Wirtschaft · Forschung · Debatten

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00: 00:00:

00: Wir haben es tatsächlich geschafft, die Anzahl der Eltern, die berechtigten Neid vorher hatten in dem alten Verfahren, um die Hälfte zu reduzieren.

00: 00:14:

Wirtschaft, Forschung, Debatten. Ein ZEW-Podcast. Kinder haben in Deutschland ab dem ersten Geburtstag Anspruch auf einen Betreuungsplatz in einer Kita. Anspruch und Wirklichkeit gehen aber nicht immer zusammen. Für viele Eltern ist die Suche nach einem Kitaplatz zeitaufwendig und nervenaufreibend. Manche Kinder gehen auch erst mal leer aus. Dann müssen ihre Eltern den Wiedereinstieg in den Beruf zurückstellen, wenn sie nicht gerade auf Oma und Opa zurückgreifen können. Teilweise nehmen Eltern auch unattraktive Angebote an aus Angst, am Ende ohne Betreuung dazustehen. Mein Name ist Carola Hesch und in dieser Folge des ZEW-Podcast geht es darum, wie sich die Zuteilung von Kitaplätzen schneller und fairer gestalten lässt. Darüber spreche ich mit Marktdesigner Thilo Klein. Er ist Experte für Matching-Märkte und hat zusammen mit anderen Forschern ein Vergabe-Tool für Kitaplätze entwickelt, das diese Probleme lösen soll: KitaMatch. Wir sprechen darüber, welche Probleme die bisherigen Vergabeverfahren haben und wie KitaMatch entstanden ist. Herzlich willkommen zum ZEW-Podcast. Hallo Thilo.

00: 01:19:

00: Hallo Carola.

00: 01:21:

00: Schön, dass du da bist. Verrätst du mir, was heute schon so auf der To-do-Liste stand?

00: 01:26:

00: Ja, heute Morgen ging es direkt los. Kinder in die Kita bringen. Jetzt bin ich hier am ZEW und nach dem Podcast hier mit dir fange ich auch direkt an die Hochschule nach Pforzheim zum Unterrichten.

00: 01:38:

00: Ich habe es ja schon angesprochen. Eltern haben teilweise große Schwierigkeiten, einen Kitaplatz für ihr Kind zu finden. Du hast gerade erzählt, dass es bei dir wohl geklappt hat. Aber lange Wartezeiten sind auf jeden Fall Gang und Gebe. Welche Erfahrungen hast du denn mit der Suche nach dem Betreuungsplatz gemacht?

00: 01:52:

00: Ja, bei uns war das tatsächlich so, dass wir uns aus den Erfahrungen heraus, die wir mit dem Betreuungsplätzen gemacht haben, entschieden haben, auch dazu zu arbeiten. Mehrere Personen bei uns im Team sind in der letzten Zeit Eltern geworden. Und bei mir persönlich war es so, dass wir uns in Mannheim nach einem Betreuungsplatz umgeschaut haben und insgesamt erst sechs Monate nach der offiziellen Anmeldefrist die erste Rückmeldung bekommen haben, dann auch das Glück hatten, tatsächlich einen Platz zu bekommen. Das war allerdings recht knapp alles, weil es genau ein Monat war, bevor meine Frau aus der Elternzeit raus dann wieder ins Büro zurückwollte. Es ist alles gut gegangen, aber ich denke, das ist definitiv noch Potenzial, die ganze Sache zu verbessern.

00: 02:35:

00: Das war dann ein Anlass, auf diese Erfahrung aus der Matching-Perspektive zu schauen?

00: 02:41:

00: Korrekt, ja.

00: 02:42:

00: Was ist denn das Problem dabei, wenn sich das so lange hinzieht? Also sechs Monate ist ja eine lange Zeit, aber was ist denn vielleicht – außer dem persönlichen Problem – auch noch ein größeres Problem?

00: 02:52:

Also grundsätzlich muss man sagen, am Problem der Kitaplatzvergabe hängt ja eine ganze Menge dran, zum Beispiel auch eben die Erwerbstätigkeit von Eltern und gerade von Frauen für den beruflichen Wiedereinstieg. Und gerade wenn wir uns das anschauen vor dem Hintergrund der demografischen Entwicklung, die wir in Deutschland haben, dann ist es klar, dass wir mehr Eltern auf dem Arbeitsmarkt brauchen und daher ist es wichtig, dass wir einen funktionierenden Markt für die Kinderbetreuung haben. Und das ist offensichtlich nicht der Fall momentan. Um da vielleicht mal so zwei Punkte zu umreißen: Zu dieser Unsicherheit der Länge der Wartezeiten kommt halt auch noch eine wichtige sogenannte strategische Unsicherheit, würde ich sagen, aufseiten der Eltern. Und das lässt sich vielleicht ganz gut erklären an einem kleinen Beispiel: als anschauliches Beispiel eine alleinerziehende Mutter mit einem Vollzeitjob, die jetzt aber im Rahmen der Kitaplatzvergabe eben nur einen Teilzeitplatz für die Betreuung angeboten bekommt. Und jetzt steht sie vor einer strategischen Wahl. Entweder sie nimmt dieses Betreuungsverhältnis an, dann könnte es aber natürlich sein, dass sie später im Verfahren einen Vollzeitplatz bekommen hätte. Und der geht aber jetzt eine andere Familie und dementsprechend hätte die Mutter sogenannten berechtigten Neid auf diese Familie. Wir würden dann sagen, die Vergabe ist unfair oder es ist auch instabil, weil die Mutter – das ist in vielen Städten in Deutschland so – eben anhand der Vergabekriterien der Stadt eine höhere Priorität gehabt hätte als eine Familie, die das besser abfangen kann. Das ist das eine Problem, was neben den Wartezeiten da entsteht. Und ein weiteres ist diese Abwägung, die sie jetzt hat. In dem Fall haben wir uns angeschaut, sie nimmt den Platz an. Wenn sie den Platz nicht annehmen würde und die Zusage zurückhalten würde, würde sie natürlich auch wieder Wartezeiten generieren, für andere Eltern den Platz blockieren. Wir sehen also, dass diese Probleme – lange Wartezeiten, Unsicherheit bei der Vergabe und Planungsunsicherheit und auch eine Unfairness, die wir beobachten – eng mit den momentan verwendeten Vergabeverfahren verknüpft sind.

00: 05:08:

00: Und was sind das für Vergabeverfahren, die da gerade zum Einsatz kommen?

00: 05:12:

00: Wir haben in Deutschland einen ziemlichen Wildwuchs, weil jede Stadt verantwortlich ist für die Vergabe. Aber konkret lässt sich das eigentlich auf zwei bestimmte Verfahren runterbrechen. Das eine ist das sogenannte Windhund-Verfahren, das in vielen Städten verwendet wird, unter anderem in NRW, in der Stadt Köln, aber auch in Münster und auch in Mannheim damals, als wir uns beworben haben. Windhund verrät erst mal, dass es unheimlich schnell geht mit der Vergabe. Die Kitas streiten sich also quasi um die Bewerber. Und man hat in meinem Fall, aber auch in anderen Fällen gesehen, dass das dann doch oftmals nicht so funktioniert. Und das habe ich wahrscheinlich ganz gut dargelegt in dem Beispiel mit der alleinerziehenden Mutter, wie so Verfahren herausgezögert werden können.

00: 05:57:

00: Wenn man darauf wartet, noch einen besseren Platz zu bekommen.

00: 05:59:

00: Genau, das führt eben zu dem Problem der strategischen Abwägung, zu mangelnder Fairness im Vergabeverfahren. Und das hat auch unter anderem für das Windhund-Verfahren das Oberverwaltungsgericht in Münster gerügt. 2017 schon war da ein ähnlich gelagerter Fall, bei dem Eltern keinen Kitaplatz bekommen haben für ihr Kind, die Stadt aber nicht nachweisen konnte, dass die Vergabe stabil ist. Das heißt, dass in allen von den Eltern angegebenen Kitas ausschließlich Kinder mit einer höheren Punktzahl aufgenommen wurden – Punktzahl nach dem Kriterienkatalog der Stadt. Und in die Punktzahl fließen Kriterien rein wie zum Beispiel der Alleinerziehungsstatus, Geschwisterkind oder Arbeitsumgebung der Eltern. Das ist das eine Verfahren, was verwendet wird und das zweite, von dem ich sprach, ist dann quasi eine Weiterentwicklung. Dieses Windhund-Verfahren hat die Eigenschaft, dass Eltern gar keine Präferenzen angeben können, das heißt, sie geben die Kitas an, die für sie akzeptabel sind, die für sie geprüft werden sollen von der Stadt, aber sie können keine Reihenfolge angeben. Das wirkt ein bisschen aus der Zeit gefallen. Ich meine, ich gehe auch nicht zum Bäcker und lass dann die Verkäuferin entscheiden, welche Brötchen sie für mich einpackt. Rechtlich gesehen gibt es dafür natürlich auch keinen Anspruch, einen bestimmten Kitaplatz zu bekommen. Aber es wäre schon nett, wenn die Stadt einem soweit entgegenkommen könnte, das zu tun. Und das wird in dem zweiten Verfahren versucht, das Verfahren mit direkter Annahme oder auch Boston-Verfahren genannt wird, weil es in der Stadt Boston groß wurde und dort auch analysiert wurde. Das ist ein Verfahren, was früher auch in der Studienplatzvergabe in Deutschland verwendet wurde, zum Beispiel im Fach Medizin. Und bei dem Verfahren versuchen Kitas zuerst Angebote an Bewerber zu schicken, die die Kita selbst als ihren Erstwunsch angeben.

00: 07:53:

00: Also die Eltern reichen zuvor eine Liste ein?

00: 07:57:

00: Die Eltern reichen eine Liste der Kitas gerankt ein, in Reihenfolge ihrer Wünsche. Und die Kitas versuchen, diesen Wünschen gerecht zu werden. Das hört sich erst mal ganz vernünftig an, hat aber zu absurden Situationen geführt bei der Studienplatzvergabe schon damals. Das Verfahren wurde deshalb auch nicht weitergeführt. Zum Beispiel gab es einen Schüler, der mit einem Abitur von 1,0 keinen Medizin-Studienplatz bekommen hat, obwohl er die komplett verfügbaren Universitäten, die es anzugeben gab, ausgereizt hat. Und das lässt sich damit erklären, dass er sich zuerst in Heidelberg beworben hatte. Dort gab es so viele Bewerber mit einer 1,0, dass dort gelost werden musste, wer einen Platz bekommt. Und nachdem das Loos nicht zu seinen Gunsten entschieden hatte, wurde dann die nächstverfügbare Universität geprüft. Dort waren aber auch schon alle Plätze vergeben, zwar nicht mit einer 1,0, aber mit einer 1,3 oder einer 1,7, sodass der Bewerber dann im Endeffekt durchgereicht wurde und ohne Platz dastand. Das zeigt auch wieder, dass der Bewerber natürlich berechtigten Neid hat auf andere Studierende. Aber es zeigt auch, dass das Verfahren anfällig für strategische Überlegungen ist. Hätte der Bewerber auf seinen Erstwunsch verzichtet in Anbetracht der Tatsache, dass es zu viele Bewerber dort gibt, hätte er wahrscheinlich bei seinem Zweit- oder Drittwunsch einen Platz bekommen. Also wir sehen, dass die bisher verwendeten Verfahren große Probleme tatsächlich haben und dass es auch bessere Lösungen gibt.

00: 09:33:

00: Was sind diese besseren Lösungen?

00: 09:35:

Ich hatte es schon ein bisschen angesprochen mit der Studienplatzvergabe. Gerade in dem Bereich Schul- und Studienplatzvergabe gibt es bewährte Verfahren, die die benannten Probleme eben nicht haben. Und die haben einen essenziellen Unterschied: Sie funktionieren zentral. Eltern können ein Ranking, eine Liste ihrer Wünsche über die Kitas abgeben. Und die Kitas geben auch eine Liste über die Bewerber ab. In einer bestimmten Reihenfolge und per Algorithmus werden diese beiden Listen dann abgeglichen und es folgt eine Zuordnung, die im Endzustand dann stabil ist. Wie funktioniert das Ganze? Kitas machen innerhalb dieses Algorithmus, der ja nur eine Abfolge von Regeln ist, zuerst ein Angebot an die Bewerber. Die Bewerber, also in dem Fall die Kinder, halten die für sie beste Kita und lehnen alle anderen direkt ab, können sich aber – deshalb ist das ein Verfahren mit verzögerter oder indirekter Annahme – in jedem weiteren Schritt, sobald Sie ein Angebot von der besseren Kita bekommen, noch mal umentscheiden. Und dadurch entsteht kein berechtigter Neid.

00: 10:47:

00: Also wir haben nicht die Situation von der Alleinerziehenden, die überlegen muss, nehme ich jetzt die Teilzeitbetreuung an oder nicht?

00: 10:53:

00: Genau. Das Verfahren ist also strategiesicher. Es ist offensichtlich schnell, weil innerhalb von einem Tag die Vergabe erfolgen kann und es löst dieses Problem mit dem berechtigten Neid. Das Verfahren ist auch angewendet, unter anderem in Städten wie New York, Paris und London für die Schulplatzvergabe. Und es ist auch ausgezeichnet mit dem Nobelpreis, der 2012 für die Theorie Stabile Verteilungen und die Praxis des Marktdesigns vergeben wurde an Roth und Shapley. Aber es lässt sich nicht optimalerweise einfach auf die Kitaplatzvergabe übertragen.

00: 11:33:

00: Also für Kitas wird es bisher noch nicht eingesetzt?

00: 11:36:

Genau, für Kitas wird es momentan noch nicht eingesetzt und das liegt größtenteils an zwei Faktoren. Das erste ist, dass es in dem Kita-Markt ein starkes Bedürfnis der Einrichtung nach sogenannter Trägerautonomie gibt. Das heißt konkret: Man will selbst entscheiden, wen man zulässt. Ist auch ganz verständlich. Und dass es des Weiteren bei den Kita-Gruppen sehr starke sogenannte Komplementaritäten gibt. Das heißt Gruppenzusammensetzung ist wichtig. Alters- und Geschlechtszusammensetzung innerhalb der Gruppe ist aus pädagogischen Gründen eben sehr wichtig. Das macht es zusammen schwer für die Kitas, Bewerber, die sie bekommen, in eine Rangfolge zu bringen. Denn sie sollten ja auch gleichzeitig darauf achten, dass zum Beispiel ein gemischtes Geschlechterverhältnis besteht, dass die Kinder gute Spielkameraden haben etc.

00: 12:26:

00: Das ist jetzt beim Medizinstudium nicht so wichtig?

00: 12:29:

00: Das ist bei den meisten Studiengängen eben nicht so wichtig und auch in der Schule wahrscheinlich nicht mehr so wichtig. Da kann man in der Regel ein Wunschkind eingeben, mit dem man zusammen in die Klasse will vielleicht in der Grundschule. Aber solche gruppendynamischen Aspekte sind in der frühkindlichen Bildung offensichtlich wichtiger.

00: 12:45:

00: Wie habt ihr das rausgefunden, was die Schwierigkeiten auf dem Kita-Markt sind?

00: 12:50:

00: Durch viele Gespräche mit Jugendamtsleitungen, auch Kita-Leitungen. In den Einrichtungen mit den Jugendämtern haben wir das herausgefunden. Offensichtlich war der erste Gedanke auch reflexartig ein bewährtes Bewertungsverfahren anzuwenden. Sind dort aber natürlich auf Widerstände gestoßen. Und so war das auch ein Lernprozess für uns. Unsere Herausforderung bestand jetzt darin, aus diesen Anforderungen, die es in dem Markt gibt, diesen offensichtlichen Beschränkungen, noch ein Verfahren zu konstruieren, das irgendwo versucht, eine Kompromisslösung zu finden. Einerseits die netten Eigenschaften des theoretisch fundierten sogenannten Gale-Shapley-Verfahren auf der Studien- und Schulplatzvergabe zu haben, auf der anderen Seite aber dieser Autonomie gerecht zu werden. Und dazu haben wir eine Software entwickelt.

00: 13:47:

00: Das ist dann KitaMatch.

00: 13:48:

00: Und das ist die sogenannte KitaMatch-Software. Und die KitaMatch-Software funktioniert so, dass sie von Eltern weiterhin das Ranking über die Einrichtungen abfragt, aber den Einrichtungen, also den Kitas, jetzt weiterhin die Möglichkeit dieser Flexibilität ermöglicht auf eine Rangfolge zu verzichten. Es ist also ein rundenbasiertes Verfahren und in jeder Runde bekommt jede Kita-Leitung am Bildschirm am Computer die Liste der interessierten Bewerber angezeigt und kann dort Platzangebote registrieren. Die werden also nicht rausgeschickt per Post, sondern werden erst mal online registriert. Die Eltern sehen davon noch nichts. Und damit kann man diese komplementären Präferenzen der Kitas berücksichtigen, denn sie können jetzt in jeder Runde Angebote machen, basierend darauf, wen sie in den Vorrunden schon angenommen haben. Wenn das eben mehr Mädchen waren, dann werden sie jetzt eher einem Jungen ein Angebot machen. Und gleichzeitig funktioniert das Verfahren auch schneller, als wenn man es komplett dezentral machen würde. Denn die Entscheidung der Eltern, das Ranking, ist hinterlegt und wird automatisiert darauf vom Computer entschieden.

00: 15:08:

00: Also die Eltern müssen dann gar nicht mehr eingreifen, nachdem sie einmal ihre Präferenzen abgegeben haben.

00: 15:12:

00: Das Wunsch und Wahlrecht der Eltern ist erfüllt dadurch, dass sie die Präferenzen angeben können. Die Vergabe funktioniert am Computer und zum Schluss ist das gute Ergebnis, dass wir eine Zuordnung haben, sodass jedes Kind einen Betreuungsplatz hat und der eben kommuniziert werden kann und man eben nicht mehr warten muss darauf, ob vielleicht noch ein besserer Betreuungsplatz kommt und dieses ganze strategische Element entfällt.

00: 15:37:

00: Und was ist da jetzt konkret der Unterschied zu Gale-Shapley?

00: 15:42:

00: Also es ist weiterhin ein Gale-Shapley-Verfahren. Wir spielen identisch den gleichen Algorithmus durch, nur dass wir ihn für die eine Seite jetzt dezentral spielen. Das heißt, wir ermöglichen für die Kitas, jederzeit die Ranglisten anzupassen. In dem Gale-Shapley-Verfahren spielt man mit starren Ranglisten auf beiden Seiten und führt die so zusammen.

00: 16:01:

00: Ist das auch schon im Einsatz – KitaMatch?

00: 16:05:

00: Das Verfahren haben wir erarbeitet mit einigen Pilot-Gemeinden, -Kommunen. Wir haben darauf geachtet, dass wir ein Verfahren entwickeln, das sowohl in kleinen Gemeinden einsetzbar ist – die kleinste Gemeinde, mit der wir arbeiten, hat 10.000 Einwohner – als auch in Großstädten, zum Beispiel in Kaiserslautern mit über 100.000 Einwohnern. Und dort wird das Verfahren seit 2019 jeweils erfolgreich verwendet.

00: 16:30:

00: Wie viele Runden dauert das dann, bis alles entschieden ist?

00: 16:34:

Ja, genau. Mit Blick auf die Geschwindigkeit, was ja ein Ziel war – die Unsicherheit rauszunehmen aus dem Markt und den Eltern schnell eine Rückmeldung zu geben –, zeigte sich, dass innerhalb von sechs bis zehn Runden alle Plätze vergeben sind. Das heißt in unserem konkreten Fall: Entweder die Kitas treffen sich alle zusammen oder schalten sich online zusammen für eine Stunde. Und innerhalb dieser Stunde sind die Plätze vergeben. Danach können sie kommuniziert werden an die Eltern. Oder man spielt das durch innerhalb von einer Woche, sodass jede Kita an einem Tag eine Entscheidung zu treffen hat. Und auch bezüglich der Fairness, was ja ein weiteres Anliegen war, die zu verbessern, konnten wir damit Erfolge erzielen. Wir haben es tatsächlich geschafft, die Anzahl der Eltern, die berechtigten Neid vorher hatten in dem alten Verfahren, um die Hälfte zu reduzieren.

00: 17:32:

00: Also, wenn man den klassischen, nicht dezentralen Gale-Shapley-Algorithmus spielen würde, gäbe es gar keinen berechtigten Neid mehr?

00: 17:39:

Das ist korrekt. Ich hatte ja vorhin erwähnt, das ist eine Kompromisslösung, die wir hier angestrebt haben. Natürlich, wenn man nur den zentralen Gale-Shapley spielen würde und für jede Kita die Bewerber nach den Vergabekriterien der Stadt ranken würde. Das heißt: Alleinerziehende vielleicht zuerst, Vollbeschäftigte und so weiter. Dann gäbe es überhaupt keinen berechtigten Neid nach diesen Kriterien. Nun ist es aber so natürlich, dass die Kriterien der Stadt nicht zwangsläufig den Erfordernissen der Kitas entsprechen. Aus genannten Gründen, Komplementaritäten zum Beispiel, aber auch vielleicht aus anderen Gründen – Mitgliedschaft in einer Gemeinde, Mitgliedschaft in einem Sportverein etc. Und dass dieses Verfahren eben den Kitas mehr Flexibilität gibt.

00: 18:31:

00: Würdest du sagen, es ist jetzt ein guter Kompromiss?

00: 18:33:

00: Ich denke, aus Sicht der Eltern ist es auf jeden Fall ein guter Kompromiss, weil es das Verfahren wesentlich vereinfacht, weil es das transparenter macht. Auch aus Sicht der Kitas, der Einrichtungen ist es ein sehr guter Kompromiss, weil sie weiterhin Flexibilität damit haben und gleichzeitig – das zeigt ja auch das Verfahren, was wir jetzt angewendet haben, der berechtigte Neid ist reduziert worden – es ihnen einfacher gemacht wird, sich an den Vergabekriterien der Stadt tatsächlich zu orientieren.

00: 19:04:

00: Trotzdem ist es für die Kitas ja noch attraktiv, da mitzumachen.

00: 19:08:

Das ist eine Grundvoraussetzung gewesen, dass das Verfahren funktioniert. Für uns war es klar: Wir arbeiten mit Städten zusammen nur dort, wo alle Träger hundertprozentig hinter diesem Verfahren stehen und es ausprobieren wollen, sich daran halten wollen. Und das, denke ich, ist ein ganz großer Erfolg insgesamt, den sich auch das Jugendamt auf die Fahne schreiben kann in der Kommunikation. Denn wenn man das vergleicht: Wir haben jetzt hier 100 % der Kitas, die teilnehmen und auf freiwilliger Basis teilnehmen, verglichen mit der Studienplatzvergabe in Deutschland. Bei der Studienplatzvergabe ist es so, dass sich jede Universität verpflichtet hat, an den zentralen Verfahren teilzunehmen, allerdings mit mindestens nur einem Studienfach, mit einem Studiengang, nicht mit allen. Und nun ist es so, dass zurzeit gerade mal 1 % aller Studiengänge in Deutschland zentral über die Plattform Hochschulstart vergeben werden und die übrigen weiterhin dezentral.

00: 20:09:

Da seid ihr natürlich wesentlich besser mit 100%. Du hast gerade schon die Perspektive der Eltern erwähnt. Fassen vielleicht noch mal kurz zusammen, was jetzt die konkreten Vorteile für die Eltern sind. Also angenommen, ein junger Vater, eine junge Mutter spricht dich an: Was ist jetzt eigentlich der Vorteil mit KitaMatch gegenüber den bisherigen Verfahren?

00: 20:31:

Ich hatte den Fall tatsächlich. Letzte Woche hat mich ein junger Vater angesprochen und meinte, das Verfahren ist so und so, kannst du mir denn Tipps geben, wie ich mich am besten verhalten soll in dem Verfahren? Und da ist mir aufgefallen, dass selbst ich als Experte es schwierig fand, eindeutige Ratschläge zu geben. Eine Frage war zum Beispiel: Wie viel Kita sollte ich denn angeben, für die ich mich interessiere? Es ist ja nicht so offensichtlich; wenn ich zu viele angebe, lande ich vielleicht irgendwo, wo ich im Endeffekt gar nicht hinwollte. Oder kann ich nicht vielleicht, indem ich mich auf wenige beschränke, dann ein Angebot dieser Kitas erzwingen? Das kommt aufs Verfahren an, die Antwort ist nicht eindeutig. Was ich dazu sagen kann: In der Stadt, in der KitaMatch verwendet wird, ist es so, dass ich genauso viele Kitas angeben sollte, die ich akzeptabel finde, das heißt, in die ich mein Kind schicken würde gerne, und damit nicht die Chance verringere, auf meinen Erstwunsch oder Zweitwunsch kommen. Also das Verfahren ist strategiesicher. Ich brauche keine strategischen Abwägungen. Eine andere Frage, die aufkam, war, inwiefern ich meine erste Kita auch tatsächlich als erstes in der Rangliste angeben sollte.

00: 21:49:

00: So wie beim Fall mit Heidelberg.

00: 21:50:

Genau. Und es ist offensichtlich, in dem Fall mit Heidelberg war das eine schlechte Idee, das zu machen. In Kitas ist es auch wieder so, dass das die beste Strategie ist, die man verwenden kann., einfach die Rangliste wahrheitsgemäß anzugeben. Man muss sich also keine Gedanken darüber machen, wie man eine Rangliste abgibt, sondern einfach nur darüber, welche Kita am besten für das Kind passt. Und dann kam natürlich auch die Frage: Na ja, jetzt mal gut, ich habe die Vormerkungen, also die Anmeldung für die Kitas abgegeben. Wie lange wird es denn dauern, bis ich und auch mein Arbeitgeber wissen, wann ich wieder beruflich einsteigen kann? Also wann bekomme ich denn eine Zusage oder eine Absage? Und auch da ist die Antwort: Man kann es eigentlich nicht sagen bei den momentanen Verfahren. Es kann lange dauern, es kann auch recht schnell gehen. Wenn wir uns die KitaMatch-Anwendung anschauen, ist das innerhalb von einer Woche so, dass die Platzzusagen rausgehen und damit auch wieder Unsicherheit genommen wird.

00: 22:53:

00: Das ist ja auch gerade, dass man sich nicht strategisch verhalten muss, bestimmt von großem Vorteil für Eltern, die nicht so gut Deutsch sprechen zum Beispiel.

00: 23:04:

00: Ja, das stimmt. Das ist ein großer Vorteil und das ist aber auch ein Vorteil generell für Eltern. Ich glaube, viele Eltern verstehen die Verfahren, die verwendet werden, nicht und machen damit grobe strategische Fehler. Das fängt damit an, dass wir für manche Städte, mit denen wir zusammenarbeiten, beobachten, dass 40% der Eltern nur eine Einrichtung angeben. Denkt man noch mal an den Medizinstudenten, der sich für Heidelberg beworben hat, daran, was das für Auswirkungen hat. Mit hoher Wahrscheinlichkeit erhalten diese Eltern keinen Platz. Das kann aus unterschiedlichsten Gründen der Fall sein. Entweder man ist absolut uninformiert und denkt sich, der Rechtsanspruch auf einen Kitaplatz muss ja damit erfüllt werden, in dem ich auf diese eine Einrichtung komme. Oder man ist super strategisch und denkt sich, ich kann diesen Platz damit erzwingen, indem ich eben nur diese eine Wahl lasse. Beides ist nicht der Fall und das ist ein Problem, das man eigentlich vorab durch bessere Kommunikation oder idealerweise durch ein anderes Verfahren vermeiden könnte.

00: 24:11:

00: Habt ihr denn noch Daten dazu, wie viel Kinder bei KitaMatch denn am Ende ohne Platz dastehen und wie das Verhältnis zu den anderen Verfahren ist?

00: 24:21:

Das ist eine Sache, die ist tatsächlich so, das macht keinen großen Unterschied. Das ist die kurze Antwort. Und die etwas längere Antwort ist: Dadurch, dass wir eben so einen starken Kitaplatzmangel haben in den meisten Städten ist es so, dass in der Regel alle Plätze gefüllt werden.

00: 24:40:

00: Inzwischen ist die Entwicklung von KitaMatch ja abgeschlossen. Ist ja schon im Einsatz in manchen Städten, wie du erzählt hast. Es gibt auch eine Website dazu, die verlinken wir auch gerne in den Shownotes. Wie geht es denn für euch jetzt weiter? Gibt es auch von Seiten anderer Städte Interesse, KitaMatch einzusetzen?

00: 24:57:

00: Ja, wir haben das Verfahren jetzt erfolgreich in zwei Landkreisen und einer Großstadt implementiert. Das heißt aber auch, dass in den übrigen 80 Großstädten noch weiter suboptimale Verfahren verwendet werden. Und das ist natürlich ein großes Potenzial. Und wir wollen auch versuchen, das zu heben. Du hattest es angesprochen. Wir haben eine Webseite aufgesetzt, in der wir unter anderem eine Dokumentation dieser Open Source Software, die wir entwickelt haben, für Städte bereitstellen und auch Beispiele dafür, wie man das selbst implementieren kann. Und wir arbeiten auch mit, zum Beispiel der Bertelsmann Stiftung zusammen, um regelmäßige Workshops zu organisieren, in denen wir Städte, die es bereits erfolgreich verwendet haben, und andere zusammenbringen, um da einfach einen Austausch, einen fachlichen Austausch und Lerneffekte zu schaffen.

00: 25:51:

00: Gibt es aber auch noch offene Fragen für eure Forschung?

00: 25:55:

Ja, so eine offene Frage ist definitiv. Wir hatten von den Komplementaritäten gesprochen, inwiefern man diese Komplementarität nicht auch in einem zentralen Verfahren abdecken könnte, ohne die Kita-Leitung dabei zu überfordern. Das ist definitiv eine Frage, an der wir arbeiten, um so die Autonomie tatsächlich in Einklang mit dem zentralen Gale-Shapley zu bringen, der eben wesentlich effizienter noch mal läuft für alle Beteiligten. Denn der Wunsch nach Trägerautonomie ist ja irgendwo nachvollziehbar. In Deutschland gilt zwar aus gutem Recht der Grundsatz der Vertragsfreiheit, das heißt, man hat das Recht, mit wem man will, Verträge abzuschließen. Denkt man zum Beispiel an andere Märkte wie den Wohnungsmarkt, dann ist es auch klar, wenn ein Vermieter eine Wohnung neu vermietet, dass er sich bei der Wahl des Mieters ungern reinreden lässt. Jetzt ist es aber so, dass bei der Kitaplatzvergabe das nicht so hundertprozentig zutrifft wie auf dem Mietmarkt. Denn natürlich handeln auch da die Kita-Leitungen im besten Interesse der Kinder und der Einrichtungen selbst. Aber es ist so, dass selbst bei privaten oder kirchlichen Trägern der Kitaplatz trotzdem aus der öffentlichen Hand finanziert wird. Und da gelten andere Regeln. Und da muss man eben nachweisen, wie ein öffentliches, knappes Gut eben fair verteilt wird nach konkreten Regeln. Deshalb gilt es weiterhin: Das ist das Forschungsthema schlechthin für uns momentan, die Regeln, die die Stadt vorschreibt und auf die sie sich auch mit den Trägern zusammen geeinigt hat, und auf der anderen Seite die berechtigten Interessen aus pädagogischer Perspektive der Träger in Einklang zu bringen.

00: 27:55:

00: Zum Abschluss wollte ich dich noch fragen, wie es ist, als Forscher an so einer Lösung für ein konkretes Problem zu arbeiten?

00: 28:03:

00: Ich würde fast sagen, es ist vergleichbar damit, ein Kind großzuziehen. Auf der einen Seite ist es natürlich unglaublich erfüllend, die Fortschritte zu sehen, auf der anderen Seite bereitet es einem auch so manche schlaflose Nacht und fordert auch viel Geduld ab. Ich denke, daher ist es gut, dass ich zum Beispiel mit der Hochschule Pforzheim, auch mit dem ZEW sozusagen sehr familienfreundliche Arbeitgeber habe, die neben den Forschungsleistungen auch das Engagement im Forschungstransfer zum einen fördern, aber auch honorieren.

00: 28:41:

00: Ich wünsche dir auf jeden Fall noch weitere so erfolgreiche Marktdesign-Projekte, Thilo. Vielen Dank für das Gespräch.

00: 28:46:

00: Vielen Dank Carola.

00: 28:47:

00: Danke auch fürs Zuhören beim ZEW-Podcast. Wenn euch der Podcast gefällt, freuen wir uns über eure positive Bewertung auf Spotify oder Apple Podcasts. Habt ihr Fragen oder Anmerkungen? Dann schreibt gerne eine E-Mail an podcast@zew.de. Wir sind gespannt auf eure Zuschriften. Wirtschaft, Forschung. Debatten. Ein ZEW-Podcast.

Über diesen Podcast

Der Podcast des ZEW Mannheim.

von und mit ZEW – Leibniz-Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung

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