00:00:00: Joscha Krug Tatsächlich sind die Erzeugungspreise, so von 2011 bis 2021, kaum angestiegen, der Zeitraum, über den viele AKWs abgeschaltet wurden. Und diese großen Anstiege der Energiepreise, die wir in den letzten Jahren gesehen haben, die hängen primär am Gaspreis. Intro Wirtschaft, Forschung, Debatten. Ein ZEW-Podcast.
00:00:30: Bastian Thüne Ja, Atomkraft spaltet ja nicht nur Atomkerne, sondern auch die Gesellschaft. Atomkraft war seit jeher ein heiß debattiertes Thema. Und ganz gut sieht man das auch bei der Düsseldorfer Band Kraftwerk. 1975 sang sie auf ihrem Album Radioaktivität: „Radioaktivität, wenn's um unsere Zukunft geht.“ Allerdings haben auch Kraftwerk ihre Meinung geändert. 1991, nachdem die Unfälle in Harrisburg und Tschernobyl ein paar Jahre her sind, brachten sie ein Remix-Album heraus und haben den Text geändert: „Stopp Radioaktivität! Weil‘s um unsere Zukunft geht“. Auch in der Politik war das Thema ein langes Hin und Her. Ich will es jetzt kurz abkürzen. 2000 beschloss der Bundestag unter der damaligen rot-grünen Regierung erstmalig den Atomausstieg. Dann ging das Ganze wieder ein paar Mal hin und her. Erst 2023 wurde er endgültig vollzogen. Aber auch damit ist die Geschichte noch nicht zu Ende. Im Sommer 2022 stufte die EU Atomkraft als nachhaltig ein. Außerdem startete im Zuge des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine eine neue Debatte und auch wegen des Themas des Klimawandels. Zudem planen andere Länder wie Tschechien neue Reaktoren. In der heutigen Folge des ZEW-Podcasts wollen wir aber das Thema Atomkraft nicht moralisch, sondern ganz nüchtern ökonomisch betrachten. Hierzu schauen wir uns den Diskurs an. Und deswegen habe ich meinen Kollegen Joscha Krug eingeladen. Er ist Wissenschaftler im Bereich Umwelt- und Klimaökonomik. Er kennt den Diskurs und kann ihn einordnen. Wir reden heute über Argumente. Welche gibt es? Warum entscheiden sich Länder für oder gegen Atomkraft? Und welche Folgen hat denn so eine Entscheidung überhaupt? Mein Name ist Bastian Thüne. Herzlich willkommen zum ZEW-Podcast, dem Podcast des Leibniz-Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung. Hallo Joscha! Schön, dass du es heute, trotz vieler Termine und einer Konferenz, zu uns geschafft hast.
00:02:26: Joscha Krug Ja, Hallo. Freut mich, hier zu sein.
00:02:28: Bastian Thüne Ja, ganz meinerseits. Du forschst aber eigentlich gar nicht zur Atomkraft, kennst dich aber trotzdem aus. Woher hast du denn dein Wissen?
00:02:36: Joscha Krug Genau. Also ich selber forsche tatsächlich primär weniger zur Energieerzeugung, sondern eher zu der Abnehmerseite. Was passiert denn mit der Industrie und den Haushalten, die die Energie am Ende verbrauchen? Ich habe aber vorher, bevor ich hier ans ZEW gekommen bin, eine Zeit lang in der energieökonomischen Beratung gearbeitet und da kriegt man sehr viel mit, sehr breit, weil man immer wieder im Kontakt ist natürlich mit den Kraftwerksbetreibern, den Energieversorgern, mit den Regulatoren und dadurch und seither auch in meiner Forschung verfolge ich die Debatte sehr aktiv.
00:03:16: Bastian Thüne Und jetzt hast du das beruflich gemacht. Hast du denn vielleicht auch ein privates Interesse oder bist du in der Nähe von einem Atomkraftwerk aufgewachsen oder von Windrädern? Hast du da irgendeinen familiären Bezug?
00:03:26: Joscha Krug Ganz wenig. Ich erinnere mich nur dran, dass ich früher, wenn wir, ich bin bei Karlsruhe aufgewachsen, wandern gegangen sind in die Pfalz und man von oben über die Rheinebene geschaut hat, hat man immer im Hintergrund irgendwo die Kraftwerkstürme, die Kühltürme von Philippsburg gesehen, die es ja jetzt nicht mehr gibt, seit sie da aufsehenerregend gesprengt wurden. Vor ein paar Jahren.
00:03:48: Bastian Thüne An die Sprengung kann ich mich erinnern. Bei mir ist es vor allem im rheinhessischen Hügelland. Also ich konnte eigentlich fast jeden Tag, wenn ich da oben war, die Atomreaktoren in Biblis sehen. Die sind aber noch nicht gesprengt, die stehen auch heute noch da. Ich selbst weiß natürlich um die Gefahren von Atomkraft, aber da Biblis auch immer in der Nähe war, hat mir das nichts ausgemacht. Also man war es halt gewohnt und hatte dann da einen anderen Umgang. Für viele Menschen hat Atomkraft aber doch wieder eine Bedeutung, weil sie das mit den Preisen verknüpfen. Die letzten Jahre sind ja die Strompreise enorm gestiegen, während die Atomkraft immer mehr abgeschaltet wurde. Und viele fragen sich da: War der Atomstrom nicht doch günstiger? Was sagt die Ökonomie dazu?
00:04:28: Joscha Krug Das ist natürlich erst mal eine, wie so viele Fragen eine ganz komplexe Frage, bei der es keine so ganz eindeutige Antwort gibt, weil prinzipiell die Strompreise natürlich von einer enormen Vielzahl an Faktoren abhängen. Tatsächlich sind die Erzeugungspreise von 2011 bis 2021 kaum angestiegen, der Zeitraum, über den ja viele AKWs abgeschaltet wurden. Und diese großen Anstiege der Energiepreise, die wir in den letzten Jahren gesehen haben, die hängen primär am Gaspreis, kann man so sagen. Natürlich ist es aber auf der anderen Seite es trotzdem eine legitime Frage: Wie wären die, hätten die Preise ausgesehen, wenn die Atomkraft weiter entstand geblieben wäre? Und das ist auch kompliziert zu sagen. Aber prinzipiell, was man verstehen muss dafür, ist wie Strompreise zustande kommen und wie so ein Atomkraftwerk funktioniert. Und ein Atomkraftwerk sorgt generell dafür, in der Tendenz, dass Strompreise günstiger werden, solange man noch irgendwie Strom sonst mit irgendwelchen Fossilen erzeugen muss. Weil, wenn ein Atomkraftwerk einmal läuft, also wenn das quasi an ist, wenn das mit Brennstoff, versorgt ist und die Wärmegenerierung und die Turbinen laufen, dann kostet so ein Atomkraftwerk, extrem wenig zusätzlichen Strom zu erzeugen. Und dadurch muss dann mit Gas oder Kohle weniger Strom erzeugt werden, die teurer sind für jede Einheit Strom, die sie generieren, weil sie natürlich viel Brennstoff verbrauchen. Das ist der direkte Einfluss von Atomkraft auf den Strompreis. Man muss allerdings dazu sagen, dass dieser direkte Marktpreis von Strom, den Atomkraftwerke auf dem Markt verdienen, nur in einen großen Teil der tatsächlichen Kosten verdeckt, die bei so einem Atomkraftwerk anfallen, weil die tatsächlichen Kosten, bei den gigantischen Kosten, die fallen beim Bau an, und außerdem beim Betrieb, der tatsächlich auch relativ teuer ist, weil man enorm viele Sicherheitsvorkehrungen beachten muss. Man braucht sehr qualifiziertes Personal, um so ein Atomkraftwerk am Laufen zu halten, unabhängig davon, wie viel Energie man damit tatsächlich generiert.
00:07:05: Bastian Thüne Jetzt hast du ja mehrere Sachen angesprochen. Also das eine ist, es ist enorm teuer ein Atomkraftwerk zu bauen. Das muss entwickelt werden, da gibt es nicht viele. Also hast du auch wenige Skalenvorteile. Die sollte man am besten möglichst lange laufen lassen und lässt sie halt immer wieder warten im Betrieb. Jetzt sind die Deutschen Atomkraftwerke relativ alt, wenn es sie denn noch geben würde. Eine andere Sache ist: Ein Atomkraftwerk hat ja doch ein Risiko. Solange es läuft, läuft es. Wenn ein Unfall passiert, ist es ja auch so nicht versicherbar, weshalb ja dann die Staaten quasi für die Schäden eingreifen müssen, also die Steuerzahler im Endeffekt. Und es ist ja immer noch ein Problem der Endlagerung, darauf kommen wir dann später, noch mal zu sprechen. Aber wenn ich jetzt mal die Risiken außen vornehme, also es passieren keine Reaktorunglücke, keine großen und die Endlagerung wird irgendwie geregelt, würde sich dann Atomkraft überhaupt auch so rechnen?
00:08:01: Joscha Krug Da ist es relativ wichtig zu unterscheiden zwischen der betrieblichen Perspektive von potenziellen Atomkraftwerksbetreibern und der Systemperspektive oder der gesamtgesellschaftlichen Perspektive. Was man tatsächlich relativ sicher sagen kann, ist, dass sich aus einer rein betriebswirtschaftlichen Perspektive Atomkraftwerke tatsächlich nicht lohnen. Es gibt eine Studie des DIW, die sich alle 670 Atomkraftwerke angeschaut hat, die zum damaligen Zeitpunkt gebaut worden waren. Kein einziges ist aus privatwirtschaftlichen Motiven gebaut worden, weil eben diese Baufinanzierungskosten und eben die Risiken mit so einer über Jahrzehnte hinweg anfallenden sich amortisierenden Investition, enorm groß sind. Es gibt allerdings natürlich Argumente aus Systemsicht, sich für Atomkraft zu entscheiden, und zwar da kommen wir wieder rein in so die technischen Details des Strommarktes. Aber prinzipiell muss natürlich in einem Strommarkt, muss Nachfrage und Angebot immer genau ausgeglichen sein und das können erneuerbare Energien nur, wenn man sie mit diversen zusätzlichen anderen Technologien kombiniert, nämlich mit viel Speicher, mit viel Flexibilität in der Nachfrage und ganz viel in die Richtung, was möglich, aber sehr, sehr aufwendig ist. Während Atomkraft zu einem gewissen Grad die Grundlast abdecken kann, da sie voraussagbar und steuerbar ist, und deswegen, wenn man eine gewisse Grundlast an Atomkraft hat – das argumentieren die Befürworter in der Debatte – man dann weniger von diesen Zusatztechnologien an Speicherung, Flexibilität, Netzausbau und so weiter braucht und das deswegen es als System insgesamt billiger sein kann mit Atomkraft, einem zumindest einem Restbestandteil an Atomkraft Strom zu produzieren als ohne.
00:10:06: Bastian Thüne Also die Sache im Stromnetz oder die Spannung muss sehr stabil sein innerhalb eines Netzes. Wenn das Atomkraftwerk erst mal läuft, kann ich in einem gewissen Rahmen die Menge bewegen. Wobei die Grundlast ist konstant über das ganze Jahr oder Tag. Die Spitzen könnte ich abfangen mit anderen Technologien, also egal ob das jetzt Kohlekraftwerke, Gaskraftwerke, Sonnenkraftwerke, Windkraftwerke sind. Das Ganze war in Deutschland auch jahrzehntelang eingespielt, bis es halt zu dem Ausstieg kam. Und wenn es jetzt nur noch Windräder und Sonnenkollektoren gibt, dann ist die Sache, was passiert bei der sogenannten Dunkelflaute? Also es ist dunkel und es weht kein Wind, wie komme ich damit zurecht? Und dann war ja auch letztens der Vortrag von Leonhard Birnbaum, der CEO von E.ON., der gemeint hatte, dass das Stromnetz an sich, also die ganze Hardware, das Kupfer, die Verteiler, um ein Vielfaches wachsen müssten, um diese ganzen Einspeise auszugleichen. Und da kann man dann ja auch wieder neu berechnen.
00:11:07: Joscha Krug Genau, also das ist genau die Rechnung, die man anstellen muss. Ich würde sagen, das ist ein viel debattiertes Feld in der Wissenschaft. Natürlich, der Konsens ist, dass wir das auf jeden Fall hinkriegen können. Die Frage ist natürlich zu welchem Preis. Also, du hast es ja schon angesprochen. Um so ein Netz dann wirklich am Laufen zu halten, muss man natürlich sehr, sehr viele zusätzliche Maßnahmen ergreifen und das gesamte Energiesystem darauf ausrichten, weil wir viele Speicher brauchen. Wir brauchen Flexibilität in der Nachfrage. Wir brauchen Dinge wie Zukunftstechnologien, so was wie zum Beispiel bidirektionales Laden bei E-Autos, sodass die zunehmenden E-Autos auch als Speicher dem Netz zur Verfügung stehen. Und gleichzeitig brauchen wir ein sehr anderes Netz, weil natürlich Atomkraftwerke so funktionieren, dass wir die Stromgenerierung an ein paar wenigen Orten konzentriert haben und von diesen Orten sehr große Kapazitäten an diesen Orten gebündelt brauchen, um das dann zu verteilen im ganzen Land; während wir für erneuerbare ein extrem dezentrales Energienetz brauchen. Das heißt, wir brauchen viel Kapazität, auch bidirektionale Kapazität an vielen verschiedenen Orten, die quasi diese ganzen dezentralen Erzeuger und die Haushalte miteinander verbindet.
00:12:44: Bastian Thüne Und funktioniert das aktuell schon? Also man liest ja immer wieder, dass Kohlekraftwerke oder Gaskraftwerke hochgefahren werden, was ja im Sinne des Klimaschutzes erstmal mehr CO2 produziert. Und es gibt ja auch immer den Mythos mit dem aus dem Ausland zugekauften Atomstrom. Was hat es denn damit auf sich?
00:13:02: Joscha Krug Also prinzipiell funktioniert das. Ja, bisher eben sind wir noch ein gutes Stück entfernt von einem 100 Prozent erneuerbaren Energiesystem und deswegen ist es ganz natürlich, dass dann natürlich in den Zeiten, in denen wenig Wind und wenig Sonne ist, die konventionellen Kraftwerke einspringen. Langfristig wollen wir natürlich wegkommen von diesen. Die Frage ist, inwiefern Atomkraft dazu taugt, steht auf einem anderen Blatt, weil natürlich die ideale Ergänzung zur Erneuerbaren Energien sind Kraftwerke, die man schnell rauf und runter fahren kann. Das sind vor allem Gaskraftwerke zu einem geringeren Grad auch Kohlekraftwerke, während Atomkraftwerke mit einer relativ konstanten Last laufen müssen. Das heißt, das passt nicht so ganz zusammen, von den, man nennt das dann so schön, Lastprofilen dieser Technologien, die man kombinieren kann.
00:13:58: Joscha Krug Gerade das Hoch- und Runterfahren von Atomkraftwerken ist ja auch so ähnlich wie bei einem Flugzeug: Start und Landung sind der gefährliche Teil. Wenn die Maschine läuft, läuft sie. Grundsätzlich. Da wären dann tatsächlich Gaskraftwerke oder Kohlekraftwerke besser geeignet, aber nicht im Sinne des Umweltschutzes oder der klimaschädlichen Stoffe, die sie ausstoßen.
00:14:18: Joscha Krug Genau. Wir können natürlich – meinem Verständnis nach – diese Residuallast oder diese Residualspitzen, über Speicherung abfangen, durch Gaskraftwerke, mit Biomasse oder in der Zukunft werden die mal mit grünem Wasserstoff betrieben, das ist, glaube ich, die Langfriststrategie. Ich glaube, dass sind so die Kerntechnologien. Was den Import angeht, das hattest du ja auch noch erwähnt …
00:14:46: - Bastian Thüne Genau. Also Frankreich, was ja immer wieder in den Medien genannt wird als Land, das, glaube ich, größtenteils auf Atomstrom setzt.
00:14:54: Joscha Krug Genau also wir importieren tatsächlich Strom aus Frankreich. Aber ich glaube, das wird sehr viel überbewertet in den Medien. Weil Frankreich importiert unter anderem auch Strom von uns. Zum Beispiel im Sommer 2022, als die Atomkraftwerke wegen der Hitzewelle wochen- und teilweise monatelang nicht auf voller Kapazität laufen konnten. Also letzten Endes muss man die Dimensionen trennen von: Wo kriege ich aktuell, gegeben die Technologieverteilung, den billigsten Strom her und was brauchen wir um die Versorgung sicherzustellen? Und was den billigsten Strom angeht: Wir importieren manchmal Strom aus Frankreich, das ist tatsächlich seit dem die letzten AKWs vom Netz gegangen sind auch leicht angestiegen, aber jetzt nicht dramatisch und haben deswegen unter anderem einen günstigeren Strom, als wir ihn sonst hätten. Das muss man sagen. Auf der anderen Seite sind wir nicht auf die AKWs aus Frankreich angewiesen, um im Zweifelsfall unsere eigene Stromversorgung zu decken.
00:15:59: Bastian Thüne Aber wenn wir jetzt noch mal bei Frankreich bleiben. Also Deutschland hat den Weg eingeschlagen, die Atomkraft zu beenden. Nun sitzen ja auch kluge Leute in anderen Ländern. Frankreich setzt weiterhin auf die Atomkraft, auch wenn sich die Erde erwärmt, die Flüsse weniger Wasser haben, was ja auch zu Problemen führt. Und Tschechien plant vier neue Reaktoren. Jetzt mal ganz provokant gefragt: Können die nicht rechnen oder was sind da die Beweggründe?
00:16:24: Joscha Krug Also ich habe es ja eingangs erwähnt: Tatsächlich wurde quasi kein Atomkraftwerk bisher aus rein privatwirtschaftlichen Motiven gebaut. Bei Frankreich war das in den 70ern eine bewusste Entscheidung, eine politische Entscheidung, weil man weniger abhängig machen wollte vom Öl, angesichts der Ölpreiskrisen damals. Und deswegen hat die französische Regierung den Ausbau von Atomstrom sehr stark vorangetrieben und wir sehen natürlich auf der einen Seite: Frankreich hat einen deutlichen geringeren Strompreis als Deutschland, teilweise nur halb so hoch oder nur zwei Drittel so hoch. Was man allerdings auch nicht verschweigen darf dabei, ist das der Strompreis in Frankreich extrem stark politisch gesteuert ist. Das ist nicht unbedingt der reale Preis der Erzeugung. Wenn man sich zum Beispiel anschaut, ist das sehr stark reguliert. Der französische EDF, der französische Energiekonzern, muss gesetzlich reguliert als Marktöffnungsförderung, ein Viertel seines erzeugten Atomstroms für 42 Euro die Megawattstunde an Konkurrenten verkaufen. Diese kostet allerdings aktuell 60 Euro die Megawattstunde und dementsprechend ist der Konzern auch hoch verschuldet. Also 2022 hatten sie über 64 Milliarden Euro Schulden. Das heißt das ist in dem Fall für die Konsumenten günstiger. Allerdings, weil da auch viel mehr oder weniger verdeckte offizielle, direkt oder indirekt Förderung aus dem Staatshaushalt kommt, um dieses System der Atomkraftwerke staatlich am Laufen zu halten.
00:18:14: Bastian Thüne Also hat dann Frankreich und die dortigen Firmen trotzdem einen Wettbewerbsvorteil, weil es ein bisschen staatlich gefördert wird? Kann man das so sagen?
00:18:22: Joscha Krug Das ist natürlich die die große Furcht, würde ich sagen, die wir hier haben. Und es ist natürlich ein Argument, das erst mal nicht von der Hand zu weisen ist. Das kommt dann auch näher an die Forschung, mit der ich mich auch aktiv beschäftige und insbesondere meine direkten Teamkollegen Kathrine von Graevenitz und Elisa Rottner, die gezeigt haben, dass tatsächlich für die Industrie ein höherer Strompreis keine so dramatischen Auswirkungen hat – zumindest war das empirisch in der Vergangenheit so – wie es jetzt die die Warnrufe aus der Industrie vermuten lassen. Wenn man sich die Systemperspektive anschaut, gibt es schon eine relativ starke Strömung in der Wissenschaft, die sagt, dass ein Energiesystem mit einem gewissen Anteil an Atomkraft insgesamt billiger Strom produziert als ein System, was ganz auf Atomkraft verzichtet und dementsprechend durchaus diese Preisunterschiede darin mit begründet sind, dass Frankreich mehr Atomkraft verwendet und darauf setzt.
00:19:30: Bastian Thüne Und jetzt das andere Beispiel mit Tschechien. Sind es da ähnliche Gründe? Was weißt du darüber?
00:19:35: Joscha Krug Über die konkreten Gründe in Tschechien weiß ich nicht viel. Ich würde vermuten; Tschechien ist natürlich ein Land, was sehr stark von der Kohle abhängt. Und in so einem Fall ist natürlich eine Umstellung auf Atomkraft die aus Systemsicht minimalinvasive Art könnte man sagen, den Energiemix zu dekarbonisieren.
00:20:02: Bastian Thüne Also weniger CO2-Ausstoß durch, die von der EU, klimafreundlich genannte Atomtechnologie.
00:20:11: Joscha Krug Genau. Also letzten Endes hat man die Klimaziele. Man muss diese Klimaziele irgendwie erfüllen. Der Energiesektor darf weniger CO2 ausstoßen und natürlich hat ein Atomkraftwerk eine wesentlich geringere, nicht null, aber eine wesentlich geringere Klimawirkung als ein Kohlekraftwerk. Und gleichzeitig kann man natürlich, wenn man Atomkraftwerke baut, so eine zentralisierte Netzwerkinfrastruktur, über die wir vorhin gesprochen haben, eher einfach so weiter nutzen. Und das ist, meine Vermutung wäre, dass politökonomische Motive da auch mit reinspielen, weil natürlich zwei, drei, vier Atomkraftwerke zu bauen, was ist, was der Staat zentral steuern kann, was mit einem politischen Push geleistet werden kann, weil man nicht eine gesamte Gesellschaft mitnehmen muss, um in der Breite überall Erneuerbare auszubauen und damit diese vielen lokalen Konflikte zum Beispiel weniger hat und eben einfach mehr Kontrolle darüber als Staat was passiert. Und ich vermute, dass das ein Teil der Motivation der tschechischen Regierung sein wird.
00:21:21: Bastian Thüne Und das klingt ja erst mal recht plausibel. Wir hatten auch im Vorgespräch uns unterhalten und da hattest du das Beispiel der Niederlande gebracht, die wohl sehr viel auf Gas gesetzt haben, aber auch eher wieder in Richtung Atom streben. Kannst du uns das noch mal bitte erläutern?
00:21:37: Joscha Krug Genau, die Niederlande wollen tatsächlich jetzt auch wieder neue Reaktoren bauen und ausbauen. Bei denen hat das genau klimapolitische Gründe. Also, dass ist in den Niederlanden natürlich in dem Sinne auch dringend, weil die Niederlande relativ lange vom Gas abhing, das zum Teil immer noch tun, weil sie einfach relativ große Gasvorkommen haben. Allerdings das Haupt-Onshore Gasvorkommen bei Groningen hat in der Vergangenheit immer wieder für Erdbeben gesorgt. Und deswegen hat der Staat den Ausstieg beschlossen, der dann allerdings immer wieder noch mal beschleunigt wurde, weil noch mal neue Erdbeben aufgetreten sind und dann noch mal politischer Druck entstanden ist, schneller aus dem Gas auszusteigen. Deswegen ist da energiepolitisch auf jeden Fall Druck auf dem Kessel.
00:22:34: Bastian Thüne Also es bleibt weiterhin kompliziert und jeder Staat, jedes Land hat quasi seine eigenen Beweggründe und muss entscheiden zwischen Ökonomie, aber auch anderen Sachen wie geopolitische Interessen, in dem Fall sogar das Risiko von selbst herbeigeführten Naturkatastrophen. Jetzt noch abschließend eine Frage: Also angenommen, es gibt in Deutschland einen Regierungswechsel und die neue Regierung setzt, warum auch immer, wieder auf Atomstrom und möchte Deutschland weg von den Erneuerbaren, zurück zu Atomstrom. Wäre so eine Entscheidung überhaupt machbar? Dasselbe gälte jetzt auch für Tschechien: Die bauen vier neue Atomreaktoren und würden in zehn Jahren sagen: „Wir wollen jetzt auch lieber Windenergie und Sonnenenergie“. Geht so was überhaupt?
00:23:20: Joscha Krug Also bei uns als Ökonom ist „Gehen“ selten die Frage. Die Frage ist wie viel kostet das und ist es das wert? Es wäre natürlich extrem teuer. Zum einen ist Atomstrom, ist das Bauen von neuen Atomkraftwerken pro Kilowattstunde produzierter Energie über die Lebenszeit um ein Vielfaches teurer als zum Beispiel von Wind oder Solar. Ein neues Atomkraftwerk zu bauen, braucht mindestens zehn bis 20 Jahre. Und da sind die ganzen Verzögerungen, die auftreten würden wegen der mangelnden Erfahrungswerte und so weiter noch gar nicht mit eingerechnet. Es wäre extrem kostspielig jetzt neu zu bauen, zumal wir hoffentlich in zehn Jahren schon nahe dran sind an 100 Prozent erneuerbarer Energie, das heißt, bis die Atomkraftwerke bereit wären, müssten wir das Energiesystem und werden wir es hoffentlich auch so weit haben, dass wir mit Speichertechnologien, Flexibilität und so weiter tatsächlich bei einem 100 Prozent erneuerbaren Energiesystem rauskommen. Und dann ein Atomkraftwerk zu bauen oder dann bereit zu haben, würde überhaupt nichts bringen, weil letzten Endes die erneuerbaren Energien immer billiger produzieren, wenn sie einmal da sind als ein Atomkraftwerk. Das heißt, wir hätten es da und würden es so gut wie nie brauchen, obwohl es enorm viel kostet, es zu bauen. Bisschen mehr ein Argument könnte sein, bestehende Atomkraftwerke wieder zu reaktivieren. Das ist natürlich viel billiger als Neubau, jedoch brauchen auch die allerdings natürlich aufwendige Sicherheitsüberprüfungen. Das heißt, inwiefern das wirklich ökonomisch sinnvoll ist, ist schwer zu sagen. Es wäre auf jeden Fall nicht einfach. Und in die andere Richtung gilt das natürlich für Tschechien auch. Wenn Tschechien jetzt auf Atomkraft setzt, natürlich können sie, es hindert sie nichts daran, sozusagen in zehn Jahren auf Erneuerbare zu setzen. Allerdings entstehen natürlich dadurch auch Pfadabhängigkeiten. Wenn sie in den zehn Jahren ihr Netz auf Atomkraft hin ausbauen, werden Sie eine ganz andere Energiesysteminfrastruktur haben als die, die man braucht, um ein System nahe 100 Prozent Erneuerbare zu bekommen. Und das ist natürlich der Trade-off, den man jetzt abschließen muss. Und die Unsicherheit kommt daher: Wir können nicht in die Kristallkugel schauen und in zehn Jahren wissen, werden wir vielleicht beurteilen können, ob sich das gelohnt hat oder nicht. Aber nach dem besten Stand der Wissenschaft von heute können wir es nicht so ganz sagen, weil es so unterschiedliche Pfade sind und es so viel davon abhängt, was an Entwicklungen in der Welt passiert in Europa in der Zwischenzeit, was letzten Endes der richtige wäre. Deswegen gibt es da, glaube ich, keinen eindeutigen, richtigen oder falschen Pfad.
00:26:32: Bastian Thüne Und wahrscheinlich hätte es die Politik auch schwer, das in zumindest den demokratischen Ländern gegenüber ihren Bürgern durchzusetzen. Und wahrscheinlich würden auch die deutsche Industrie oder die Stromnetzbetreiber protestieren, wenn es in zehn Jahren heißen würde: Jetzt bauen wir alles um und jetzt haben wir noch mal die ganzen Transformationskosten, die wir vor zehn Jahren schon hatten. Man hat es ja auch gesehen, als plötzlich das Gas sehr teuer wurde, wie nervös da alle Beteiligten wurden. Und das wäre ja dann das Ganze mal zehn potenziert.
00:27:02: Joscha Krug Genau. Ja, also das ist natürlich immer die die Frage, wie wir das machen. Und auch das sind natürlich Konflikte, die wir aber auf gesellschaftlicher Ebene austragen müssen, wie wir es schaffen, den Ausbau der Erneuerbaren zu gestalten. In einem Land, in dem Leute Widerstände dagegen haben, quasi in ihrem schönen Wald bei ihnen hinterm Haus, dann auf einmal Windräder stehen zu haben. Auf der anderen Seite gibt es natürlich auch die legitimen Sorgen derjenigen, die in deren Hintergärten wir sozusagen ein Atomkraftwerk setzen würden. Das heißt, in jedem Fall sind das Fragen, die auf gesellschaftlicher Ebene ausdiskutiert und entschieden werden müssen und wo nicht, eine technokratische Energieökonomen-Regierung sagen könnte: „Okay, auf dem Reißbrett ist das hier der perfekte Plan und das machen wir jetzt so“ und dann sind alle am besten dran.
00:28:04: Bastian Thüne Auch mit unserem Podcast heute wird die Debatte nicht enden und die Atomstromdebatte wird wahrscheinlich weitergeführt werden, bis die Energiewende komplett vollzogen ist, weil solange Windräder gebaut werden und jetzt der Streit um neue Stromtrassen, wird es halt immer wieder Widerstände geben: Befürworter, Gegner und die verschiedenen Argumente.
00:28:26: Joscha Krug Ja, das sehe ich ganz genauso.
00:28:29: Bastian Thüne Vielen Dank Joscha, dass du heute da warst. Es war sehr spannend, das ganze Thema mal wenig emotional, und einfach mal ökonomisch zu betrachten.
00:28:36: Joscha Krug Gerne, hat mich gefreut.
00:28:37: Bastian Thüne Ja, vielen Dank auch fürs Zuhören beim ZEW-Podcast. Wenn ihr Fragen oder Anregungen habt, schickt gerne eine Mail an podcast@zew.de. Wir freuen uns über Zuschriften. Bis dann. Outro
00:28:55: Wirtschaft, Forschung, Debatten. Ein ZEW-Podcast.