Wirtschaft · Forschung · Debatten

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00: 00:00: Der Deponieraum für CO2 ist knapp. Und in unserem marktwirtschaftlichen System sind es genau Preise, die die Knappheit von Ressourcen und Gütern abbilden.

00: 00:11: Musik.

00: 00:14: Wirtschaft, Forschung, Debatten. Der Podcast des Leibniz-Zentrums für europäische Wirtschaftsforschung.

00: 00:24: Der Klimawandel stellt eine enorme Herausforderung für die Menschheit dar. Ursache der Erderwärmung ist der Ausstoß von Treibhausgasen wie CO2. Die EU plant deshalb ab dem Jahr 2050 klimaneutral zu sein, also keine Treibhausgasemissionen mehr zu verursachen. Dabei setzt sie unter anderem auf Preise für CO2. Welche Rolle eine CO2-Bepreisung für den Klimaschutz in Deutschland und Europa spielen kann - darüber spreche ich jetzt mit Professor Sebastian Rausch. Er leitet den Forschungsbereich „Umwelt- und Ressourcenökonomik“ am ZEW Mannheim und er forscht unter anderem zum Thema Vermeidung und Bepreisung von CO2-Emissionen. Mein Name ist Carola Hesch, herzlich Willkommen. Hallo Sebastian.

00: 01:15: Hallo Carola.

00: 01:16: Lass uns zum Einstieg mal einen Blick auf das Problem werfen. Warum verursachen Unternehmen und Haushalte CO2-Emissionen, obwohl das schlecht für das Klima ist?

00: 01:27: Klimaschädliche Emissionen entstehen praktisch in fast allen Bereichen der Wirtschaft und des alltäglichen Lebens. Und CO2-Emissionen entstehen eben als unbeabsichtigte Folge des Marktgeschehens. Sie sind das Ergebnis von erst einmal wünschenswerten, zielgerichteten, wertvollen Aktivitäten von Produzenten, die Waren und Dienstleistungen produzieren, die wir als Verbraucher wollen. Seit der industriellen Revolution haben wir gelernt, mit natürlich gespeicherter Sonnenenergie, nämlich in der Form von fossilen Brennstoffen, umzugehen. Dies hat in Verbund mit anderen institutionellen Innovationen wie privaten Eigentumsrechten und dem Prinzip des Wettbewerbs, die eine wichtige Grundlage für unsere marktwirtschaftlich organisierten Systeme bilden, zu hohem ökonomischen Wachstum und Wohlstand geführt. Gleichzeitig ist aber das unbeabsichtigte Nebenprodukt dieser wertschöpfenden ökonomischen Aktivität: Treibhausgasemissionen. Das zentrale Problem besteht darin, dass die vielen ökonomischen Entscheidungen, die in unserem dezentral organisierten Wirtschaftssystem von Firmen und Konsumenten getroffen werden, die Kosten von Treibhausgasemissionen überhaupt nicht oder meist nur sehr unvollständig berücksichtigen. In dem Zusammenhang sprechen Ökonomen von einer Externalität, also eine wirtschaftlich bedeutsame Auswirkung einer Aktivität, deren Folgen zumindest teilweise von anderen Parteien getragen werden, als die Partei, die die Externalität verursacht. Ganz konkret im Kontext des Klimaproblems heißt das, dass Firmen und Konsumenten als Verursacher von Treibhausgasemissionen die sozialen Kosten von Klimaschäden nicht ausreichend in ihren Entscheidungen berücksichtigen und im Ergebnis deswegen zu viele schädliche Emissionen verursachen.

00: 03:11: Also, wenn ich zum Beispiel in den Urlaub fliege, denke ich hauptsächlich an meinen Urlaub und nicht genug daran, dass das für das Klima schädlich ist.

00: 03:20: Genau richtig. Das liegt auch daran, dass Klimaschutz ein sogenanntes globales öffentliches Gut ist. Während der Ausstoß des Treibhausgases lokal passiert, treten die Konsequenzen dieses Ausstoßes global auf. Die direkte Wahrnehmung der Konsequenz - sozusagen von der Handlung als Konsument - die ist nicht unmittelbar möglich und die Folgen bleiben deswegen abstrakt. Ein anderer Grund ist auch, dass Klimaschäden zum Teil weit in der Zukunft liegen und vor allem zukünftige Generationen betreffen werden und deswegen auch die Konsequenzen für das heutige Handeln oft abstrakt bleiben.

00: 03:58: Und welche Rolle spielt der Markt dabei?

00: 04:01: Die Rolle des Marktes, allgemeiner gesprochen die ökonomische Perspektive, sind essentiell. Dafür gibt es im Wesentlichen drei Gründe: Zum einen sind die Ursachen für das Klimaproblem – wie ich eben schon erläutert habe – letztlich ökonomischer Natur. Die Treibhausgasemissionen sind das Ergebnis von wirtschaftlicher Aktivität in einem Marktsystem, welches die Kosten von Klimaschäden nicht oder nur unzureichend abbildet. Das ist der erste Grund. Der zweite ist, dass die Konsequenzen des Klimawandels eine wichtige ökonomische Dimension haben. Es ist inzwischen wissenschaftlich belegt, dass ein weiterer ungebremster menschlich verursachter Klimawandel signifikante ökonomische Kosten mit sich bringen wird. Die Zerstörung von Ökosystemen und wirtschaftlich bedeutsamen Ökosystemdienstleistungen, sinkende Produktivität in der Nahrungsmittelproduktion, aber auch Kosten in der Form von unmittelbaren direkten Auswirkungen für den Menschen, zum Beispiel durch erschwerten Zugang zu sauberem Wasser, die Ausbreitung von Krankheitsüberträgern – um jetzt nur einige Beispiele zu nennen. Und natürlich die Kosten für die Anpassung an den Klimawandel. Das ist der zweite Grund, warum eine ökonomische Perspektive wichtig ist. Und der dritte ist: Wenn die Ursachen des Klimaproblems letztlich ökonomischer Natur sind und die Folgen wirtschaftliche Dimensionen haben, dann kann eine ökonomische Perspektive nützlich sein, um zur Lösung des Klimaproblems beizutragen. Ich würde sogar behaupten, sie ist für ein umfassendes Verständnis des Klimaproblems unerlässlich. Wenn wir uns vorstellen, dass wir keinen radikalen Systemwechsel anstreben, dann ist die Frage doch, wie es uns gelingt, Anreize in unserem marktwirtschaftlichen System zu etablieren, um Treibhausgasemissionen zu mindern. Und dies auf eine Art und Weise, die die Rolle des Marktes als Ursache für Treibhausgasemissionen berücksichtigt und sich gleichzeitig aber auch die Kraft des Marktes für das Bereitstellen und Umsetzen von Lösungen zur Emissionsminderung zu Nutze macht.

00: 06:07: Der Klimawandel ist ja ein weltweites Problem - du hast es ja schon ausgeführt. Wie viel Zeit bleibt uns denn noch und welche Auswirkungen hat das auf die Umweltpolitik?

00: 06:18: Das ist eine schwierige Frage, da es natürlich trotz aller vorliegenden wissenschaftlichen Evidenz zahlreiche Unsicherheiten gibt.Und zwar sowohl in den klimaphysikalischen als auch in den sozioökonomischen Systemen. Der menschlich bedingte Klimawandel und dessen Konsequenzen sind das Ergebnis der Interaktion zwischen diesen komplexen Systemen. Es bestehen zum Beispiel Unsicherheiten darüber, wie zukünftig Emissionspfade aussehen, aber auch wie kumulative Emissionen sich auf das Klima auswirken, welche ökonomischen Auswirkungen der Klimawandel tatsächlich haben wird und auch letztlich darüber, wie in der Zukunft gewählte klimapolitische Interventionen auf die Ökonomie und damit auch wieder die Emissionen wirken werden. Und im Lichte dieser Unsicherheiten sollte man aus diesem Grund Klimaziele in Bezug auf Emissionsreduktion, oder formuliert als Temperaturziele, als eine Art Risikomanagementproblem sehen. Wenn wir um Beispiel das 1,5 Grad Klimaziel aus dem Pariser Klimaabkommen nehmen, dann bedeutet das, dass wir Emissionsminderungspfade wählen, die mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit, laut den Analysen des Weltklimarates mit ca. neunzigprozentiger Wahrscheinlichkeit, die Erwärmung unter 2 Grad halten werden. Ist das 1,5 Grad Ziel das richtige Ziel, ist das die richtige Zahl? Zumindest ist dies ein Ziel, welches im Lichte der bestehenden Unsicherheiten und Grenzen unseres Wissens den Worst-Case- Szenarien relativ viel Gewicht verleiht, um eben diese zu vermeiden. Die Frage ist also letztlich, welches Risiko sind wir bereit als Gesellschaft auf uns zu nehmen? Welches Ambitionslevel in der Klimapolitik wählen wir, um für uns sozial annehmbare Chancen zu haben, den Klimawandel zu begrenzen und Kosten zu vermeiden. Etwas konkretere Zahlen an der Stelle, weil du gefragt hattest, wie viel Zeit uns noch bleibt: Wenn wir uns die Erderwärmung heute anschauen, dann liegt sie bereits bei etwa 1,2 Grad Celsius. Die Emissionspfade, die wir erreichen müssen, um das 1,5 Grad Ziel zu erreichen, die sehen vor, dass wir global gesehen unsere Emissionen in den nächsten zehn bis fünfzehn Jahren halbieren müssen und in 2050 Netto-Null-Emissionen erreichen. Und das ist natürlich sehr ambitioniert. Vor allem bedeutet das auch, dass die politische Umsetzung von effektiver Klimapolitik massiv beschleunigt werden muss.

00: 08:58: Um bei dem Punkt zu bleiben: Wie sieht es denn in Deutschland und Europa mit den Klimaschutzregeln aus? Was gibt es da schon und was sind aktuell die politischen Rahmenbedingungen?

00: 09:10: In Deutschland und Europa sind bereits eine ganze Reihe von Rahmenbedingungen für den Klimaschutz umgesetzt worden. So wurde 2004 bereits das europäische Emissionshandelssystem eingeführt. Dies deckt in etwa 45 Prozent der europäischen Emissionen ab. Seit 2009 gibt es die sogenannte Effort Sharing Regulation (ESR), oder Lastenteilungsvereinbarung, die Emissionen in den Sektoren reguliert, die nicht vom Emissionshandelssystem abgedeckt sind. Besonders in den vergangenen Jahren ist viel Bewegung in die politischen Regulierungen des Klimaschutzes gekommen. So wurde auf EU-Ebene der EU Green Deal auf den Weg gebracht und erst vor einigen Wochen wurden mit dem EU-Klimaschutzgesetz nochmals strengere Ziele für die Reduktion von Treibhausgasen in den Mittelpunkt der europäischen Politik gestellt. Das Ziel der Klimaneutralität bis 2050 ist für Europa somit erstmals gesetzlich festgeschrieben worden und in diesem Zusammenhang soll bis 2030 der CO2-Ausstoß um mindestens 55 Prozent unter den Wert von 1990 sinken. In Deutschland hat die Bundesregierung 2019 mit dem Klimaschutzgesetz einen CO2-Preis für die Treibhausgasemissionen in den Sektoren beschlossen, die eben nicht in dem europäischen Emissionshandelssystem erfasst sind. Dieser Preis soll schrittweise steigen und damit ist dann auch zumindest einmal der Einstieg in eine Sichtbarmachung der Kosten von Emissionen durch entsprechende Preise geschafft. Und vielleicht kann man an der Stelle noch hinzufügen: Eine ganz aktuelle Entwicklung, die nochmal den deutschen Kontext untermauert, ist das kürzlich gefasste Urteil des Bundesverfassungsgerichts, welches das deutsche Klimaschutzgesetz in Teilen für verfassungswidrig erklärt hat. Der Hintergrund hier ist, dass das aktuelle deutsche Klimaschutzgesetz zwar definiert hat, dass Deutschland bis 2050 klimaneutral werden soll, es aber nicht festgelegt hat, wie die Einsparungsziele nach 2030 und bis 2050 erreicht werden sollen. Somit lässt die aktuelle Version des Klimaschutzgesetzes offen, wie diese mutmaßlich schwerer und teurer zu erreichenden Reduktionsziele für die Zeit zwischen 2030 und 2050 realisiert werden sollen. Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts besagt im Wesentlichen, dass es nicht angehe, die notwendigen CO2-Reduktionen weitgehend in die Zukunft zu verlagern, um die Gegenwart zu verschonen. Damit verletze das Klimaschutzgesetz in der aktuellen Form die Freiheitsrechte künftiger Generationen. Das war die Argumentation in diesem Urteil. Vor diesem Hintergrund wird die deutsche Politik die Ziele für 2030 jetzt schon sehr rasch nachbessern, das heißt verschärfen müssen. Dies dürfte dann aller Voraussicht nach die CO2-Preise in den Sektoren, die nicht vom europäischen Emissionshandel erfasst sind, in Deutschland nochmal stärker erhöhen.

00: 12:13: Wir hatten ja schon besprochen, dass CO2-Preise dafür sorgen sollen, dass die Marktakteure die gesellschaftlichen Kosten von ihren Handlungen und den Emissionen, die dadurch entstehen, in ihre Entscheidung einpreisen. Gibt es denn auch Studien, die zeigen, dass das in der Praxis funktioniert?

00: 12:31: Das ist in der Tat eine gute Frage, da es in der wissenschaftlichen Literatur noch erstaunlich wenige sogenannte ex-post-Evaluierungen von CO2-Bepreisungsprogrammen gibt. Das liegt auch unter anderem daran, dass noch bis vor einigen Jahren eine substantielle CO2-Bepreisung – sei es durch eine CO2-Steuer oder auch Emissionshandelssysteme - nur in relativ wenigen Ländern auch tatsächlich umgesetzt wurden. Insofern war und ist teilweise immer noch die Verfügbarkeit von Daten begrenzt, aus denen man empirisch über die Performanz von CO2-Preisen lernen kann. Ich denke, wenn man die Frage stellt, funktionieren CO2-Preise, dann sollte man sich - bevor man sich dieser Frage empirisch nähert - nochmal in Erinnerung rufen, welche Rolle Preise ganz allgemein in unserem marktwirtschaftlich organisierten System eigentlich haben. Preise erfüllen in unserem marktwirtschaftlichen System eine wichtige Koordinations- und Anreizfunktion. Preise koordinieren die individuellen Pläne von Unternehmen und Verbrauchern. Sie liefern Informationen und Signale über die Knappheit und den Wert von Gütern und Dienstleistungen. Die Vielzahl von den Marktentscheidungen, die jeden Tag getroffen werden, basieren maßgeblich auf Preisen. Wie jeder andere Preis auch hat ein CO2-Preis daher erst einmal das Potential, auch ökonomisches Verhalten zu beeinflussen und Entscheidungen zu lenken. Wenn man die Rolle des Preises und des CO2-Preises weiterdenkt, dann ist es hilfreich, den Kern des Klimaproblems anzuschauen. Der Kern ist, dass die Fähigkeit unserer Atmosphäre, CO2 aufzunehmen, begrenzt ist. Um es in anderen Worten zu sagen: Der Deponieraum für CO2 ist knapp. Und in unserem marktwirtschaftlichen System sind es genau Preise, die die Knappheit von Ressourcen und Gütern abbilden. Und wenn ein Gut knapp ist, dann lenkt der Preis für dieses Gut die Entscheidung über die beste ökonomische Verwendung. Aus genau diesem Grund sind Ökonomen der Ansicht, dass CO2-Preise funktionieren. Sie helfen den Firmen und Konsumenten zu verstehen, dass die Atmosphäre ein knappes Gut ist und lenken Marktverhalten entsprechend. Zum Punkt der empirischen Evidenz, die in deiner Frage steckte: Es gibt zwar relativ wenig Evidenz, aber es gibt sie. Ich kann hier exemplarisch von einer Studie berichten, die wir am ZEW durchgeführt haben, wo wir uns den Strommarkt in Großbritannien angeschaut haben und untersucht haben, ob und in welchem Ausmaß die dort eingeführte CO2-Steuer tatsächlich dazu geführt hat, CO2-Emissionen zu reduzieren. Dazu haben wir das Verhalten von einzelnen Kraftwerken anhand von Hochfrequenzdaten auf stündlichen Strommärkten über einen Zeitraum von mehreren Jahren analysiert. Dieser Zeitraum erfasst die Zeit vor und nach der Einführung der britischen CO2-Steuer. Das Ergebnis aus dieser Studie ist ziemlich eindeutig. Eine relativ moderate CO2-Steuer in Großbritannien hat in dem Zeitraum von drei Jahren zwischen 2013 und 2016 in etwa 15 Prozent der kohlebasierten Stromproduktion aus dem Markt genommen und insgesamt die CO2-Emissionen im Stromsektor um sechs Prozent reduziert. Das ist ein Ergebnis, also CO2-Preise funktionieren in Bezug auf Reduktion von Emissionen. Das zweite ist, dass wir auch die Kosten berechnet haben. Hier haben wir herausgefunden, dass im Durchschnitt die Reduktion einer Tonne CO2 mit dieser CO2-Steuer in Großbritannien 18 Euro gewesen ist. Das ist deswegen interessant, weil es auch zeigt, dass Emissionen mit CO2-Preisen zu relativ geringen Kosten reduziert werden können.

00: 16:24: Das ist ja dann schon eine deutliche Wirkung. Kann man aus den Emissionshandelssystemen, die es in einigen Ländern schon gibt, auch schon irgendwelche Lehren ziehen?

00: 16:35: Insbesondere von dem europäischen Emissionshandelssystem (EU ETS), welches das größte Emissionshandelssystem weltweit ist, haben wir seit der Einführung 2004 schon einiges lernen können. Sowohl in Bezug auf das was funktioniert hat, aber auch das was bei der zukünftigen Ausgestaltung besser bedacht werden muss. Aus der Perspektive der reinen Emissionsminderung geschaut kann man sagen, dass das EU ETS bisher eine Erfolgsgeschichte ist. Die von den Regulierungsbehörden festgelegten Emissionsreduktionsziele wurden erfüllt und die Kostenbelastung für die Unternehmen blieb dabei relativ gering. Weil die Emissionen können sozusagen konstruktionsbedingt in einem Emissionshandelssystem nie über dem cap, also der Höhe der Obergrenze liegen - die Reduktionsziele werden automatisch erreicht. Solange das cap ausreichend ehrgeizig ist, wird die Politik wirksam sein. Es besteht auch Konsens darüber, dass die schrittweise jährliche Reduzierung von Zertifikaten, wie wir sie im europäischen Emissionshandel vorgesehen haben, ein Schlüsselelement ist, um den Beitrag zu einer langfristigen, tiefergreifenden Dekarbonisierung zu leisten. Aus langfristiger Sicht – darauf schauend was nicht so gut funktioniert hat und noch verbesserungsfähig ist- werden die niedrigen CO2-Preise im europäischen Emissionshandel teilweise kritisch beurteilt. Es hat den Anschein, dass das Preisniveau bisher nicht ausgereicht hat, um Innovation und Investitionen anzustoßen, die zum Erreichen der langfristigen Ziele notwendig sind. Was die Gefahr birgt, die Glaubwürdigkeit dieser Ziele zu untergraben. So waren zum Beispiel in der zweiten Phase des europäischen Emissionshandels die Preise für einen Zeitraum von mehreren Jahren recht niedrig, etwa in der Größenordnung von drei bis sechs, sieben Euro pro Tonne CO2. Der Grund dafür sind mehrere Faktoren, die zusammengewirkt haben und die die Nachfrage nach Zertifikaten effektiv reduziert haben. Da kam zum einen die ökonomische Krise in 2008/2009, es gab aber auch überlappende Politikmaßnahmen für die Förderung von erneuerbaren Energien und Energieeffizienzstandards und auch die Nutzung von internationalen

00: CO2-offsets oder Krediten. Eine wesentliche Lektion die wir gelernt haben ist, dass ein inflexibles Handelssystem mit einem fixen Angebot an Emissionszertifikaten ungeeignet sein kann, um diese langfristigen Anreize zur CO2-Vermeidung zu entfalten. In jeder der vier Phasen des Emissionshandels wurden Reformmaßnahmen ergriffen, die eigentlich darauf abzielten, den Preis für CO2, den Preis für Emissionszertifikate, zu erhöhen. Zuerst wurde das durch einen einmaligen Eingriff in das System versucht, das sogenannte Backloading, welches effektiv Emissionszertifikate heute verknappt, um sie in die Zukunft zu schieben. In der jetzigen Phase existiert eine sogenannte Marktstabilitätsreserve, die versucht, mit einem regelgebundenen Ansatz den Überschuss an Emissionszertifikaten innerhalb einer vorgegebenen Bandbreite zu halten. Dieser Mechanismus wird in der Zukunft noch weiterentwickelt werden müssen. Ich denke eine Hauptlektion, die wir aus der Erfahrung mit dem europäischen Emissionshandel gelernt haben, ist, dass ein Emissionshandelssystem in der Lage sein muss, auf externe Faktoren in einem sich ständig verändernden Marktumfeld zu reagieren und gleichzeitig eine langfristige Sicherheit der Politik und der Preissignale zu gewährleisten.

00: 20:11: Jetzt hatten wir es vorher schon davon, dass nicht alle Sektoren im EU-Emissionshandelssystem drin sind. Könnte man diese Maßnahmen – ETS auf der einen Seite und Lastenteilung auf der anderen - sinnvoll zusammenführen?

00: 20:29: Der momentane Ansatz ist diese zweigeteilte Regulierung. Die führt natürlich zu unterschiedlichen CO2-Preisen. Unter dem europäischen Emissionshandel sehen sich die Sektoren einem einheitlichen europäischen CO2-Preis gegenüber. Dadurch können die Emissionen zu den geringsten Kosten vermieden werden. Die Sektoren unter der Effort Sharing Regulation sind dagegen mit CO2-Preisen konfrontiert, welche sich nicht nur nach Sektoren, sondern auch nach Ländern unterscheiden. Um die volkswirtschaftlichen Kosten der verschärften Klimaziele zu minimieren und um unbeabsichtigte Verteilungseffekte innerhalb und zwischen den Ländern zu vermeiden, sollten diese Preisunterschiede minimiert und bestenfalls eliminiert werden. Dies erfordert eine Anpassung der bestehenden Architektur der europäischen Klimapolitik hin zu mehr Flexibilität bei der Emissionsvermeidung sowohl über die Sektoren als auch über die Mitgliedsstaaten hinweg.

00: 21:30: Und wie könnte man das machen?

00: 21:32: Da gibt es mehrere Möglichkeiten. Zum einen kann man sich vorstellen, dass ein einheitlicher EU-weiter CO2-Preis dadurch erzielt werden kann, dass das europäische Emissionshandelssystem ausgeweitet wird - nämlich auf die Sektoren, die momentan nicht abgedeckt sind: Verkehr, Gebäude, Wärme und Landwirtschaft. Dies würde ich sagen, scheint in der kurzen Frist politisch eher schwer umsetzbar, sollte aber dennoch perspektivisch als Konvergenzpunkt in der Debatte um die Umsetzung der verschärften Klimaziele dienen. Eine zweite Möglichkeit ist ein europäisches Emissionshandelssystem, welches die Sektoren in der Effort Sharing Regulation umfasst. Dadurch würden die Preisdifferenzen zumindest innerhalb dieser Sektoren miniminiert werden. Es würden sich dann zwei europäische Preise für CO2 etablieren. Um eine möglichst kostengünstige Vermeidung zu garantieren, muss darauf geachtet werden, dass die Preisunterschiede nicht zu groß werden zwischen diesen beiden Systemen, wenn man diesen Weg gehen sollte. Die Preisunterschiede lassen sich einerseits durch Aufteilung des europäischen Emissionsbudgets über die beiden Handelssysteme hinweg adressieren. Andererseits ist es auch wichtig, diese Aufteilung flexibel zu gestalten, zum Beispiel durch eine teilweise Verbindung der beiden Systeme. Wenn keine dieser beiden Möglichkeiten durchsetzbar sein sollte, wäre ein dritter möglicher Weg auf europäischer Ebene eine Lastenteilung, das heißt eine Aufteilung des europäischen Emissionsbudgets zwischen dem Emissionshandel und dem ESR. Hier sollten bestehende Flexibilitätsmechanismen des ESR stärker genutzt werden. Das ESR, wie es momentan ausgestaltet ist, erlaubt bereits – in begrenztem Umfang zumindest – den Handel von Emissionsbudgets über die Mitgliedsstaaten hinweg. Damit ist möglich, die Preisunterschiede zwischen den Ländern zu minimieren. Den einzelnen Mitgliedstaaten obliegt es dann, die Preisunterschiede innerhalb der Sektoren in den nationalen Ökonomien zu adressieren. Das ist auch die Möglichkeit, die Deutschland gegangen ist, indem es ein nationales Handelssystem für die Sektoren Verkehr, Gebäude und Wärme etabliert hat, welches einen einheitlichen Preis für diese Sektoren, die nicht im europäischen Emissionshandel abgedeckt sind, eingeführt hat.

00: 24:00: Im Gespräch für den sogenannten europäischen Green Deal ist ja auch ein CO2-Grenzausgleich. Was steckt hinter dieser Idee?

00: 24:10: Hier ist erstmal wichtig zu betonen, dass die internationale wirtschaftliche Verflechtung vielen Staaten Handelsvorteile verschafft und Unternehmen große Spielräume bei der Standortsuche eröffnet. Gleichzeitig kann sie allerdings auch die Effektivität eines ambitionierten Klimaschutzes ausbremsen, wenn dieser nur unilateral in bestimmten Ländern oder Regionen durchgesetzt wird. Die Effektivität wird ausgebremst wegen eines Phänomens, das die Umweltökonomie als Carbon Leakage bezeichnet. Geht etwa die EU beim Klimaschutz voran und belegt europäische Unternehmen mit einem hohen CO2-Preis, so werden diese Unternehmen wahrscheinlich auf lange Frist ihre Produktion verlagern, und zwar dorthin verlagern, wo der Ausstoß nichts kostet. Das ist möglich aufgrund der Globalisierung und weil eine internationale CO2-Bepreisung fehlt. Das ist der Grund, warum die EU jetzt diskutiert, ihre Klimaschutzpolitik mit einem CO2-Grenzausgleich zu unterfüttern. Die Idee ist, dass die EU bald eine Kohlenstoffabgabe für die Einfuhr bestimmter Waren in ihren Wirtschaftsraum verlangt, insbesondere für Importe aus Ländern, in denen weniger strenge Emissionsvorschriften gelten. Dieser Grenzausgleich soll EU-Länder und ihre Handelspartner dazu bringen, ihre Emissionen im Einklang mit den Zielen des Pariser Abkommens zu reduzieren. Dem Prinzip nach ließen sich so auch globale Wettbewerbsnachteile für europäische Produzenten reduzieren, die sich durch unterschiedlich hohe internationale CO2-Preise ergeben.

00: 25:44: Kann man damit wirklich die Flucht vor dem europäischen CO2-Preis aufhalten?

00: 25:49: Das ist eine schwierige Frage. Ich würde sagen, dass es bei der praktischen Umsetzung eines solchen Klimazolls, eines solchen CO2-Grenzausgleichs, mehrere erhebliche Probleme gibt, die das in Frage stellen. Zum einen erfasst ein Grenzausgleich nur ein Teil des sogenannten Carbon Leakage. Nämlich nur den Teil, der im Zusammenhang mit der Produktionsverlagerung von CO2-intensiven Gütern ins Ausland entsteht. Ein anderer Teil der Emissionen verschiebt sich über Preise und die Nachfrage für fossile Brennstoffe auf dem globalen Energiemarkt. Wenn eine große Region durch Klimapolitik die Nachfrage nach Öl, Gas und Kohle reduziert, dann reduziert dies die Preise auf den globalen Energiemärkten. So wird es für andere Länder günstiger, fossile Brennstoffe zu nutzen. Die dadurch steigenden Emissionen im Ausland können dann einen Teil der Reduktionen im Inland sozusagen auffressen. Ob sich eine Emissionsverlagerung über einen Grenzausgleich für Warenimporte verhindern lässt hängt maßgeblich davon ab, wie der CO2-Gehalt einzelner Güter gemessen wird. Ein großes Problem ist, dass eine hersteller- oder produktgenaue Feststellung der Emissionen von ausländischen aber auch heimischen Gütern kaum möglich ist. Praktikabler ist es, zum Beispiel den durchschnittlichen CO2-Gehalt der europäischen Industrie als Referenz anzusetzen. Der Nachteil hierbei ist, wenn man einen durchschnittlichen Referenzwert ansetzt, dass der erhobene Grenzausgleich nicht auf dem tatsächlichen CO2-Gehalt der importierten Güter beruht und es deswegen unter Umständen keinen Anreiz für die Hersteller gibt, Emissionen zu vermeiden. Das ist ein Problem. Ein anderes wichtiges Problem ist, dass solch eine Ausgestaltung eines CO2-Grenzausgleichs die vorhandenen aber auch zukünftigen Unterschiede in den CO2-Preisen zwischen verschiedenen Ländern, die schon CO2-Bepreisungen haben - zum Beispiel China, USA, Schweiz - berücksichtigen muss. Das heißt, gleichzeitig müsste ein solcher Grenzausgleich an den EU-Emissionshandel angebunden sein. Ansonsten besteht die Gefahr, dass importierte und heimische Emissionen verschiedene Preise bekommen. Dies würde zu den beschriebenen Fehlanreizen für ausländische Firmen und auch zu Wettbewerbsverzerrungen führen. Das sind Probleme bei der praktischen Umsetzung eines solchen Grenzausgleichs. Ganz grundsätzlich ist das Problem natürlich, dass ein CO2-Grenzausgleich nur die Unterschiede abbildet zwischen Ländern in der CO2-Bepreisung. Wie wir wissen, ist Klimapolitik aber viel umfassender. Wettbewerbsverzerrungen, die etwa durch regulatorische Eingriffe wie Standards für erneuerbare Energien im Stromsektor und für Emissionsvorschriften für Fahrzeuge entstehen, die lassen sich auch durch einen optimal ausgestalteten Grenzausgleichsmechanismus nicht nivellieren.

00: 29:01: Zum Abschluss würde mich noch interessieren, für wie ambitioniert du das Ziel der EU hältst, bis 2050 klimaneutral werden zu wollen.

00: 29:11: Das Ziel ist zweifelsohne sehr ambitioniert. Die Emissionen werden in der Post-Corona-Phase erst einmal wieder steigen, obwohl sie eigentlich deutlich sinken müssten. Und dieses deutliche Sinken kann nur erreicht werden, wenn es eine umfassende und praktisch sofortige Trendwende in der Klimapolitik gibt. Und ob dies gelingt, das kann man schon bezweifeln. In jedem Fall sollte die Debatte über die Zielsetzung und die Frage, wie realistisch diese sind, nicht den Blick verdecken auf die zentrale Frage, wie eigentlich ambitionierte Klimaziele umgesetzt werden können. Wenn der gesellschaftliche und politische Wille für diese ambitionierten Klimaziele wirklich da ist, sollte jetzt eigentlich vornehmlich über die konkrete Ausgestaltung der Politik und die Wahl der Instrumente diskutiert und entschieden werden.

00: 30:06: Vielen Dank Sebastian für das Gespräch.

00: 30:08: Sehr gerne.

00: 30:09: Das war Folge 10, des ZEW-Podcast. Vielen Dank an alle fürs Zuhören. Wenn Sie Fragen haben oder Rückmeldungen geben wollen, dann schreiben Sie gerne ein Mail podcast@zew.de. Wir freuen uns über Ihre Zuschriften.

00: 30:23: Musik.

00: 30:25: Wirtschaft, Forschung, Debatten. Der Podcast des Leibniz-Zentrums für europäische Wirtschaftsforschung.

Über diesen Podcast

Der Podcast des ZEW Mannheim.

von und mit ZEW – Leibniz-Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung

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