Wirtschaft · Forschung · Debatten

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00:00:00: Simon Reif Man hat nichts davon, kranke Patientinnen und Patienten zu haben. Du hast auch nichts davon, gesunde Patientinnen und Patienten in deinem Portfolio zu haben. Das ist von daher ein Problem, weil es natürlich für eine Krankenkasse nichts bringt, dafür zu sorgen, dass ihre Patientinnen und Patienten gesünder werden.

00:00:18: Off Wirtschaft, Forschung, Debatten. Ein ZEW-Podcast.

00:00:25: Fabian Oppel Das deutsche Gesundheitssystem bietet eine umfassende Versorgung, die wir auch rege in Anspruch nehmen. Beispielsweise gehen wir besonders häufig zum Hausarzt, haben aber sehr kurze Kontaktzeiten mit unseren Hausärztinnen und -ärzten. Zudem ist das System nicht so gut, wie es sein könnte. Besonders wenn man sich anschaut, wie viel Geld reingesteckt wird. Warum das so ist, woran der aktuelle Zustand des deutschen Gesundheitssystems krankt und wie man ihn verbessern kann, darum geht es in diesem ZEW-Podcast.

00:00:52: Fabian Oppel Als Gast sitzt uns heute Simon Reif gegenüber. Er leitet die Forschungsgruppe “Gesundheitsmärkte und Gesundheitspolitik” am ZEW und ist Professor für Gesundheitsökonomie an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg. Mit ihm sprechen wir darüber, was nötig ist, um das deutsche Gesundheitssystem wieder in die Spur zu bekommen, und was seine Studien dazu beitragen können. Mein Name ist Fabian Oppel. Herzlich willkommen zu diesem ZEW-Podcast.

00:01:16: Fabian Oppel Hallo Simon, herzlich willkommen! Danke, dass Du Dir die Zeit nimmst.

00:01:18: Simon Reif Sehr gerne.

00:01:20: Fabian Oppel Wenn du es dir aussuchen könntest, wärst du gerne Patient im deutschen Gesundheitssystem?

00:01:25: Simon Reif Also wenn ich es mir raussuchen kann, dann bin ich natürlich immer gern nirgends Patient, sondern so gesund, wie ich mich zurzeit fühle - mit ein bisschen Schnupfen. Aber grundsätzlich ist das deutsche Gesundheitssystem ein sehr gutes System. Ich war gerade in England, da hört man Geschichten von Leuten, die zwölf Stunden auf einen Rettungswagen warten. Da können wir schon sehr froh sein, wie das System in Deutschland funktioniert.

00:01:48: Fabian Oppel Fangen wir mal vorne an: Neben Fachärztinnen und Fachärzten, die sich auf Teilgebiete spezialisiert haben, gibt es in Deutschland allgemein angelegte Primärversorgung, sprich Hausärztinnen und Hausärzte, die man mit quasi jedem Thema belagern kann. Wie nehmen denn die Menschen im deutschen Gesundheitssystem ihre Hausärztinnen und Hausärzte in Anspruch?

00:02:07: Simon Reif Man muss vielleicht vorwegschicken, dass eigentlich die - man muss es umgekehrt sogar formulieren: wir haben in Deutschland, so wie in vielen anderen Ländern auch, haben wir so ein System, in dem es Generalisten gibt. Also das wären bei uns Hausärztinnen und Hausärzte, wo man erst mal mit allen Dingen hingehen kann. Und die Besonderheit im deutschen System ist eigentlich, dass wir neben dieser hausärztlichen Versorgung noch im ambulanten Sektor Spezialistinnen und Spezialisten haben, die fachärztliche Versorgung.

00:02:36: Simon Reif Und diese doppelte Facharztschiene gibt es in anderen Ländern so nicht. Und deswegen ist quasi die Besonderheit in Deutschland, dass wir Fachärzte zusätzlich zu den Hausärzten haben. Und vielleicht liegt auch ein bisschen darin das Problem, dass die Leute halt gar nicht so viel zu ihren Hausärzten gehen, sondern gleich in die fachärztliche Versorgung rein schlittern.

00:03:00: Fabian Oppel Jetzt hast du mit einer Forschungsgruppe eine Studie gemacht, in der es genau um die Inanspruchnahme der Hausärztinnen und Hausärzte nicht nur in Deutschland, sondern auch in anderen Ländern in Europa ging. Kannst du da ein bisschen was zu erzählen?

00:03:11: Simon Reif Also wir haben uns so ein bisschen gefragt: Ist das deutsche System, auch wenn man sich nur die hausärztliche Versorgung anschaut, ist das irgendwie auffällig? Und das ist es! Also was wir festgestellt haben, ist: Im internationalen Vergleich haben wir in Deutschland sehr viele Hausarztbesuche, aber die sind sehr kurz. Und man sieht, wenn man das mit anderen Ländern vergleicht, dann kann man einen linearen Zusammenhang darstellen.

00:03:40: Simon Reif Es gibt dann andere Länder, die haben ein bisschen längere Zeiten, die die Leute beim Hausarzt verbringen, aber ein bisschen weniger Hausarztbesuche im Schnitt pro Jahr, und Länder, die haben sehr ausführliche Hausarztbesuche und dafür dann relativ wenige im Jahr. Das heißt, es scheint so ein bisschen eine Substitution möglich zu sein zwischen der Häufigkeit und der Länge dieser Besuche.

00:04:05: Fabian Oppel Und kannst du sagen, was besser wäre? Viele und dafür kurze Termine oder weniger und dafür längere Termine?

00:04:11: Simon Reif Das ist die große Frage: Es gibt, und wir haben das auch untersucht oder gesucht nach Studien, die uns sagen was wäre denn das bessere System?, und es gibt sehr, sehr wenige gute Studien in dem Bereich. Das heißt, wir wissen es nicht so wirklich. Das, was wir zeigen konnten, ist man kann das System dahingehend verändern, dass man vielleicht eine andere Art macht, also zum Beispiel ein bisschen intensivere Hausarztbesuche, aber dafür weniger.

00:04:38: Simon Reif Das scheint zu funktionieren, diese Substitution. Was jetzt das beste Level ist, ist tatsächlich eine Frage, die man beantworten sollte. Weil nur, wenn wir wissen, was für eine Art von hausärztliche Versorgung wir wollen, dann können wir auch das System mit der Vergütung drum herum bauen mit der Infrastruktur, dass wir die dann auch bekommen. Zurzeit nehmen wir das System irgendwie so hin und wurschteln uns da durch. Und das ist, was wir kritisieren keine zielgerichtete Gesundheitspolitik.

00:05:05: Simon Reif

00:05:09: Fabian Oppel Aber gibt es denn eine zielgerichtete Patientensteuerung?

00:05:12: Simon Reif Genau das ist, das ist auch so ein Punkt, der immer wieder aufkommt, dass man halt sagt, die Hausärzte werden nicht so genutzt, wie man sie eigentlich nutzen könnte. Und zwar in einem Primärarztsystem, wo Hausärztinnen und Hausärzte der erste Anlaufpunkt sind, und die dann entscheiden, ob jetzt jemand weiter in eine fachärztliche Versorgung muss oder auch nicht.

00:05:35: Simon Reif Und das ist so eine der Innovationen, um die man in vielen Ländern macht, aber die man auch im deutschen Gesundheitswesen einführen könnte.

00:05:41: Fabian Oppel Wäre es aus deiner Sicht sinnvoll, wenn man in Deutschland ein striktes Primärarztsystem einführen würde, also strikter als es jetzt ist? Dass man also immer zuerst zum Hausarzt muss, bevor der einen dann an eine Facharztspraxis überweist?

00:05:52: Simon Reif Das erscheint mir sinnvoll gegeben, dass ja in den allermeisten Fällen Ärztinnen und Ärzte besser wissen, was die adäquate Versorgung ist, als jetzt der gemeine Mensch, der sich krank fühlt.

00:06:05: Fabian Oppel Dann würde ich da einmal einhaken. Hausarztpraxen klagen aktuell schon, dass ihnen die Praxen eingerannt werden, und sind froh, wenn sie beispielsweise Krankmeldungen per Telefon vergeben können, ohne diesen speziellen Patienten dann noch zusätzlich in ihrem Wartezimmer sitzen zu haben. Jetzt wäre ja die Konsequenz aus einer ganz strikten Primärarztversorgung, dass mehr Menschen zum Hausarzt müssten.

00:06:25: Simon Reif Genau. Grundsätzlich stimmt das. Man muss sicherlich die Art, wie hausärztliche Leistungen erbracht werden, ändern, wenn man das System umstellt. Und vielleicht auch dahin gehen, dass viele der Besuche, die jetzt einfach so stattfinden, um mir irgendwie ein Nachfolgerezept zu holen, um irgendwie eine Krankschreibung zu bekommen - das sind ja eigentlich Sachen, für die medizinisch nicht notwendig ist, dass die Leute da in der Praxis auftauchen. Das heißt, diese Sachen, genauso wie eine Überweisung zu einem Facharzt, kann man ja durchaus auch technisch erledigen, sei es über Telefon, so wie man das jetzt als Innovation durchgeführt hat, oder als Videosprechstunde, so wie man das hoffentlich in Zukunft machen kann, sodass man quasi ganz viel Reibungsverluste, die dadurch entstehen, dass

00:07:14: Simon Reif die ganze Zeit für kurze Besuche Patientinnen und Patienten in die Praxis kommen, dass man die loswird.

00:07:20: Fabian Oppel Wie sieht es denn mit den Kosten aus? Wenn nämlich mehr Menschen zum Hausarzt gehen, entstehen da ja auch wieder Mehrkosten für die Krankenkassen.

00:07:27: Simon Reif Na ja, es kommt ein bisschen darauf an, wie wir das Vergütungssystem in einer Welt mit einem Primärarztsystem in Deutschland uns designen würden. Zurzeit ist es so, dass relativ viel vom Einkommen der Hausärztinnen und Hausärzte ist eigentlich so ein Budget auf Patientenebene, das heißt, das ist unabhängig davon oder zu weiten Teilen unabhängig davon, wie oft die jetzt kommen. Das heißt, das würde jetzt noch keine großen Änderungen mit sich bringen.

00:07:59: Simon Reif Natürlich, wenn damit ein höherer Aufwand einhergeht, wird man das auch mehr vergüten müssen. Das heißt, das wird wahrscheinlich erst mal teurer. Auf der anderen Seite sparen wir uns natürlich auch unnötige Facharztbesuche und dadurch wird dann Geld gespart bei den Krankenkassen.

00:08:16: Fabian Oppel Also Geld sparen finden die Krankenkassen natürlich auch immer gut.

00:08:18: Simon Reif Ja, aber. Also was die Krankenkassen natürlich auch wollen, ist, dass weiterhin ganz viele Diagnosen bei ihren Versicherten reingeschrieben werden, weil dadurch bekommen die Krankenkassen ihr Geld.

00:08:32: Fabian Oppel Okay, dann sind wir jetzt bei einem neuen Thema der Krankenkassen. Erklär mal, wie werden Krankenkassen finanziert?

00:08:38: Simon Reif Also grundsätzlich sehen wir das alle auf unseren Gehaltszettel. Wie werden die finanziert? Dadurch, dass Arbeitgeber und Arbeitnehmer einen Teil ihres Einkommens für die Krankenversicherung abgeben müssen. Und vielleicht das, was Leute, die sich nicht mit dem deutschen Gesundheitssystem beschäftigen, immer überraschend finden, ist: Das Geld geht nicht direkt an deine Krankenkasse, sondern das Geld wird quasi gesammelt in einem großen Topf, dem Gesundheitsfonds, und wird von da dann umverteilt auf die einzelnen Krankenkassen.

00:09:10: Simon Reif Und das hat man deswegen eingeführt, weil man nämlich nicht wollte, dass es Krankenkassen gibt, die einfach Glück haben, weil ihre Versicherten besonders viel Einkommen haben oder weil ihre Versicherten halt überdurchschnittlich gesund sind. Sprich jung? Zum Beispiel. Und da hat man jetzt quasi diesen Gesundheitsfonds, diesen großen Topf eingeführt und dann einen Mechanismus gebaut, wie das Geld aus diesem Topf umverteilt wird.

00:09:38: Simon Reif Auf die Krankenkassen ist der sogenannte Risikostrukturausgleich. Und die Idee dahinter ist, dass jede Krankenkasse das Geld bekommt, was ihre Versicherten im Erwartungswert kosten werden im nächsten Jahr.

00:09:53: Fabian Oppel Das heißt, das Geld geht nicht per Gießkanne zu gleichen Teilen an alle Krankenkassen, sondern das ist an den einzelnen Versicherten, an die einzelne Versicherte gekoppelt?

00:10:01: Simon Reif Zumindest im Schnitt. Und also das ist quasi der Witz, dass eine Krankenkasse mehr Geld bekommt für Leute, die irgendwelche Erkrankungen haben, also Leute, die wahrscheinlich teurer sind. Dafür kriegt die Krankenkasse auch mehr Geld. Und das soll halt verhindern, dass Krankenkassen versuchen, gegen Leute mit hohen Gesundheitskosten zu diskriminieren. Natürlich dürfen Krankenkassen ohnehin nicht diskriminieren. Dadurch sollte das Problem natürlich schon erledigt sein.

00:10:30: Simon Reif Aber man kann ja subtile Art von Risikoselektion betreiben.

00:10:36: Fabian Oppel Man kann es schwieriger machen, nicht digital da zu interagieren. Zum Beispiel.

00:10:40: Simon Reif Ja, oder? Also wahrscheinlich wird andersrum Schuh draus. Man kann einfach dafür sorgen, dass man nur digital interagieren kann. Dann wird man schon einige alte Leute los. Das wollen wir verhindern. Und deswegen machen wir es quasi gleich attraktiv für die Krankenkasse, gesunde junge Menschen oder alte, kranke Menschen zu haben.

00:10:57: Fabian Oppel Wenn man jetzt zynisch sprechen würde, könnte man sagen, dass Krankenkassen einen Anreiz dafür haben, möglichst kranke Versicherte bei sich zu haben, weil sie dann mehr Geld bekommen.

00:11:07: Simon Reif Jein. Also man hat nichts davon, kranke Patientinnen und Patienten zu haben. Du hast auch nichts davon, gesunde Patientinnen und Patienten in deinem Portfolio zu haben. Und das ist quasi von daher ein Problem, weil es natürlich für eine Krankenkasse nichts bringt, dafür zu sorgen, dass ihre Patientinnen und Patienten gesünder werden.

00:11:35: Simon Reif Das ist quasi so ein Problem, was wir in einem anderen Paper angesprochen haben, dass dadurch, dass quasi jedes Jahr neu berechnet wird, Was sind denn die erwarteten Kosten für die Versicherten, die du hast? Wenn die Versicherten gesünder werden, dann kriege ich einfach weniger Geld als Krankenkasse. Das heißt, da haben wir wenig Anreiz, in die langfristige Gesundheit der Versicherten zu investieren, zumindest von Kassenseite.

00:11:57: Fabian Oppel Okay, dann steigen wir in das Paper ein, was du gerade schon angesprochen hast. Was schlagt ihr denn vor, wie es besser wird?

00:12:03: Simon Reif Ja, und unsere Idee ist, dass sich Investitionen in die Gesundheit der Versicherten, sei es durch Prävention, sei es durch irgendwelche innovativen Behandlungsmethoden, dass die im jetzigen System nicht lohnen. Und ein Weg, wie sich solche Innovationen, die sich erst langfristiger auszahlen, lohnen würden, ist, wenn man diesen Berechnungshorizont, diese risikobasierten Zuweisungen von zum Beispiel jetzt aktuell einem Jahr auf seien es fünf Jahre oder seien es zehn Jahre erhöht.

00:12:37: Simon Reif Und dann würde man quasi berechnen, was sind deine erwarteten Kosten, die du zum jetzigen Zeitpunkt hast für die nächsten zehn Jahre? Das bekommt dann die Krankenkasse über den Risikostrukturausgleich. Und wenn sie es schafft, dass du tatsächlich niedrigere Kosten hast als das, was berechnet wurde, weil sie dich sehr gut umsorgt, weil sie innovative Behandlungsmethoden bei dir anwendet, dann bleibt quasi ein Gewinn bei der Krankenkasse zurück.

00:13:04: Simon Reif Während wenn die Krankenkasse es nicht schafft, dann geht sie im Schnitt mit dir einen Verlust ein und dadurch haben Krankenkassen quasi einen monetären Anreiz, in deine Gesundheit zu investieren.

00:13:16: Fabian Oppel Ihr wollt Anreize dafür schaffen, dass Krankenkassen ein Interesse daran haben, dass Patientinnen und Patienten gesund werden oder gesund bleiben. Warum ist jetzt der lange Zeitraum so relevant dafür?

00:13:30: Simon Reif Na ja, das Problem bei vielen Investitionen in die Gesundheit ist, dass die sich eben nicht so schnell rentieren. Also ein Beispiel, Was wir immer anbringen, sind präventive Maßnahmen. Das braucht seine Zeit, bis dann die Krankheit doch nicht eintritt, die man durch gesundheitsbewusste Verhalten verhindert hat. Oder als anderes Beispiel: Wenn wir uns innovative Einmalmedikamente anschauen, dann sind die halt einmal im ersten Jahr total teuer und dann sind die Patientinnen und Patienten geheilt und in den Jahren drauf kriegt die Krankenkasse im aktuellen System quasi kein Geld mehr.

00:14:13: Simon Reif Das heißt, für eine Krankenkasse macht so eine innovative Arznei anzuwenden und auszuprobieren nur Sinn, wenn sich das innerhalb vom erste Jahr lohnt. Und wenn man diese Berechnung auf zum Beispiel einen Zehn-Jahres-Horizont erweitern würde, dann würden sich mehr solcher Innovationen lohnen. Einfach weil man quasi den Zeitraum, über den sich der der Return ergeben kann, erweitert.

00:14:40: Fabian Oppel Das heißt aber auch, in so einem System würde sich die Rolle der Krankenkasse verändern.

00:14:44: Simon Reif Genau das ist so ein bisschen der springende Punkt, dass zurzeit halt irgendwie so 95 % von dem, was die Krankenkassen anbieten in Deutschland, ist halt gesetzlich vorgegeben und gleich. Und Sachen, wo sie eigentlich sehr gut sein könnten, zum Beispiel beim Rausfinden, was wäre denn jetzt ein gutes Krankenhaus, in dem du behandelt werden könntest? Dann dürfen die Krankenkassen gerade noch nicht einmal Empfehlung abgeben.

00:15:15: Simon Reif Das heißt, man müsste natürlich, wenn man sagt, wir setzen den Anreiz dafür, dass Krankenkassen stärker in die Gesundheit ihrer Versicherten investieren und versuchen, die Versorgung zu optimieren. Wenn wir dafür einen Anreiz setzen, dann müssen wir natürlich auch die Möglichkeit geben, tatsächlich die Versorgung irgendwie auch gestalten zu können, das stimmt.

00:15:34: Fabian Oppel Dann in Richtung Vorsorge: Also die Krankenkasse müsste ja dann auch in irgendeiner Form sicherstellen, dass Vorsorgeuntersuchungen beispielsweise oder auch eine gesunde Lebensweise mehr bei ihren Versicherten ankommt.

00:15:48: Simon Reif Keine Krankenkasse würde sagen, wir kümmern uns nicht um Prävention. Jede Krankenkasse kümmert sich um Prävention, aus dem banalen Grund, dass sie Geld ausgeben müssen für Prävention. Das tun Sie dann natürlich auch. Das Problem ist, dass das nicht zielgerichtet passiert. Also es ist nicht so, dass Krankenkassen überlegen, wie könnte ich denn die Gesundheit meines Versichertenkollektivs langfristig optimieren und dann diese Maßnahmen machen, sondern die Krankenkassen müssen halt irgendwas für Prävention ausgeben und da gibt es halt gratis Yogakurse.

00:16:20: Fabian Oppel Die nicht schlecht sein müssen.

00:16:22: Simon Reif Nicht, nein, ist es - Ich mache Yoga immer wenn ich Rückenschmerzen habe. Ich habe gehört, es wäre sogar noch besser, wenn man es quasi machen würde, weil man keine Rückenschmerzen hat und keine zu bekommen. Also ich bin mir der Ironie meiner eigenen Handlungen durchaus bewusst als Gesundheitsökonom. Die Idee ist quasi dass man schon diese präventiven Maßnahmen zurzeit halt einfach sagt ja mach halt irgendwas.

00:16:52: Simon Reif Und Kassen sicherlich innovativer sein könnten, in dem, wie sie diese Angebote tatsächlich zielgerichtet machen, sodass sie halt tatsächlich am meisten bringen.

00:17:06: Fabian Oppel Okay. Wenn mich jetzt also die Krankenkasse dazu bringt, mehr Yogakurse zu machen, mehr Vorsorge zu betreiben, alle möglichen Vorsorgetermine wahrzunehmen, heißt es dann, die Krankenkasse hat einen höheren Gewinn am Ende?

00:17:19: Simon Reif Also grundsätzlich ist es ja so, die deutsche Sozialversicherung macht keinen Gewinn. Also das ist ja kein profitorientiertes Unternehmen, im Gegensatz zu den privaten Krankenversicherungen, sondern wenn du deine Yogakurse machst und andere Präventionsmaßnahmen und dadurch weniger als erwartet krank wirst, dann kriegt die Krankenkasse für dich mehr Zuweisungen als sie an Ausgaben hat.

00:17:51: Simon Reif Und das hat den folgenden Effekt, dass sie jetzt Geld zur Verfügung hat, um quasi weitere innovative versorgungsverbessernde Maßnahmen zu machen. Das hat auch den Effekt, dass irgendeine Krankenkasse einen Verlust macht. Also das ist ein Nullsummenspiel. Das heißt, bei irgendeiner Krankenkasse ist dann weniger Geld vorhanden. Das wird diese andere Krankenkasse aber ja versuchen zu verhindern, indem sie schaut, welche Maßnahmen haben denn gut funktioniert, um den Fabian gesünder werden zu lassen?

00:18:23: Simon Reif Und die werden natürlich die Sachen, die funktionieren, sofort übernehmen wollen. Und das heißt auch für die andere Konkurrenzkrankenkasse werden die Kosten sinken und dadurch werden durchschnittlich für alle die Kosten sinken. Und das ist genau dieser Pfad, den wir uns vorstellen für einen langfristig finanzierbares Gesundheitssystem.

00:18:41: Fabian Oppel Das heißt, es macht auch als Versicherter Sinn, die Krankenkasse mal zu wechseln?

00:18:45: Simon Reif Das ist einer der großen, interessanten Punkt am deutschen Krankenkassensystem. Wir haben knapp unter 100 Krankenkassen und man hat eine große Auswahl. Aber wir wissen, dass die Menschen halt sehr, sehr selten ihre Krankenkasse wechseln und der einzige Hauptmotivator sind die Zusatzbeiträge. Das heißt, viele Leute könnten ein bisschen Geld sparen, wenn sie ihre Krankenkasse wechseln, sind aber faul und wechseln nicht.

00:19:17: Simon Reif Im Englischen dieses “Inertia” kennen wir aber aus allen Krankenversicherungsmärkten. Also die Deutschen sind da nicht speziell, Das kennen wir auch aus allen anderen Sachen. Wie oft wechseln wir unsere Stromanbieter und diese ganzen Sachen? Und das Problem ist, zurzeit unterscheiden sich die Kassen nicht so krass, dass die Leute tatsächlich denken “Mensch, das macht Sinn, mir da mehr Gedanken zu machen und zu wechseln”.

00:19:40: Simon Reif Und deswegen funktioniert der Wettbewerb zwischen den Kassen auch nicht so richtig gut. Man wenn man mehr frei hat, wenn die Kassen mehr Freiheiten hätten, ihr Angebot unterschiedlicher zu gestalten, dann würden wahrscheinlich auch mehr Leute auf die Idee kommen, sich doch mit der Kassenwahl mehr zu beschäftigen.

00:19:56: Fabian Oppel Wir könnten noch stundenlang weitersprechen. Wir kommen aber langsam zum Ende. Ich habe dir ganz am Anfang die Frage gestellt, ob du gerne im deutschen Gesundheitssystem Patient wärst oder meintest, du wärst natürlich gerne gar kein Patient, aber wenn, dann ist Deutschland schon okay. Deswegen jetzt zum Abschluss einfach mal die Frage Worin ist denn das deutsche Gesundheitssystem aktuell schon sehr gut?

00:20:11: Simon Reif Wenn wir uns Gesundheitssystem anschauen, dann liegt Deutschland in der Mitte zwischen zwei Extremen. Das eine Extrem ist das englische System, ein nationales Gesundheitssystem, wo es gerade massive Probleme gibt, dass Leute keinen OP-Termin bekommen, dass der Krankenwagen nicht kommt, aber für alle Menschen gleich und im Gegensatz dazu haben wir am anderen Extrem das US-amerikanische System, wo wir quasi Spitzenmedizin haben, also weltweit führende Behandlungen

00:20:42: Simon Reif Für wenn du es dir leisten kannst und aber ganz viele Leute, die sich halt Gesundheitsversorgung nicht leisten können und gar nichts haben. Und in Deutschland haben wir sehr sehr gute Gesundheitsversorgung, die für alle zugänglich ist. Und das ist schon ein Wert für sich. Und unser Anspruch, wie man dieses System reformieren kann, kommt daher, dass wir eigentlich das gern so behalten würden.

00:21:07: Simon Reif Nur wenn die Kosten immer und immer weiter steigen, dann wird man in die eine oder die andere Richtung, dann werden wir mehr nach England oder mehr nach USA abbiegen müssen. Und ich würde gerne, dass wir das verhindern können.

00:21:19: Fabian Oppel Super. Simon, ich danke dir für deine Zeit. Es war super interessant. Danke auch fürs Zuhören beim ZEW-Podcast. Wenn euch der Podcast gefällt, freuen wir uns über eure positive Bewertung auf Spotify oder Apple Podcast. Habt ihr Fragen oder Anmerkungen? Dann schreibt gerne eine Mail an podcast@zew.de. Wir sind gespannt auf eure Meinungen.

00:21:40: Off Wirtschaft, Forschung, Debatten. Ein ZEW-Podcast.

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Der Podcast des ZEW Mannheim.

von und mit ZEW – Leibniz-Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung

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