planen und voranzubringen. Die Tatsache, dass man vielleicht auch eine Familienplanung vor sich hat, nicht zum Anlass nimmt, sich in die zweite Reihe zu stellen und die Karriere anderen zu überlassen. Gerade deshalb, weil wir auch wissen, dass man eine Karriere schlecht nachholen kann. Wenn man die in einem gewissen Alter nicht absolviert, wenn man bestimmte Karriereschritte nicht vollzieht wird es auch schwierig, das nachzuholen. Deswegen ist es wichtig, dass auch während einer Phase der Familienplanung nicht vollkommen aus den Augen zu verlieren und da kann jeder und jede einzelne in ihrem Berufsleben dazu beitragen. 00:28:56: Also, dass Frauen von ihrem Umfeld und der Gesellschaft mehr einfordern.00:29:02: Ja, dass sie selber mehr Verantwortung übernehmen. Letztendlich sich so verhalten wie ihre männlichen Kollegen auch. Die kommen auch auf die Idee, nach Lohnerhöhungen zu fragen und sich für Beförderungen zu empfehlen. Frauen sind einfach oft nicht mutig. Sie sind risikoaverser und mögen den Wettbewerb nicht so. Da gibt es auch Studien dazu. All das führt dazu, dass sie sich oftmals zu zurückhaltend verhalten und dann nicht die Karrierefortschritte erzielen wie ihre männlichen Kollegen.

00: 29:39: Vielen Dank Melanie, für diese Tipps und für das Gespräch. Danke auch fürs Zuhören beim ZEW Podcast. Wenn ihnen der Podcast gefällt, freuen wir uns über ihre positive Bewertung. Links zu den entsprechenden Podcast-Plattformen finden sie in den Shownotes. Was denken Sie über die geschlechtsspezifische Lohnlücke? Schreiben Sie uns gerne an podcast@zew.de. Wir sind gespannt auf Ihre Zuschriften.

00: 30:06: Musik.

00: 30:09: Wirtschaft, Forschung, Debatten. Der Podcast des Leibniz-Zentrums für europäische Wirtschaftsforschung.

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