Wirtschaft · Forschung · Debatten

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00:00:00: Christoph Spengel Ein Gesetz, das unterm Strich einen dreistelligen Millionenbetrag kostet und nichts bringt, das kollidiert durchaus mit unserem Grundgesetz.

00:00:13: Wirtschaft, Forschung, Debatten. Ein ZEW-Podcast.

00:00:23: Bastian Thüne Die globale Mindeststeuer ist ein mutiger Versuch, Steuervermeidung und internationalen Steuerwettbewerb in die Schranken zu weisen. Und seit Anfang 2024 auch Realität in Deutschland und der EU. Die Bundesregierung spricht von einem Meilenstein im Kampf gegen aggressive Steuervermeidung. Allerdings fällt sie mit 15 Prozent eher gering aus. Doch warum wurde die globale Mindeststeuer eingeführt? Ziel ist die Steuer-Fairness. Man will verhindern, dass Gewinne in Niedrigsteuerländer verschoben werden. Außerdem soll es keinen schädlichen Steuerwettbewerb mehr zwischen Staaten geben. Zudem wünschen sich die Staaten mehr Geld in ihren Haushalten. Und wer zahlt das Ganze? International tätige Unternehmen mit einem Jahresumsatz von mehr als 750 Millionen Euro. Künftig werden alle Gewinne, die die Konzerne weltweit erwirtschaften, mit 15 Prozent besteuert. Dabei ist es egal, wo die Gewinne entstanden sind. Und wer macht mit? Bisher wurde die globale Mindeststeuer nur in der EU recht wirksam eingeführt. Weitere Staaten haben sich zwar angeschlossen, aber die Umsetzung steht noch aus. Doch was bedeutet das für Europa? In der heutigen Folge des ZEW-Podcast möchten wir über Steuervermeidung im Allgemeinen und die globale Mindeststeuer im Besonderen sprechen. Als Gäste haben wir Professor Dr. Christoph Spengel, Sophia Wickel und Stefan Weg. Christoph Spengel ist Inhaber des Lehrstuhls für Allgemeine Betriebswirtschaftslehre und Betriebswirtschaftliche Steuerlehre der Universität Mannheim. Außerdem ist Research Associate am ZEW. Sophia Wickel und Stefan Weck sind beide Wissenschaftler im Forschungsbereich Unternehmensbesteuerung und öffentliche Finanzwirtschaft am ZEW. Gemeinsam sprechen wir darüber, wie sich die globale Mindeststeuer in der Praxis auswirkt, was die Einführung für Europa bedeutet und inwiefern Deutschland davon profitiert. Mein Name ist Bastian Thüne. Herzlich willkommen zum ZEW-Podcast, dem Podcast des Leibniz-Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung. Lieber Christoph, liebe Sophia, lieber Stefan, es freut mich sehr, dass ihr uns heute zu dritt besucht, um über das sehr komplexe Thema der Steuervermeidung zu sprechen.

00:02:26: Sophia Wickel Hallo!

00:02:27: Stefan Weck Vielen Dank für die Einladung.

00:02:28: Christoph Spengel Ja, Bastian, danke für die Einladung.

00:02:29: Bastian Thüne Sehr gerne. Für die meisten Menschen sind Steuern ein notwendiges Übel. Vor allem Steuererklärung schieben viele gerne vor sich her. Wie kamt ihr denn dazu, euch mit solchen Themen auseinanderzusetzen?

00:02:41: Sophia Wickel Ja, also bei mir war es eigentlich so, ich hatte meinen ersten Kontakt oder habe mich erst mal tiefer mit Steuern beschäftigt in der Bachelor-Vorlesung bei Christoph, da ging es um die Grundlagen der Unternehmensbesteuerung. Und irgendwie hat mich die Thematik von Anfang an begeistert. Vor allem auch, wie die Besteuerung von multinationalen Unternehmen funktioniert und wie diese es schaffen, die Steuerlast zu minimieren. Und später habe ich dann auch noch Praktika gemacht und als Hiwi am Steuer-Lehrstuhl gearbeitet. Und dann habe ich mich dazu entschieden, im Bereich Unternehmenssteuern zu promovieren.

00:03:12: Stefan Weck Ja, das war bei mir ähnlich. Ich fand Steuern insgesamt ein sehr interessantes Thema, weil es an der Schnittstelle von verschiedenen Bereichen und Themenfeldern ist. Also einerseits hat man die juristische, steuerrechtliche Seite, auf der anderen Seite ist es natürlich auch aus ökonomischer Sicht sehr interessant und auch aus betriebswirtschaftlicher Sicht und dementsprechend hat mich das Thema relativ schnell gepackt.

00:03:32: Christoph Spengel Ja, bei mir ist es im Grundsatz ähnlich, dass ich über mein Studium um letztendlich im Bereich Steuern gelandet bin. Mich hat der Professor sehr fasziniert und jetzt bin ich selbst Professor. Und was ich an Steuern interessant finde, ist, dass sie in alle Lebensbereiche hineinspielen und dass sie eine hohe gesellschaftliche und politische Relevanz haben und dass es auch im internationalen Kontext, ob das die OECD ist, die UNO, ob das der Internationale Währungsfond ist oder die Europäische Kommission. Also Steuern machen einfach Spaß und es ist auf den ersten Blick ein notwendiges Übel, Steuern zu zahlen. Aber es ist letztendlich die Haupteinnahmequelle der Staaten. Und deswegen muss man auch Steuern erheben.

00:04:35: Bastian Thüne Die Steuern sorgen ja auch dafür, dass wir beispielsweise kostenlos in die Schule gehen können oder in die Universitäten und viel von der öffentlichen Infrastruktur profitieren. Dann würde ich jetzt gerne mal bei dir bleiben, Christoph. Wie haben es denn multinationale Konzerne überhaupt geschafft, Steuern zu vermeiden?

00:04:52: Christoph Spengel Das Wort Steuervermeidung, das ist negativ belegt. Es geht nicht um irgendwelche illegale Verhaltensweisen oder Strategien. Ich möchte es mal an einem einfachen Beispiel erklären: Wenn wir ein Unternehmen, sagen wir eine Kapitalgesellschaft, also eine GmbH oder eine Aktiengesellschaft haben, die ausschließlich in Deutschland tätig ist, dann bezahlt diese durchschnittlich auf ihren Gewinn 30 Prozent Steuern. Nun ist es so, dass es international ein starkes Steuergefälle zwischen den Ländern gibt und Konzerne sind typischerweise in vielen Ländern tätig mit Auslandsniederlassungen. Und wenn jetzt zum Beispiel ein deutscher Konzern auch eine Niederlassung zum Beispiel in Ungarn hat, wo viele Automobilbauer sind, dann beträgt der Steuersatz auf den Gewinn in Ungarn 9 Prozent. Und das ist das ungarische Gesetz. Und das ist jetzt automatisch klar, wenn der Gewinn auf mehrere Länder verteilt ist, weil da Produktionsstätten sind, dass dann weniger Steuern anfallen als ausschließlich in Deutschland. Und jetzt kann man gestalten. Die Gestaltungsfreiheit hat jeder Bürger, hat jedes Unternehmen, dass man zum Beispiel Investitionen in Hochsteuerländern wie in Deutschland, dass man die über konzerninterne Darlehen finanziert, die jetzt zum Beispiel der ungarische Konzern Teil nach Deutschland gibt. Und auf das Darlehen sind Zinsen zu bezahlen. Die mindern den Gewinn in Deutschland und man spart 30 % Steuern und zahlt in Ungarn 9 Prozent Steuern. Und bis hierher sehe ich keine Steuervermeidung. Wir können ja auch privat, wenn wir eine Immobilie kaufen, mit einem Bankdarlehen finanzieren. Wenn wir die vermieten, können wir die Zinsen von der Einkommenssteuer Bemessungsgrundlage absetzen. Und jetzt geht es noch weiter. Gerade in der, sagen wir mal modernen Wirtschaft spielen digitale Geschäftsmodelle eine ganz wesentliche Rolle für die Wertschöpfung und für den Gewinn. Und da entstehen wertvolle immaterielle Wirtschaftsgüter, wie zum Beispiel Patente auf eine bestimmte Technologie. Und wenn die Technologie konzernweit jetzt überlassen wird, dann werden darauf Lizenzgebühren verrechnet und die mindern den Gewinn bei der nutzenden Konzerneinheit und führen zu Lizenzeinnahmen bei der Einheit, der das immaterielle Wirtschaftsgut, das Patent gehört. Und was wir seit rund 20 Jahren insbesondere in Europa sehen dass fast die Hälfte der Mitgliedsstaaten in der Europäischen Union solche Lizenzgebühren im Grundsatz gar nicht besteuert. Es gibt Länder wie Malta, die erheben keine Steuer auf Lizenzgebühren. In Belgien sind es fünf Prozent, in Holland sind es sechs Prozent. Und das führt dazu, dass für bestimmte Geschäftsmodelle, 1910, das ist weltweit allokiert, dass solche Konzerne recht wenig Steuern bezahlen und es ist alles legal. Das ist so gewollt, dass solche Lizenzboxen eingeführt worden sind. Und die Länder sind in der Gestaltung ihrer Steuersysteme einfach frei. Und das löst natürlich ein gewisses Unbehagen aus, weil man sagt also ein rein deutscher Konzern, der zahlt 30 % Steuern und ein deutscher Konzern, der, sagen wir mal, seine Aktivitäten im Zweifel weltweit allokiert hat, der zahlt vielleicht 20 % Steuern oder noch weniger.

00:09:03: Bastian Thüne Dann ist das ja auch ein Wettbewerbsnachteil für die Firma in Deutschland, für das Unternehmen.

00:09:08: Christoph Spengel Das muss man so sehen, dass die Steuerbelastung in Deutschland mittlerweile ein starker Wettbewerbsnachteil für den Standort in Deutschland ist. Weil Deutschland hat im Vergleich der OECD Mitgliedstaaten mittlerweile die höchste Steuerbelastung für Kapitalgesellschaften.

00:09:29: Bastian Thüne Das fördert jetzt nicht gerade das Wirtschaftswachstum, wenn Unternehmen mitunter abwandern aus steuerlichen Gründen. Jetzt gibt es ja trotzdem die globale Mindeststeuer. Was ist der Gedanke dahinter?

00:09:39: Stefan Weck Ja, der Gedanke hinter der globalen Mindeststeuer ist, dass ein effektives Mindestbesteuerungsniveau von 15 % weltweit sichergestellt werden soll. Und hierfür wird jedem oder für jeden betroffenen Konzern pro Land zunächst ein Effektivsteuersatz berechnet. Und wenn dieser unterhalb dieses Mindestniveaus von 15 % liegt, dann erfolgt eine Art Nachbesteuerung. Es wird also für jedes Land, in dem weniger als 15 % Steuern gezahlt werden, eine Ergänzungssteuer erhoben, sodass in Summe das vereinbarte Mindestbesteuerungsniveau erreicht wird. Ich möchte jetzt nicht zu tief ins Detail gehen, aber wenn wir später noch darauf kommen, wer von der Mindeststeuer profitiert, ist es wichtig, denke ich, wenn wir vorher noch über die Erhebung dieser Ergänzungssteuer sprechen. Und für diese gibt es nämlich grundsätzlich drei Mechanismen, die gleichzeitig auch festlegen, welchem Staat die Ergänzungssteuer zufließt. Vereinfacht kann man sagen, dass die Erhebung der Ergänzungssteuer im Quellenstaat Vorrang gegenüber dem Ansässigkeitsstaat hat. Was bedeutet das genau? Nehmen wir beispielsweise an, dass wir einen deutschen Konzern haben, der eine einzelne Tochtergesellschaft in einem ausländischen Staat hat. Wenn wir jetzt das Beispiel nehmen, was Christoph gerade gezeichnet hat, mit 9 Prozent besteuert wird, dann würden zu diesem Mindestbesteuerungsniveau 6 Prozent fehlen. Und wenn jetzt in diesen Quellenstaat, also in dem Fall Ungarn, die entsprechenden Mechanismen implementiert sind, dann darf zunächst Ungarn diese Ergänzungssteuer erheben und Deutschland würde von diesem mehr aufkommen nichts zufließen. Und nur wenn Ungarn in diesem Fall auf die Erhebung der Ergänzungssteuern verzichtet, nur dann hätte Deutschland das Recht, diese Ergänzungssteuer zu erheben und die entsprechenden Mehreinnahmen zu vereinnahmen.

00:11:19: Bastian Thüne Und so eine globale Mindeststeuer funktioniert ja vor allem, wenn viele Länder mitmachen. Welche Länder waren denn federführend, um das ganze Unternehmen voranzutreiben?

00:11:29: Christoph Spengel Federführend für die Einführung der Mindeststeuer in Europa waren ganz klar Deutschland unter dem damaligen Finanzminister Scholz, unseren heutigen Kanzler und dem französischen Finanzminister. Die haben das in Europa vorangetrieben. Der Gedanke an sich kommt von der OECD und in Europa hat es so viel Fahrt aufgenommen, also Scholz und Le Maire sein französischer Kollege, die haben sich damit gebrüstet, dass man irgendwas machen muss gegen die steuervermeidende Konzerne und man hat das letztendlich in ein Gesetz gegossen in Europa.

00:12:23: Bastian Thüne Jetzt ist es ja auch so, dass das Gesetz in der EU rechtskräftig eingeführt wurde. Aber außerhalb der EU hapert es aber noch ein wenig mit der Umsetzung, auch mit den Gesetzen. Was bedeutet denn das für Europa?

00:12:36: Christoph Spengel Ja, wir haben mit Wirkung zum 1. Januar diesen Jahres die globale Mindeststeuer, basierend auf einer EU Richtlinie, in allen Mitgliedsstaaten eingeführt, also die gilt jetzt ab diesem Jahr und eine Richtlinie ist dann in nationales Recht umzusetzen. Das haben wir auch gemacht im letzten Jahr wurde die Mindeststeuerrichtlinie umgesetzt in deutsches Recht. Was es für Europa bedeutet. Dann muss man sozusagen berücksichtigen, dass eine Richtlinie, die kann nur einstimmig, das heißt alle Mitgliedsstaaten müssen zustimmen, verabschiedet werden. Und das bedeutet dann gleichzeitig auch, dass Änderungen an diesem Gesetz nur einstimmig vorgenommen werden können. Und was wir jetzt in Europa haben, kann man sich schon so wie ein Korsett vorstellen. Also wir haben gesetzlich festgelegt, dass Konzerne, die in Europa ansässig sind, dass die in jedem Land, und zwar auf der ganzen Welt, mindestens 15 Prozent Steuern zahlen müssen. Und das müssen US amerikanische Konzerne, die nicht in der EU ansässig sind, wenn sie in einem Niedrigsteuerland in Südamerika eine Fabrik haben, dann müssen die da nicht mindestens 15 % bezahlen. Und es liegt auf der Hand, dass wir da einen großen Wettbewerbsnachteil haben gegenüber den Ländern oder den Mitwettbewerbern, die beispielsweise in China oder in den USA ansässig sind.

00:14:26: Bastian Thüne Also würdest du sogar so weit gehen zu sagen, Europa hat sich da ein Eigentor geschossen?

00:14:31: Christoph Spengel Die Entwicklung der europäischen Steuergesetzgebung über Richtlinien ist, sagen wir mal, in den letzten zehn Jahren dadurch gekennzeichnet, dass Investitionen nicht gefördert werden, sondern dass man Steuerplanung einschränkt. Wir sind überzogen in der EU mittlerweile mit einer ganzen Reihe von komplexen Antimissbrauchsregeln. Wir haben Transparenzmaßnahmen eingeführt, dass man der Öffentlichkeit Informationen gibt, die man bisher nicht mal im Jahresabschluss hergeben musste. Und wir haben uns da ein Stück weit isoliert. Es geht doch vielmehr bei einer vernünftigen Steuerpolitik darum, Investitionen anzusiedeln, weil Investitionen sind Arbeitsplätze und Arbeitsplätze schaffen, Steuereinnahmen über die Lohnsteuer, über die Einzahlung in die Sozialversicherungssysteme und so weiter und es droht nicht, das ist schon eigentlich in vollem Gange, eine Abwanderung von Investitionen aus Deutschland, aber auch aus Europa heraus.

00:15:53: Bastian Thüne Und bestehende Regelungen haben da nicht gereicht? Weil du ja gesagt hast, es gibt schon sehr viele Richtlinien und jetzt musste dann aber noch mal einer kommen?

00:16:00: Christoph Spengel Was bringt die Mindeststeuern? Wir werden ja noch über Kosten und Nutzen sprechen. Und da haben wir ja auch eigenständige Analysen hier am ZEW gemacht. Aber die Mindeststeuern, wir wollen hier überhaupt keine Details diskutieren, die Mindeststeuert schafft neben dem bestehenden internationalen Steuersystem ein völlig eigenständiges Recht für gerade mal knapp 500 betroffene Konzerne in Deutschland. Das ist so komplex und kompliziert, deswegen verursacht Kosten, die wir gleich noch diskutieren werden. Und wir haben EU weit eine ganze Reihe von Antimissbrauchsbestimmungen, die ähnliche Mechanismen haben wie die Mindeststeuer. Dass man zum Beispiel, wenn ich auf mein Ungarnbeispiel zurückkomme, nicht alle Zinsaufwendungen in Deutschland abziehen darf, dass man nicht Gewinne ungesteuert lässt, die in Niedrigsteuerstaaten erzielt werden. Wir haben in Europa schon parallele Welten geschaffen. Und jetzt nehme ich eins vorweg: Aber das wird dann die Sophia und der Stefan auch erläutern. Laut Mindestlohnsteuerumsetzungsgesetz erwartet die Bundesregierung ein jährliches Steuer mehr Aufkommen von 20 Millionen Euro, 20 Millionen Euro. Allein die Tabaksteuer, um das klar zu machen, die bringt 16 Milliarden Euro. Wir haben jetzt noch nicht über Kosten gesprochen.

00:17:53: Bastian Thüne Das ist eine vergleichsweise sehr kleine Summe, also das ist ein mittelständisches Unternehmen. Jetzt Stefan und Sophia: Ihr beiden macht ein Forschungsprojekt zu dem Thema. Und nach der ganzen Einleitung, gehen wir jetzt mal ein bisschen in die Praxis. Erzählt uns doch gerne mal etwas über euer Forschungsprojekt.

00:18:09: Sophia Wickel Ja, sehr gerne. Wir haben ja gerade schon gehört, dass es insbesondere in der EU sehr viele Maßnahmen zur Bekämpfung von Steuervermeidung gibt. Und hier stellt sich natürlich die Frage, ob es wirklich notwendig ist, immer wieder neue zusätzliche Gesetze zu verabschieden. Das wird für die Unternehmen ja immer komplizierter, komplexer, die Gesetze zu befolgen. Und das führt auch zu hohen Kosten bei den Unternehmen. Und in einem gemeinsamen Projekt des ZEWs, der Uni Mannheim und EY untersuchen wir gerade das Zusammenspiel der bisherigen Antimissbrauchsvermeidungsregeln mit der globalen Mindeststeuer. Und dazu haben wir eine Umfrage unter allen EU-Mitgliedsstaaten zur Umsetzung der ATAD, das ist die Antisteuervermeidung Richtlinie, also eine Regel, die es bisher schon gibt, und auch der Mindeststeuer in den einzelnen Ländern durchgeführt. Und damit möchten wir beispielsweise herausfinden, wie bestimmte Wahlrechte in den einzelnen Ländern ausgeübt wurden. Manche Länder sind hier nämlich ein bisschen strenger als andere in der Umsetzung. Und ja, gerade sind wir dabei, die Antworten auszuwerten. Und unser Ziel ist dann zu bewerten, inwieweit die bereits bestehenden Vorschriften die neu eingeführte globale Mindeststeuer ergänzen oder vielleicht sich sogar mit ihr überschneiden. Also wir wollen im Prinzip schauen, ob es nicht sogar auch Widersprüche zwischen den einzelnen Regelungen gibt und wollen dann eben Empfehlungen geben, wie man das EU-Steuerrecht gegebenenfalls vereinfachen könnte.

00:19:42: Bastian Thüne Jetzt ist es ja oft so, dass es EU-Vorgaben gibt, die in nationales Recht umgewandelt werden. Wobei die Länder da auch einen Spielraum haben wie bei der DSGVO. Die wird von Deutschland sehr streng ausgelegt. Andere Länder sind da ein bisschen flexibler, können dann mehr Forschungsdaten generieren etc. Gibt es diese Möglichkeit mit der globalen Mindeststeuer auch, weil Christoph ja gerade von einem Korsett gesprochen hat?

00:20:06: Sophia Wickel Ja, also grundsätzlich haben die EU Mitgliedsstaaten bei den bestehenden Regelungen deutlich mehr Spielraum als bei der globalen Mindeststeuer. Aber auch bei der globalen Mindeststeuer gibt es gewisse Unterschiede zwischen den einzelnen Ländern. Zum Beispiel können die EU Mitgliedsstaaten die Einführung der Mindeststeuer ein paar Jahre nach hinten verschieben, aber nur unter bestimmten Voraussetzungen. Wenn dort nämlich nur weniger als zwölf betroffene Muttergesellschaften ansässig sind, wenn die Länder dann von diesem Wahlrecht Gebrauch machen, findet die Mindeststeuer dann erst ab 2030 Anwendung und nicht schon ab diesem Jahr. Nach dem aktuellen Stand haben sich fünf Länder dazu entschieden. Das sind Estland, Lettland, Litauen, Malta und die Slowakei. Dort beginnt dann die Mindeststeuer erst im Jahr 2030. Ein anderes Wahlrecht betrifft die konkrete Umsetzung der Regeln. Stefan hat ja vorher erläutert, dass es verschiedene Mechanismen gibt, wie die sogenannte Ergänzungssteuer erhoben wird. Und ein Mechanismus ist die sogenannte nationale Ergänzungssteuer im Quellenstaat, also im Ansässigkeitsstaat, von dem Tochterunternehmen. Vorher hatten wir ja das Beispiel Ungarn. Bei dieser Regelung können die Mitgliedsstaaten selbst entscheiden, ob sie diese einführen oder nicht. Es ist nicht verpflichtet, diese Regel einzuführen. Es macht aber insbesondere für Niedrigsteuerländer auf jeden Fall Sinn, die Regel einzuführen. Weil wenn ein Unternehmen weniger als 15 % Steuern zahlt, müsste es ja so oder so irgendwo diese Ergänzungssteuer bezahlen. Und durch die nationale Ergänzungssteuer kann dann der Quellenstaat eben die Steuereinnahmen im eigenen Land behalten und verliert diese jetzt nicht an den Ansässigkeitsstaat der Muttergesellschaft, also zum Beispiel Deutschland. Im Großen und Ganzen ist aber die Funktionsweise der Mindeststeuer in allen Ländern relativ gleich. Es gibt noch bestimmten Übergangsregelungen in den ersten paar Jahren, die können unterschiedlich ausgestaltet sein. Aber ja, wie gesagt, im Großen und Ganzen gibt es bei der globalen Mindeststeuer nicht so viele Wahlrechte.

00:22:11: Bastian Thüne Aber dadurch, dass dann die Länder, die die einführen, diese Steuer selbst behalten können, jetzt dieses Beispiel Ungarn diese 6 Prozent haben die auch eine Motivation da mitzumachen?

00:22:19: Sophia Wickel Definitiv. Also gerade für Niedrigsteuerländer macht es schon Sinn da mitzumachen. Aber es kann sein, dass sie dann nur diese eine Regel einführen und nicht alle drei Mechanismen, die Stefan vorher erläutert hat, um die Steuereinnahmen im eigenen Land zu behalten.

00:22:36: Bastian Thüne Gut, die EU Länder haben einen gewissen Spielraum, müssen die Richtlinie aber umsetzen. Die Unternehmen sind ja weitestgehend frei und können sich ja trotzdem auch andere Länder suchen, in die sie investieren. Ja, wie kann man Unternehmen motivieren, die ja in ihrer Entscheidung frei sind, sich keine neuen Steueroasen außerhalb der EU zu suchen.

00:22:54: Stefan Weck Also ganz grundsätzlich agieren Unternehmen ja innerhalb des Rechtsrahmens, der ihnen vom Gesetzgeber vorgegeben wird. Und wenn man möchte, dass Unternehmen bestimmte Verhaltensweisen adaptieren oder Verhaltensweisen ändern, dann kann man das erreichen, indem man den Rechtsrahmen ändert. Wenn man jetzt die globale Mindeststeuer als eine solche Änderung des Rechtsrahmens betrachtet, dann stellt sich eher die Frage, wie man weitere Länder dazu motivieren kann, sich schneller oder überhaupt diesen dieser globalen Mindeststeuer anzuschließen und weniger, was man jetzt noch konkret tun kann, um die Unternehmen dazu zu motivieren. Sophie hat das ja eben schon gesagt: Je nachdem, wie die Länder diese Mechanismen implementieren, reicht das gegebenenfalls auch aus, dass die Industriestaaten also dort, wo die betroffenen Konzerne sitzen, diesen primären Mechanismus implementieren. In diesem Fall wäre es dann so, dass auch wenn in diesem Fall Ungarn nicht die globale Mindeststeuer implementiert hat, dann genügt es eben, dass Deutschland die Mindeststeuer implementiert hat, um diese Ergänzungssteuer zu erheben. Das heißt, letztendlich stellt sich die Frage, wie kann man zusätzliche Länder dazu motivieren, diese globale Mindeststeuer zu implementieren?

00:24:00: Bastian Thüne Und es ist ja die Frage. Die Antwort wurde ja ein bisschen vorweggenommen. Rentiert sich das für den deutschen Staat bei 20 Millionen? Kann man das definitiv mit Nein beantworten, vor allem, wenn es vielleicht sogar fast mehr Kosten verursacht für die ganzen Unternehmen? Also für Deutschland scheint sich deswegen diese Mindeststeuer finanziell gesehen nicht zu lohnen. Für welche Staaten lohnt die sich dann?

00:24:22: Sprecher 2 Ja, es gibt verschiedene Studien, die solche Aufkommens Wirkungen schätzen. Also wie viel Steuermehraufkommen wird durch die globale Mindeststeuer gegeben? Meistens passiert das aber nicht auf Länderebene, sondern eher weltweit oder für verschiedene Ländergruppen, wie sich das da auswirkt. Und es ist aber tatsächlich sehr schwer, die tatsächlichen Auswirkungen abzuschätzen. Also es gibt noch sehr viele Unsicherheiten. Wie setzen einzelne Länder die globale Mindeststeuer um? Wer macht überhaupt mit, wie passen vielleicht auch Firmen ihr Verhalten an? Und das spielt da alles mit rein in diese Schätzungen. Ganz wichtig ist eben auch die Umsetzung dieser Mechanismen, die Stefan vorher erläutert hat. Also noch mal kurz zur Wiederholung: Es gibt entweder die Ergänzungssteuer im Quellenstaat, also das praktisch der Ansässigkeitsstaat der Tochtergesellschaft direkt die Steuer einbehält oder eben dann im Ansässigkeitsstaat der Muttergesellschaft. Wenn wir uns die erste Regel angucken: Von dieser nationalen Ergänzungssteuer profitieren dann halt insbesondere auch Niedrigsteuerländer oder sogenannte Investment-Hubs, also Länder, wo viel investiert wird, wo vielleicht die Regulierung nicht ganz so stark ausgeprägt ist, wo die multinationalen Unternehmen ihre Gewinne machen, aber nicht unbedingt ansässig sind. Von der zweiten Regelung, wo also die Steuern im Ansässigkeitsstaat der Muttergesellschaft nacherhoben werden, profitieren insbesondere die Länder, wo eben viele multinationale Unternehmen ihren Hauptsitz haben. Also das sind eher die Industrieländer, beispielsweise Deutschland, Frankreich und ja, je nachdem, wie also die einzelnen Regelungen umgesetzt werden, profitieren unterschiedliche Länder. Und das wird man dann eigentlich erst in den nächsten Jahren beurteilen können, wenn dann tatsächlich feststeht, wie die einzelnen Regelungen umgesetzt wurden.

00:26:13: Bastian Thüne Und interessant ist ja, was mit dem Geld passiert. Habt ihr da schon erste Hinweise oder Ergebnisse darauf, ob die Einnahmen genutzt werden können, um die Bildung oder Infrastruktur zu verbessern oder in welcher Relation das steht?

00:26:27: Stefan Weck Ja, ich kann gerne mal versuchen das in Relation zu anderen oder zu Ausgabeprojekten sozusagen zu stellen. Ein Beispiel, was ja aktuell auch in den Medien diskutiert wird, ist das Deutschland Ticket für den öffentlichen Nahverkehr. Das wird aktuell von Bund und Ländern mit rund 1,5 Milliarden Euro jährlich bezuschusst. Und derzeit wird ja debattiert, ob der Preis für den Verbraucher angehoben werden muss, damit sich das Ganze rentieren kann. Das zweite ist die staatliche Förderung für den Kauf von Elektroautos. Die wurde ja Ende vergangenen Jahres gestoppt und 2023 wurden hier insgesamt 2,4 Milliarden Euro von der öffentlichen Hand als Fördermittel ausgezahlt. Gegebenenfalls kennt der eine oder andere Zuhörer sich auch mit steuerlichen Themen aus oder hat zumindest von dem Wachstumschancengesetz schon mal gehört, das eben auch kürzlich verabschiedet wurde. Das ist ein Gesetz, was zusätzliche Impulse für mehr Wachstum und Investitionen setzen soll, um den Wirtschaftsstandort Deutschland zu stärken. Und dieses Gesetz hat einen Entlastungsvolumen von 3,2 Milliarden Euro und umfasst diverse Änderungen, beispielsweise die steuerliche Verlustnutzung von Unternehmen oder den Ausbau der steuerlichen Forschungsförderung. Das war jetzt eine Bandbreite, sage ich mal, also 1,5 Milliarden Euro Deutschlandticket, 3,2 Milliarden Euro Wachstumschancen-Gesetz, wo sich die Schätzungen, die wir für realistisch halten, einer Schätzung vom ifo Institut in Höhe von 2 Milliarden Euro, wo sich das eben einsortieren würde. Insgesamt kann man sagen anhand dieser Beispiele, dass mit den Einnahmen durchaus sinnvolle Investitionen getätigt und Projekte gefördert werden können. Aber es ist nicht davon auszugehen, dass diese Einnahmen ein Allheilmittel gegen sämtliche Finanzierungslücken der öffentlichen Hand darstellen. Und wie gesagt, die Bundesregierung selbst ist von deutlich weniger Einnahmen ausgegangen, nämlich von 20 Millionen. Da sind wir dann in ganz anderen Sphären unterwegs.

00:28:24: Bastian Thüne Und was ist jetzt dein Resümee? Also weil die Steuer ja auch Kosten in den Unternehmen verursacht, stehen Aufwand und Ertrag in einem vernünftigen Verhältnis zueinander, oder wie würdest du das beurteilen?

00:28:36: Stefan Weck Ja, zur Schätzung des Erfüllungsaufwand: Wir drei haben gemeinsam mit weiteren Kolleginnen und Kollegen von der Universität Mannheim und dem ZEW vor knapp anderthalb Jahren eine Studie in Kooperation mit dem Bundesverband der Deutschen Industrie, dem BDI, durchgeführt. Und im Rahmen dieser Studie haben wir eine Umfrage erstellt, die dann an die Konzernsteuerabteilung der BDI Mitglieder weitergeleitet wurde. In dieser Umfrage haben wir Unternehmen nach den zu erwarteten Kosten gefragt und wie sich die Kosten auf die einzelnen Kostenfaktoren verteilen. An dieser Umfrage haben sich dann insgesamt 28 Unternehmen beteiligt, was rund 6 Prozent der in Deutschland betroffenen Unternehmen entspricht. Und aus den Antworten konnten wir ableiten, dass den deutschen betroffenen Unternehmen insgesamt einmal Kosten von rund 319 Millionen € sowie zusätzliche laufende Kosten von rund 100 Millionen € jährlich entstehen. Das sind also die Schätzungen für die Kosten auf der Unternehmensseite. Gleichzeitig fallen aber natürlich auch Kosten auf Seite der Finanzverwaltung an für die Aus und Fortbildung von Mitarbeitern oder für Datenverarbeitung beispielsweise. Die haben wir jetzt nicht geschätzt, aber es plausibel davon auszugehen, dass da zusätzliche Kosten entstehen. Die müssten da also auch noch mal drauf gerechnet werden. Und in Anbetracht der zu erwartenden Mehreinnahmen, wie gesagt, im Fall der Bundesregierung, die von 20 Millionen € ausgeht, da steht dann unterm Strich ein Minus. Wenn wir von den Schätzungen des ifo Instituts beispielsweise ausgehen, von den 2 Milliarden €, dann bleibt ein leichtes Plus sozusagen. Aber genau das lässt eben schon erkennen, dass das Verhältnis zwischen Kosten und Nutzen sorgfältig abgewogen werden muss.

00:30:14: Bastian Thüne Ja, hat ja auch eine psychologische Komponente. Also wenn überall gefordert wird weniger Bürokratie. Das heißt, wenn leichtes Plus am Ende da bleibt, wirkt es halt psychologisch eher abschreckend.

00:30:24: Christoph Spengel Also da bleibt ein dickes Minus unterm Strich. Und wir sollten auch bei den ifo-Studien berücksichtigen, dass die Jahre ihrer Schätzung zugrunde gelegen haben. Da haben andere an die Missbrauchsgesetzgebungen noch nicht gewirkt. Und wir haben schon vor anderthalb Jahren gesagt, Deutschland gewinnt überhaupt nichts. Die Schätzungen der Kosten, also die laufenden Kosten von rund 100 Millionen Euro bei den betroffenen Unternehmen, die fallen vermutlich viel, viel höher aus, weil sich jetzt erst im Zuge der Umsetzung dieses Mindeststeuergesetzes die ganze Komplexität. gezeigt hat. Also das ist irre aufwendig. Und ich würde mal eine steile These behaupten: Ein Gesetz, das unterm Strich einen dreistelligen Millionenbetrag kostet und nichts bringt, das kollidiert durchaus mit unserem Grundgesetz, mit dem verfassungsrechtlich verankerten Verhältnismäßigkeitsgrundsatz. Und es ist sorgfältig zu prüfen in der nächsten Zeit dann.

00:31:45: Bastian Thüne Vielen lieben Dank! Es war ein sehr interessantes Thema. Ich finde es nach wie vor komplex, aber ihr habt das sehr gut rübergebracht. Und ich hoffe, unsere Zuschauer verstehen das auch dementsprechend. Also liebe Sophia, lieber Stefan, lieber Christoph, danke, dass ihr da wart und gerne mal wieder.

00:32:01: Christoph Spengel Ja, die machen wir ganz gerne. Vielen Dank!

00:32:03: Sophia Wickel Danke noch mal für die Einladung.

00:32:05: Stephan Weck Vielen Dank für die Einladung.

00:32:06: Bastian Thüne Danke auch fürs Zuhören beim ZEW-Podcast. Wenn es euch gefallen hat, ihr Anregungen habt oder Kritik üben möchtet, dann gerne via Mail an podcast@zew.de. Wir sind gespannt auf eure Zuschriften.

00:32:24: Wirtschaft, Forschung, Debatten. Ein ZEW-Podcast.

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von und mit ZEW – Leibniz-Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung

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