Wirtschaft · Forschung · Debatten

Wirtschaft · Forschung · Debatten

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00: 00:00:16 - 00:00:15:18

00: Sprecher 1

00: Kinder von Ärzten sind nicht unbedingt die besten Ärzte. Und da kommt dieser Equity/Efficiency Trade-off ins Spiel, der in diesem Fall kein Trade-off ist.

00: 00:15:23 - 00:00:55:02

00: Sprecher 2

00: Wirtschaft Forschung Debatten ein ZEW Podcast

00: Chancengleichheit ist ein wichtiger Wert in demokratischen Gesellschaften. Alle Menschen sollen die gleichen Lebenschancen haben, unabhängig von Eigenschaften wie Behinderung, Religion, Hautfarbe oder Geschlecht. Chancengleichheit beginnt schon im Kindesalter mit gleichem Zugang zu Bildungschancen. In der Praxis bestimmt allerdings oft das Elternhaus die Bildungsmöglichkeiten von Kindern und Jugendlichen. Mein Name ist Carola Hesch und in dieser Folge des ZEW-Podcast geht es darum, wie Chancengleichheit und Bildung zum wirtschaftlichen Wohlstand beitragen.

00: 00:55:17 - 00:01:17:20

00: Sprecher 2

00: Zu Gast ist dazu Guido Neidhöfer. Er ist Bildungsökonom und forscht zu den Auswirkungen von Chancengleichheit auf Wirtschaftswachstum, Entwicklung und Innovation. Wir sprechen darüber, warum gleiche Bildungschancen alle Volkswirtschaften effizienter machen können. Außerdem blicken wir darauf, wie die Schulschließungen während der Corona-Pandemie die Ungleichheit im Bildungssystem in vielen Ländern noch erhöht haben und was sich dagegen tun lässt. Herzlich willkommen zum ZEW-Podcast.

00: 01:18:06 - 00:01:27:06

00: Sprecher 2

00: Hallo Guido, schön, dass du da bist. Verrätst du mir, was heute schon auf deiner To-Do-Liste stand?

00: 01:27:12 - 00:01:51:01

00: Sprecher 1

00: Was auf meiner To-Do-Liste stand? Heute war eine Revision von Papern einarbeiten, sich um Anfragen kümmern von Stiftungen, die Beratungsprojekte haben möchten, zu gewissen Themen auch in der Kinder- und Jugendforschung. Sich darum kümmern, dass in den Papern die Forschung weitergebracht wird in verschiedenen Richtungen. Ja.

00: 01:51:18 - 00:01:52:17

00: Sprecher 2

00: Also Forschungsalltag.

00: 01:53:11 - 00:01:56:14

00: Sprecher 1

00: Ja. Forschungsalltag+ sozusagen.

00: 01:57:01 - 00:01:57:24

00: Sprecher 2

00: Jetzt noch Podcast.

00: 01:58:02 - 00:01:59:05

00: Sprecher 1

00: Und jetzt noch Podcast.

00: 02:00:04 - 00:02:09:11

00: Sprecher 2

00: Dann fangen wir gleich mal an. Du bist seit Anfang des Jahres sogenannter Jacobs Fellow. Herzlichen Glückwunsch noch mal dazu. Magst du vielleicht kurz erklären, worum es dabei geht?

00: 02:10:07 - 00:02:59:22

00: Sprecher 1

Gerne. Also die Jacobs Stiftung fördert Nachwuchswissenschaftler: innen, die mit ihrer Forschung zur Verbesserung der Entwicklungs-, Lern- und Lebensbedingungen von Kindern und Jugendlichen beitragen und vergeben jedes Jahr über alle Disziplinen hinweg zwischen zehn und zwölf dieser Fellowships. Und ich habe dieses Jahr eine Fellowship erhalten, die bis 2025 läuft, weil ein Großteil meiner Arbeit halt den Themen Chancengleichheit und soziale Mobilität gewidmet ist. Und besonders untersuche ich zurzeit – und das ist auch die Idee für die Zeit der Fellowship – die Auswirkung von Chancengleichheit auf Wirtschaftswachstum, wirtschaftliche Entwicklung und Innovation und besonders auch die Auswirkung der Corona auf Bildung und Chancengerechtigkeit. Das sind die Themen, denen ich mich so widmen werde. In den nächsten Jahren auch.

00: 03:00:09 - 00:03:11:00

00: Sprecher 2

00: Das sind ja auch die Themen, über die wir heute sprechen wollen. Du hast schon angesprochen, dass es bei dir um das Thema Chancengleichheit geht, werfen wir vielleicht erst mal ein Blick darauf. Was bedeutet Chancengleichheit eigentlich?

00: 03:11:19 - 00: 04:49:19

00: Sprecher 1

00: Ja, sehr gerne. Chancengleichheit ist ja allen irgendwie ein Begriff und doch sehr schwammig auch. Insofern will ich das Thema gerne wissenschaftlich angehen. Nach der Definition von John Römer gibt es eine Unterscheidung zwischen Umständen bei John Römer Circumstances und Bemühungen, Efforts. Umstände sind zum Beispiel Geschlecht, Hautfarbe, sozioökonomisches Umfeld, in dem man aufgewachsen ist. Das heißt all das, was jenseits der eigenen Kontrolle liegt, also in das Individuen sozusagen hineingeboren werden. Okay, Bemühungen sind Bemühungen, also das, was man selber dazu beiträgt, damit man in der Schule gewisse Noten erzielt, bei der Arbeit ein gewisses Lohn-Level erzielt usw. Gerecht wäre es nach der Definition von John Römer, Bemühung zu entlohnen, denn das schafft auch Anreize und erhöht die Effizienz, wenn Bemühungen tatsächlich entlohnt werden. Aber gewisse Ungleichheiten – und das weiß man – hängen eben nicht nur von Bemühungen ab, sondern auch von diesen Circumstances, diesen äußeren Umständen. Und die Ungleichheiten, die halt von diesen Umständen abhängen, die werden als ungerecht empfunden. Das heißt, Chancengerechtigkeit oder Chancengleichheit in dieser Definition zu erreichen, bedeutet Ungleichheit, die durch Umstände entstanden ist, zu beseitigen oder zu überwinden, damit überhaupt individuelle Bemühungen gerecht belohnt werden können. Das ist die Idee dahinter. Wenn man das Thema, sagen wir mal philosophisch wissenschaftlich angeht.

00: 04:50:16 - 00:04:56:10

00: Sprecher 2

00: Jetzt bist du ja Ökonom. Inwiefern ist das Thema Chancengleichheit denn für die ökonomische Forschung interessant?

00: 04:57:10 - 00:05: 38:07

00: Sprecher 1

00: Da gibt es zwei wichtige Dimensionen. Warum das interessant und relevant ist in der Ökonomik, als Forschungsfeld oder als Disziplin, gibt es eigentlich zwei Dimensionen, die diese als solche kennzeichnen. Einmal Equity und Efficiency im Englischen, das heißt Gerechtigkeit und Effizienz. Und oft stehen diese Dimensionen in einem Zielkonflikt zueinander. Das heißt, man redet auch von dem Equity/Efficiency Trade-off. Haben viele schon mal gehört? Wahrscheinlich. Und man muss oft bei Politik Maßnahmen abwägen, was man bereit ist aufzugeben in einer Dimension, um von der anderen mehr zu erreichen oder um die andere nicht zu überlasten.

00: 05:38:07 - 00:05:39:24

00: Sprecher 2

00: Zum Beispiel. Hast du ein Beispiel?

00: 05:40:03 - 00:06: 33:22

00: Sprecher 1

00: Ja, Ein klares Beispiel sind zum Beispiel Steuern. Also der Staat muss Steuern erheben, um Einkommen umzuverteilen oder auch den öffentlichen Sektor funktionstüchtig zu halten. Aber zu hohe Steuern führen zu negativen Anreizbedingung, das heißt bei zu hohen Steuern arbeiten teilweise Menschen weniger, als es effizient wäre. Oder manche könnten auch ihr Kapital ins Ausland verlagern usw. Insofern muss der Staat, die öffentliche Hand, zum Beispiel bei Steuern den optimalen Steuersatz finden, wo das Maximale an Umverteilung gemacht werden kann, ohne dass dabei negativen Anreize oder Bedingungen zu tragen kommen. Und das ist ein klares Beispiel für diesen Equity/Efficiency-off. Nun, eine mögliche These bei Bildungschancen ist, dass dieser Zielkonflikt gar nicht besteht.

00: 06:34:20 - 00:06:36:00

00: Sprecher 2

00: Also was würde das bedeuten?

00: 06:37:14 - 00:07:08:06

00: Sprecher 1

00: Also es ist folgendermaßen. Wenn Bildungschancen für alle gewährleistet wären, also quasi Chancengleichheit gewährt wird, dann werden auch Talente entdeckt, die möglicherweise in einem Umfeld aufwachsen, wo diese Talente sonst nicht herauskommen würden. Zum Beispiel manche Ökonomen, die an dem Thema arbeiten, reden von verlorenen Einsteins, die zum Beispiel auch in Armenvierteln, Favela-Slums geboren werden können und dort aufwachsen können.

00: 07:08:06 - 00:07:36:12

00: Sprecher 1

00: Und wenn diese Talente nicht gefördert werden, dann können die ja auch ohne Unterstützung nicht ihre Fähigkeiten zur Geltung bringen. Und das kommt dann nicht der gesamten Gesellschaft zugute, wie es eigentlich sollte. Ein interessantes Beispiel dafür ist der Fußball. Fußball ist ein so großer Wirtschaftsfaktor, dass Talente so wie Messi, Mbappé oder DiMaría – um jetzt mal so die Torschützen des WM-Finales zu nennen – dass solche Talente eigentlich selten unerkannt bleiben im Fußball.

00: 07:36:18 - 00: 08:32:15

00: Sprecher 1

00: Also die Mbappés, die Maradonas, die Messis, die DiMarías, findet man. Warum? Weil die Vereine darin investieren, um diese Talente ausfindig zu machen. Nun, Fußballspieler zu werden an sich ist natürlich, wenn man sich den heutigen Profifußball anschaut, eine sehr kostspielige Karriere. Und natürlich kommen die Vereine für diese Kosten auf. Aber stellen wir uns mal vor, das wäre nicht so! Stellen wir uns mal vor, der Fußball würde davon leben, dass nur die Fußballer werden können, Profifußballer, die sich die Ausbildung auch selber leisten können. Ja, dann wäre Fußball wahrscheinlich deutlich langweiliger und unspektakulärer, als es wirklich ist. Denn die ganzen Maradonas, Messis usw. hätten nicht die Ressourcen gehabt, um sich diese Karrieren leisten zu können. Und Fußball ist halt ein gutes Gegenbeispiel von dem, was zum Beispiel in unserem Bildungssystem stattfindet.

00: 08:32:18 - 00:09:08:07

00: Sprecher 1

Wenn wir uns zum Beispiel Deutschland anschauen: 67 Prozent der Schüler auf dem Gymnasium haben Eltern, die auch das Abitur haben. Weniger als 6 Prozent der Kinder auf dem Gymnasium haben Eltern mit einem Hauptschulabschluss. Auf der Hauptschule ist es genau andersherum. Also 42 Prozent der Schüler und Schülerinnen haben Eltern, die auch einen Hauptschulabschluss haben. Das zeigt, dass also wenn Einsteins auch in den Haushalten aufwachsen können, die bildungsfern sind, dann sind diese Statistiken auf jeden Fall weit davon entfernt, was man als Chancengleichheit definieren würde.

00: 09:08:19 - 00:09:32:07

00: Sprecher 1

00: Nachdem natürlich das Bildungssystem so ausgefallen ist, sieht es auf dem Arbeitsmarkt auch ähnlich aus, wo es zum Beispiel wahrscheinlicher ist. Sagen wir mal, dass die Kinder von Ärzten auch selber Medizin studieren oder Ärzte werden. Aber Kinder von Ärzten sind nicht unbedingt die besten Ärzte. Und da kommt dieser Equity/Efficiency Trade-off ins Spiel, der in diesem Fall kein Trade off ist.

00: 09:32:07 - 00:10:00:12

00: Sprecher 1

00: Denn mit mehr Chancengerechtigkeit zum Beispiel im Zugang zu Bildung und auf dem Arbeitsmarkt könnte man in diesem Fall einerseits die Gesellschaft etwas gerechter machen, wobei Gerechtigkeit natürlich ein subjektiver Begriff auch für viele ist, aber was eher nicht objektiv ist, ist der Begriff der Effizienz. Und man könnte die Gesellschaft auch effizienter machen und die Leistung der Volkswirtschaft verbessern, indem man die Situation verbessern würde.

00: 10:01:12 - 00:10:14:18

00: Sprecher 1

00: Diese Situation klingt logisch. Also diese Ineffizienzen. Irgendwie ist das naheliegend, wenn wir darüber sprechen. Aber empirisch wurde das noch nicht im Detail untersucht. Und das ist auch der Grund, warum wir uns jetzt dem Thema mehr und mehr gewidmet haben.

00: 10:15:15 - 00:10:22:21

00: Sprecher 2

00: Das klingt total nachvollziehbar, auch mit dem Beispiel aus dem Fußball. Und wie geht ihr jetzt daran, das empirisch zu untersuchen?

00: 10:23:19 - 00:11:02:20

00: Sprecher 1

00: Ja, wir haben verschiedene Forschungsprojekte in dem Bereich. Wir untersuchen zum Beispiel soziale Mobilität in verschiedenen Ländern. Auch in Deutschland haben wir das in der Vergangenheit gemacht, über drei Generationen von Großeltern zu den Enkelkindern hinweg. Und jetzt, zurzeit spezifisch, schauen wir uns tatsächlich an in verschiedenen Kontexten, ob über Kohorten und Regionen hinweg, Chancengerechtigkeit an, gemessen meistens am Grad der sozialen Mobilität, das heißt die Chance des Bildungsaufstieg zum Beispiel von einer Kohorte in einer gewissen Region, ob das Wirtschaftswachstum und Innovationsfähigkeit steigert.

00: 11:02:20 - 00:11:29:08

00: Sprecher 1

00: Zum Beispiel, wir haben eine Studie zu Lateinamerika, und da zeigen wir die höhere Chancengerechtigkeit einer Kohorte. Also, die eine Kohorte quasi erlebt hat. Wenn diese Kohorte bessere Chancen hatte oder vor allem Benachteiligte in dieser Kohorte bessere Chancen hatten, dann erhöht sich auch der Lebensstandard der gesamten Region wo diese Kohorte lebt. Wenn diese Kohorte einmal auf den Arbeitsmarkt kommt und tatsächlich zur Wirtschaft beiträgt.

00: 11:29:22 - 00:12:01:03

00: Sprecher 1

00: Wir machen das Gleiche oder etwas Ähnliches zu Europa, wo wir uns die Auswirkung von Chancengerechtigkeit auch wieder von Kohorten und Regionen innerhalb von Europa auf Wachstums-Dimensionen, zum Beispiel Innovationspotenzial, Bruttoinlandsprodukt pro Kopf usw., anschauen. Und auch in diesem Fall zeigen unsere vorläufigen Ergebnisse, dass tatsächlich dieser positive Zusammenhang, den wir auch in Lateinamerika gefunden haben, in Europa da ist zwischen verbesserter Chancengerechtigkeit und wirtschaftlicher Leistung.

00: 12:02:13 - 00:12:16:17

00: Sprecher 2

00: Das sind ja sehr ermutigende Ergebnisse. Jetzt war es aber während der Corona-Pandemie so, dass Schulen geschlossen hatten und viele Kinder zumindest auf diesem Weg keinen Zugang mehr zu Bildung hatten. Was bedeutet das dann vor dem Hintergrund der Chancengleichheit?

00: 12:17:17 - 00:12:47:23

00: Sprecher 1

00: Ja, Corona ist tatsächlich ein sehr wichtiges Thema. Das hat auch unter anderem das Thema der Chancengleichheit und Bildungsgerechtigkeit wieder in die Debatte reingebracht, weil natürlich verschiedene Faktoren in der Pandemie Chancengerechtigkeit gefährdet haben. Und das sieht man jetzt auch in den Untersuchungen, die es jetzt gibt, für verschiedene Länder, dass tatsächlich die Bildungsungleichheit sich in allen Ländern erhöht hat nach der Pandemie.

00: 12:48:15 - 00:13:17:09

00: Sprecher 1

Der wichtigste Aspekt, der das natürlich direkt beeinflusst hat, waren die Schulschließungen. Schulschließungen wirken sich natürlich darauf aus, dass die Schüler nicht mehr in dem gleichen Umfeld sind, sondern im Umfeld der Familie. Und wir wissen, dass das Umfeld der Familie teilweise unterschiedlich sein kann und es in manchen Umfeldern schwieriger sein kann für Kinder zu lernen. Zum Beispiel: Für manche Eltern ist es deutlich schwieriger, einen Lehrer zu ersetzen.

00: 13:17:19 - 00:13:45:17

00: Sprecher 1

00: Also für alle Eltern ist es schwer, einen Lehrer zu ersetzen, auch allein, wenn man im Pädagogischen nicht trainiert ist. Aber für manche ist es natürlich deutlich schwieriger als für andere. Und auch die Lernmöglichkeiten zum Beispiel durch einen Internet-Anschluss und gewisse andere Medien oder durch mehr Platz zu Hause. Die sind sehr ungleich verteilt und benachteiligte Kinder haben zum Beispiel mehr Geschwister, haben weniger Platz zu Hause, haben weniger Lernmöglichkeiten.

00: 13:45:23 - 00:14:16:22

00: Sprecher 1

00: Auch beim Internet-Anschluss gibt es da Nachteile. Und all das trägt natürlich dazu bei, dass benachteiligte Kinder einen zusätzlichen Nachteil hatten während der Schulschließungen. Bei manchen kommt auch dazu – das ist in vielen Ländern tatsächlich sehr relevant – dass dadurch, dass Schulessen und Sportunterricht weggefallen sind, auch weitere Probleme da sind und auch da benachteiligte Kinder einen zusätzlichen Nachteil haben. Dazu kommt noch eine weitere Serie an Faktoren, die sich ungleich ausgewirkt haben auf Familien.

00: 14:17:20 - 00:14:43:11

00: Sprecher 1

00: Finanziell sind manche Familien mehr betroffen als andere, weil das Arbeiten von zu Hause für manche einfach nicht möglich war und manche Unternehmen Pleite gegangen sind und dadurch dieser finanzielle Nachteil. Studien haben gezeigt, dass der sich auch auswirkt auf den Stress, der zu Hause gespürt wird und auch auf die Bildungsleistungen der Kinder. Gesundheit, da weiß man, dass auch da Unterschiede bestehen.

00: 14:43:11 - 00:15:09:19

00: Sprecher 1

00: Wenn zum Beispiel in manchen Ländern viele Mehrgenerationen-Haushalte zusammenleben, dass das auch Auswirkungen hat und mit einer höheren Ansteckungsgefahr verbunden ist. Und das wirkt sich natürlich auch auf Kinder aus diesen Familien aus. Genau das haben wir versucht. In unserer eigenen Forschung, auch zur Untersuchung. Und teilweise haben wir, und untersuchen auch jetzt weiter, die Folgen der Schulschließungen in Lateinamerika, in Deutschland, in afrikanischen Ländern untersucht.

00: 15:10:04 - 00:15:42:06

00: Sprecher 1

Und wir zeigen eine Reihe von möglichen oder bereits messbaren Auswirkungen aus dieser gesamten Situation, zum Beispiel: mehr Bildungsungleichheit heute und sehr wahrscheinlich höhere Einkommensungleichheit. Soweit diese Generation, die heute in der Schule sind. Auf dem Arbeitsmarkt sind. Weniger Hochqualifizierte, was für Deutschland auch jetzt ein wichtiges Thema ist beim Stichwort Fachkräftemangel zum Beispiel. Und das könnte auch Folgen haben für das Rentensystem, wie wir alle wissen.

00: 15:42:13 - 00:16:10:23

00: Sprecher 1

Und möglicherweise sind mit Bildung auch andere Dinge verbunden, über die wir nicht unbedingt oft nachdenken. Aber zum Beispiel führt höhere Bildung auch dazu, dass man mehr Vertrauen in Institutionen hat. Und wenn auch höhere Ungleichheit da ist, dann ist auch der gesellschaftliche Zusammenhalt schwächer. Insofern: Das alles sind Auswirkungen, die man auch mitberücksichtigen muss, wenn man sich über die Nachfolgen der Corona-Pandemie auf Kinder und auf benachteiligte Familien Gedanken macht.

00: 16:11:19 - 00:16:22:04

00: Sprecher 2

00: Das ist ja schon ziemlich drastisch und auch langfristig mit Auswirkungen auch auf das Rentensystem. Wie ist da genau der Zusammenhang beim Rentensystem?

00: 16:22:04 - 00:16:41:22

00: Sprecher 1

Beim Rentensystem vor allem, weil das typische Problem: Wir haben jetzt zu wenig Jugendliche für zu viele alte Menschen. Wenn jetzt auch noch diese zu wenigen Jugendlichen niedriger gebildet sind und weniger Einkommen verdienen, dann hat das auch noch eine stärkere Auswirkung auf das Rentensystem in der Hinsicht.

00: 16:42:07 - 00:16:47:01

00: Sprecher 2

Würdest du dann sagen: Es war falsch, die Schulen zuzumachen in der Corona-Pandemie?

00: 16:47:01 - 00:17:14:00

00: Sprecher 1

00: Es gab wahrscheinlich keinen anderen Ausweg. Also auch unsere eigene Forschung, es gab viel Forschung von Kolleginnen und Kollegen, auch aus der Epidemiologie zum Beispiel, die gezeigt haben, dass sich die Anzahl der Fälle reduziert hat nach den Schulschließungen, was ja auch klar und eindeutig ist. Man schließt das ab, was die meisten Leute auf die Straße und in die öffentlichen Verkehrsmittel und auch auf engem Raum zusammenbringt.

00: 17:14:00 - 00:17:45:20

00: Sprecher 1

00: Insofern ist das ja auch klar und ich denke, dass man zu dem Zeitpunkt auch keine andere Möglichkeit hatte. Es war die erste drastische Maßnahme, die getroffen werden musste. Also hilft es nicht, über die Vergangenheit nachzudenken. Aber über die Zukunft. Nehmen wir mal an, wir wären noch mal vor einer solchen Situation. Dann sollten wir besser vorbereitet sein, uns über die Auswirkungen bewusst sein und schon direkt mit einem Plan die Schulschließungen begleiten, mit dem wir das Lernen zu Hause mit begleiten können.

00: 17:46:11 - 00:17:47:19

00: Sprecher 2

00: Wie könnte so ein Plan aussehen?

00: 17:48:13 - 00:18:15:15

00: Sprecher 1

00: Also da wären wir schon bei der möglichen Politikmaßnahmen, bildungspolitische Maßnahmen zum Beispiel, die getroffen werden können. Also, während der Pandemie war ja das Problem, dass meiner Meinung nach zu viel darüber debattiert wurde, ob Schulen wieder aufmachen könnten oder sollten oder was auch immer und viel weniger darüber, wie man eigentlich Schule und Bildung für alle ermöglichen kann, um vor allem diese Rückstände, von denen man wusste, dass die entstehen würden, aufzuholen.

00: 18:16:10 - 00:18:44:04

00: Sprecher 1

00: Jetzt gibt es vermehrt Initiativen, öffentliche wie auch private und Gelder auch, die zur Verfügung gestellt wurden. Zum Beispiel das Aufholpaket der Bundesregierung. Das ist ein wichtiger Schritt, dass erst mal Ressourcen da sind. Und, dass Ressourcen, die ohnehin gebraucht werden, nach der Finanzkrise und jetzt auch natürlich in den anderen Krisenzeiten, der wir uns befinden, wegen dem Krieg und den Situationen, die damit verbunden sind, dass nicht an der Bildung gespart wird.

00: 18:44:04 - 00:19:11:18

00: Sprecher 1

00: Das wäre zumindest ein erster Schritt, denn es ist wichtig, Ressourcen zu haben. Und diese Ressourcen sollte man dann vor allem auch benachteiligte Kinder und Jugendliche konzentrieren. Denn wir wissen mittlerweile, dort ist das größte Problem. Und insofern, wenn ich zum Beispiel als Entscheidungsträger 10 Eurohätte, dann würde ich diese 10 Euro alle in benachteiligte Kinder investieren, damit dort auch das Geld ankommt, wo es tatsächlich gebraucht wird.

00: 19:12:13 - 00:19:16:20

00: Sprecher 1

00: In diesem Sinne also wir können die Erfahrungen aus der Pandemie auch als Chance nutzen.

00: 19:17:04 - 00:19:23:03

00: Sprecher 2

00: Ist das denn der Fall mit diesem Paket, dass das gezielt in benachteiligte Kinder investiert wird? Das Geld?

00: 19:23:22 - 00:19:55:03

00: Sprecher 1

Das wird man sehen. Ich glaube, es ist noch zu früh. Aber es gibt verschiedene Evaluationen, an denen unter anderem auch wir arbeiten. Und das wird sich zeigen. Ich bin da zuversichtlich, dass viel auf Forscher: innen gehört wird, mittlerweile auch im Bereich der Bildung, sodass man da wahrscheinlich schon die Mittel so ausrichten kann, dass sie nützlich sind. Aber wie genau und was wir daraus lernen können, das werden wir erst in einiger Zeit wissen.

00: 19:55:08 - 00:20:23:11

00: Sprecher 1

00: Aber was wir auf jeden Fall können, ist, die Pandemie als Chance zu nutzen, um nachhaltig Bildungsgerechtigkeit zu fördern und Bildung auch außerhalb der Schule gerechter gestalten können. Also wir haben zum Beispiel viel gelernt jetzt, wie das mit digitalen Maßnahmen in der Bildung funktionieren kann. Und wir wissen aus der Forschung, dass man durch gewisse Maßnahmen, zum Beispiel eine, die Mentoring genannt wird, also gezielte Nachhilfe und Betreuungsprogramme.

00: 20:23:22 - 00:20:48:15

00: Sprecher 1

00: Und es hat sich gezeigt, dass man dadurch gute Ergebnisse erzielen kann. Und daran kann man anknüpfen. Vor allem im digitalen Zeitalter bilden sich da ganz interessante Möglichkeiten, denke ich. Denn diesen Schub durch die Corona-Pandemie, dieser Digitalisierungsschub, den Bildung bekommen hat, den können wir uns jetzt zunutze machen, um auch einen Zugang zu schaffen zu benachteiligten Familien.

00: 20:49:16 - 00:20:53:20

00: Sprecher 2

00: Hättest du ein Beispiel, wie man digital besser Bildung vermitteln kann?

00: 20:54:08 - 00:21:24:12

00: Sprecher 1

Also es gibt ein Beispiel, was ich persönlich sehr interessant finde: Dass auch unsere Forschungen gezeigt haben, nämlich dass benachteiligte Kinder teilweise nicht unbedingt einen Mangel haben an digitalen Endgeräten, zum Beispiel wie Handys und Tablets und Playstation und was auch immer, sondern sogar eigentlich zu viel Zeit überdurchschnittlich viel Zeit daran verbringen und vor allem auch während der Pandemie verbracht haben.

00: 21:24:23 - 00:21:48:00

00: Sprecher 1

00: Insofern was ich sehr interessant finde, sind zum Beispiel Lernprogramme, die durch Videospiele oder ähnliches stattfinden können. Es gibt zum Beispiel ein Beispiel von einem Spiel, was eine sogenannte Discovery Tour anbietet, wo man also das alte Griechenland oder Ägypten entdecken kann auf spielerische Art und Weise. In dem Ambiente sage ich mal des Spiels, was Kinder so gewöhnt sind und was die auch mögen.

00: 21:48:11 - 00:22:12:11

00: Sprecher 1

00: Insofern denke ich, das sind Möglichkeiten, die wir zum Beispiel verwenden können. Aber das nur als Beispiel, was ich damit meine, ist, dass Kreativität gefragt ist. Also es geht darum, einen Zugang zu Bildung zu schaffen. Und einen Zugang zu Bildung schaffen kann man nur, indem man die Kinder aus benachteiligten Familien direkt anspricht mit dem, was sie auch gewöhnt sind, womit man ihr Interesse erwecken kann.

00: 22:12:11 - 00:22:39:18

00: Sprecher 1

00: Und wenn man diesen Zugang zu Bildung schaffen kann, dann kann man, denke ich, auch Ereignisse vermeiden, wie zum Beispiel jetzt diese Silvesternacht in Berlin oder ähnliches. Ich denke, vieles hängt daran, dass ein Zugang zur Gesellschaft nicht da ist oder weniger da ist, als es sein könnte. Und das Bildungssystem ist ein Schlüssel dafür. Insofern ja, Kreativität ist gefragt und ich denke, wir können alle als Forscher und auch in der Politik unseren Teil dazu beitragen.

00: 22:40:14 - 00:22:45:24

00: Sprecher 2

00: Also du würdest sagen, es reicht nicht, dass die Schulen wieder aufhaben, sondern es muss sich grundsätzlich was ändern?

00: 22:46:10 - 00:23:21:02

00: Sprecher 1

00: Es muss sich grundsätzlich etwas ändern. Es ist kein Phänomen der Corona-Pandemie, dass es Bildungsungleichheit oder Differenzen im Bildungssystem gibt, wo benachteiligte Schüler oder Schüler aus benachteiligten Familien zurückbleiben. Das ist nichts, was wir jetzt gelernt haben. Das war schon immer eine Charakteristik des Schulsystems vieler Länder. Und da gibt es noch viel zu tun und jetzt wäre mal wieder Anlass dafür gegeben, jetzt, wo auch das Thema wieder in der öffentlichen Debatte aufgetaucht ist.

00: 23:21:10 - 00:23:26:11

00: Sprecher 2

00: Wenn jetzt für einen Tag das Bildungsministerium übernehmen würdest, was wären dann da deine Prioritäten?

00: 23:27:22 - 00:24:10:14

00: Sprecher 1

00: Wie ich schon sagte, erst mal mit einer klaren Analyse zu verstehen, wer genau die Schülerinnen und Schüler, die Familien sind, die tatsächlich Unterstützung brauchen, was für gewisse Charakteristiken sie haben. Und nach dieser Analyse, die ist ja zum Teil schon gibt, da weiß man ja schon relativ viel. Aber nachdem man sich das im Detail angeschaut hat, kann man dann tatsächlich sich anschauen, welche Erneuerung des Bildungssystems für diese Familien einen Zugang schaffen kann, wie zum Beispiel im Fall der Videospiele.

00: 24:10:20 - 00:24:37:08

00: Sprecher 1

00: Und sobald man dann diese Informationen zusammengetragen hat, dann sind natürlich die Maßnahmen, die es auch schon gibt, seit vielen Jahren, wie zum Beispiel was wir eben angesprochen haben, Mentoring, Tutorials usw. Sobald man weiß, wen man damit adressieren kann, sind das mögliche Maßnahmen, die man dann auch flächendeckend für diese Personen dann sich engagieren könnte, damit diese bei diesen Leuten auch ankommen.

00: 24:38:19 - 00:24:47:14

00: Sprecher 2

00: Jetzt bist du natürlich nicht Politiker, sondern Forscher. Du hast ja schon vorhin gesagt, was du in deiner Forschung machst. Gibt es etwas, was jetzt konkret ansteht für dich?

00: 24:48:20 - 00:25:32:03

00: Sprecher 1

00: Ja, die Themen natürlich weiterzubringen, um die wir uns in den letzten Jahren gekümmert haben. Das heißt also, wie stark Chancengleichheit unter der Pandemie gelitten hat. Das weiter zu untersuchen, wie stark diese Gaps, diese Unterschiede, tatsächlich ausfallen und dann rauszufinden, mit welchen Charakteristiken das vor allem zusammenhängt, um dann den Politikern sagen zu können, da sollte man vor allem Ressourcen darauf konzentrieren und auch unter den Maßnahmen, die zurzeit auch getroffen wurden, da versuchen zu analysieren, welche die sind, die die stärkste Wirkung hatten, um für benachteiligte Kinder einen Zugang zu schaffen.

00: 25:33:17 - 00:25:38:13

00: Sprecher 2

00: Dann wünsche ich dir auf jeden Fall noch viel Erfolg bei deiner Forschung. Vielen Dank Guido für das Gespräch.

00: 25:38:13 - 00:25:41:11

00: Sprecher 1

00: Dankeschön. Dir vielen Dank, Carola. Das hat sehr viel Spaß gemacht.

00: 25:42:06 - 00:26:11:19

00: Sprecher 2

00: Danke auch fürs Zuhören beim ZEW-Podcast. Wenn euch der Podcast gefällt, freuen wir uns über eure positive Bewertung auf Spotify oder Apple Podcasts. Habt ihr Fragen oder Anmerkungen? Dann schreibt gerne eine Mail an podcast@zew.de. Wir sind gespannt auf eure Zuschriften.

00: Wirtschaft, Forschung, Debatten. Ein ZEW-Podcast.

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Der Podcast des ZEW Mannheim.

von und mit ZEW – Leibniz-Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung

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