Wirtschaft · Forschung · Debatten

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00: Da sehen wir auch Hinweise, dass die notwendigen und die auch richtigen Hilfen zu einem gewissen Grad zu einer “Zombification” der Wirtschaft beitragen können. Denn es werden auch solche Unternehmen gerettet, die sogar in wirtschaftlich starken Zeiten eigentlich Insolvenz hätten anmelden müssen.

00: 00:22:

00: Wirtschaft, Forschung, Debatten. Ein ZEW-Podcast.

00: Insolvenz anzumelden ist für Unternehmen ein schwerer Schritt. Eine Insolvenz bedeutet tiefe Einschnitte und nicht selten auch das Ende des Unternehmens. Besonders viele Insolvenzen ereignen sich normalerweise während Krisen, zum Beispiel in Folge der Finanzkrise Ende der Nullerjahre. In der Coronakrise war das aber anders. Im Vergleich zu guten Zeiten haben sogar weniger Unternehmen Insolvenz angemeldet. Mein Name ist Carola Hesch und in dieser Folge des ZEW-Podcast geht es unter anderem darum, welche Unternehmen während Corona keine Insolvenz angemeldet haben und warum das so war.

00: Zu Gast ist dazu Simona Murmann. Sie ist Innovationsökonomin und forscht zu Unternehmensschließungen. Wir sprechen darüber, warum es überhaupt ein Insolvenzsystem gibt und was das Problem bei sogenannten Zombiefirmen ist. Außerdem blicken wir darauf, wie sich die aktuelle Energiekrise auf die Insolvenzen auswirken könnte. Herzlich willkommen zum ZEW-Podcast. Hallo Simona.

00: 01:24:

00: Hallo Carola.

00: 01:26:

00: Schön, dass du da bist. Verrätst du mir, was heute noch auf deiner To-do-Liste steht?

00: 01:30:

00: Ich werde heute noch weiter an dem Projekt arbeiten, bei dem wir mithilfe von Webscraping schneller und detailliertere Insolvenzinformationen erhalten.

00: 01:42:

Über das Projekt sprechen wir später auch noch. Aber jetzt sind wir schon gleich im Thema: Insolvenzen. Fangen wir mal bei den Grundlagen an. Was sind denn die Gründe, warum Unternehmen überhaupt Insolvenz anmelden?

00: 01:52:

00: Prinzipiell ist der wichtigste Grund die Zahlungsunfähigkeit. Wenn Unternehmen innerhalb von drei Wochen nicht in der Lage sind, 90% ihrer fälligen Schulden oder ihrer aktuellen Verpflichtungen zu bezahlen, dann spricht man von Zahlungsunfähigkeit. Und dann sind die Unternehmen auch verpflichtet, einen Insolvenzantrag zu stellen. Außerdem gibt es noch die Insolvenzgründe der Überschuldung oder auch der drohenden Zahlungsunfähigkeit. Da kann auch angemeldet werden, aber in der Masse ist es eigentlich in der Regel die konkrete Zahlungsunfähigkeit.

00: 02:24:

00: Du hast gerade gesagt, die Unternehmen sind verpflichtet. Warum ist das so in Deutschland?

00: 02:28:

00: Man muss sich klar machen, dass hinter jedem insolventen Unternehmen in der Regel eine Gruppe, also eine Vielzahl von Gläubigern steht, die dem Unternehmen Geld geliehen hat, beispielsweise einen Kredit, wenn man an die Banken denkt, oder aber auch Handelspartner, die in Vorleistung an das Unternehmen getreten sind. Und wenn da eben die Zahlungsunfähigkeit eintritt und beispielsweise ein einzelner dieser Gläubiger Druck auf das Unternehmen ausüben würde, diesen seinen spezifischen Verpflichtungen nachzukommen, dann wäre das ja zum Nachteil der anderen aus dieser Gruppe. Und das könnte auch dann insgesamt zu so einer Abwärtsspirale für das Unternehmen führen. Und deshalb besteht die Pflicht, dann auch den Insolvenzantrag zu stellen. Denn das Ziel unseres Insolvenzsystems ist die gemeinschaftliche Befriedigung aller Gläubiger. In der Regel sind nicht mehr alle Forderungen durch das insolvente Unternehmen zu erfüllen, aber anteilig sollen alle Insolvenzgläubiger gleich befriedigt werden.

00: 03:32:

00: Jetzt gab es ja auch noch einige Ergänzungen zu dem Insolvenzrecht. Heißt das, es gibt auch noch andere Ziele?

00: 03:39:

Genau. Neben dem großen Ziel der Gläubigerbefriedigung ist es auch, wenn das Unternehmen eine Chance hat, reorganisiert zu werden, dann ist es auch ein Ziel des Insolvenzrechts, dass man das ermöglicht. Der Fokus ist besonders seit 1999 gestärkt worden durch verschiedene Instrumente, beispielsweise durch das Insolvenzplanverfahren, durch die Möglichkeit, in Eigenverwaltung eine Reorganisation durchzuführen. Und 2021 auch noch mal, da wurde das StaRUG initiiert. Das ist das Gesetz zum Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen. Das hört sich sehr kompliziert an, aber was es eigentlich ist, ist, dass es so eine Art Vorinsolvenzverfahren geben kann. Das heißt, außerhalb des normalen Verfahrens kann ein Unternehmen anzeigen, dass es Restrukturierungsbedarf hat und auch einen Plan ausgearbeitet hat und kann da auch mit einer kleineren Gruppe, also nicht mit der Gesamtheit aller Gläubiger, einen Plan erarbeiten. Aber man muss sagen, zu all den neueren Instrumenten, die ich genannt habe, die sind eher Randphänomene geblieben. Ein Beispiel: das StaRUG-Verfahren. Da gab es im ersten Jahr nur 22 Verfahren und das ist also eher ein Randphänomen. Die Regel ist, dass Unternehmen in ein Regelinsolvenzverfahren gehen, bei denen in den allermeisten Fällen ein Insolvenzverwalter vom Gericht eingesetzt wird, der sich dann erst mal einen Überblick verschafft, welche Werte gibt es in dem Unternehmen, welche physischen Werte aber auch? Inwiefern ist das Geschäftsmodell vielleicht doch noch tragbar und man findet vielleicht einen Käufer für das Unternehmen oder auch für Teile des Unternehmens. Da spricht man dann auch häufig von der übertragenen Sanierung. Aber in einigen Fällen ist es auch so, dass eine Fortführung des Unternehmens nicht möglich ist und dass eben eine Liquidierung dann stattfindet und mit den Erlösen, die werden dann, wie gesagt, anteilig auf die Gläubiger verteilt.

00: 05:49:

Jetzt hast du gerade gesagt, das waren 22 Fälle mit diesem StaRUG. Hast du vielleicht zum Vergleich: Wie viele normale Insolvenzen gibt es so pro Jahr?

00: 05:57:

Beispielsweise hatten wir im Jahr 2020 12.900 Insolvenzen, im Vorjahr 15.400 Insolvenzen. Das heißt, es ist wirklich nur ein Mini-Mini-Mini-Anteil. Und zu der Eigenverwaltung: Das sind so 2-3% aller eröffneten Verfahren, also auch das eher ein Randphänomen, Sonderphänomen.

00: 06:19:

00: Jetzt hast du ja gerade schon erklärt, dass es gute Gründe für dieses Insolvenzsystem gibt. Trotzdem ist so eine Insolvenz für die Unternehmerin oder den Unternehmer ja auch mit einem Stigma verbunden.

00: 06:29:

00: Also es ist zunächst mal so, dass Insolvenzen öffentlich bekannt gemacht werden müssen. Also spätestens bei der Eröffnung oder auch der Abweisung durch das Gericht wird öffentlich bekannt gemacht, welche Firma und auch welche Geschäftsführer von der Insolvenz betroffen sind. Und das heißt, das gesamte wirtschaftliche und eventuell das gesamte private Umfeld erfährt von diesem Insolvenzfall. Und es kann natürlich auch im privaten Bereich dann Konsequenzen haben. Denn beispielsweise auch Immobilienkredite werden dann natürlich nicht mehr an die akut insolvente Person vergeben. Und man muss sich vor Augen halten, dass bei Unternehmern und Unternehmerinnen ja auch häufig private Werte mit ins Unternehmen eingebracht werden. Also selbst bei Rechtsformen, die in ihrem Namen den Begriff beschränkter Haftung, also die GmbH haben, ist es ja so, dass die Banken in aller Regel Sicherheiten haben wollen, wenn sie einen Kredit ausgeben. Und in vielen Fällen ist es beispielsweise die private Immobilie, und die wird dann auch im Rahmen der Insolvenz verwertet, also die Verwertung des Privatvermögens findet dann in der Insolvenz statt. Und das ist natürlich ein einschneidendes Erlebnis, was man in aller Regel auch vermeiden möchte.

00: 07:53:

00: Stichwort “vermeiden”. Du hast ja geforscht zu den Insolvenzzahlen während der Coronakrise und erstaunlicherweise festgestellt, dass da auch gar nicht so viele Insolvenzen angemeldet wurden, wie man hätte erwarten können. Was war da los?

00: 08:07:

00: Genau. Also es war für die gesamte Öffentlichkeit wirklich ein Paradox. Wir haben eine schwere wirtschaftliche Krise, die große Teile der Wirtschaft massiv getroffen hat. Und dann sehen wir einen Rückgang der Insolvenzzahlen. Es gab zwei Gründe, mit denen wir dieses Phänomen erklären. Einmal gab es die Aussetzung der Insolvenzantragspflicht, das heißt, Unternehmen mussten nicht mehr unmittelbar einen Antrag stellen. Und außerdem gab es natürlich auch massive staatliche Hilfen. Der Gesetzgeber wollte natürlich zukunftsfähige Unternehmen, die einfach durch diese Coronakrise ganz akut in Schwierigkeiten geraten sind, nicht dazu zwingen, Insolvenz anzumelden, obwohl vielleicht mit den dann kommenden Hilfen einfach auch eine Fortführung möglich ist. Aber es ist natürlich schon paradox, dass die Zahl der Insolvenzen sogar unter das Niveau gesunken ist aus sonst wirtschaftlich starken Jahren. Und da haben wir uns natürlich schon gefragt, wie kommt das? Und dann haben wir analysiert, welche Zahl von Insolvenzen man hätte erwarten können, wenn man die gleichen Maßstäbe angelegt hätte wie in den wirtschaftlich guten Jahren für die Insolvenzanmeldungen. Da haben wir geschätzt, dass ungefähr 25.000 Unternehmen eigentlich Insolvenz anmelden hätten müssen, aber eben durch das Moratorium und auch durch die Hilfen davor geschützt wurden.

00: 09:37:

00: Wie habt ihr das geschätzt?

00: 09:39:

00: Wir haben uns die Verschlechterung des Bonitätsratings angeschaut. Das Bonitätsrating ist Teil des Mannheimer Unternehmenspanels und das sind Daten, die wir auf Basis der Daten von Creditreform jährlich aufbereiten. Und da können wir auch die Veränderungen betrachten. Da sah man eben bei vielen Unternehmen einen starken Abfall des Bonitätsratings. Wenn wir das verglichen haben mit den Konsequenzen, die das vor der Krise gehabt hätte, dann sehen wir, dass diese Unternehmen nicht Insolvenz angemeldet haben und besonders stark war dieses Phänomen ausgeprägt bei kleinen Unternehmen und bei solchen, die schon vor der Krise schwach waren. Also da sehen wir auch Hinweise, dass die notwendigen und die auch richtigen Hilfen zu einem gewissen Grad zu einer “Zombification” der Wirtschaft beitragen können. Denn es werden auch solche Unternehmen gerettet, die sogar in wirtschaftlich starken Zeiten eigentlich Insolvenz hätten anmelden müssen.

00: 10:41:

00: Und was ist das Problem mit diesen sogenannten Zombiefirmen?

00: 10:45:

00: Es ist so, dass dadurch ja die Ressourcen, die in diesen Unternehmen gebunden sind, also zum Beispiel Mitarbeiter, aber auch Kredite, stecken dann erstmal fest sozusagen in den Unternehmen und stehen eben nicht anderen Unternehmen, die, die diese Ressourcen vielleicht effizienter nutzen könnten, zur Verfügung. Und insofern ist es schon auch ein Hemmnis für wirtschaftliches Wachstum und für Produktivitätswachstum, wenn der Anteil dieser zombiefizierten Firmen in einer Volkswirtschaft so groß wird. Aber man muss auch ganz klar sagen, dass die Politik ja vor einer sehr starken und auch schnell eintretenden Krise stand und man da Instrumente entwickelt hat, um den notleidenden Firmen zu helfen - und das ist ja auch richtig und wichtig. Und da hat man natürlich immer so einen Trade-off zwischen, wie breit mache ich die Förderung und riskiere dadurch auch vielleicht Unternehmen zu fördern, die eigentlich nicht förderungswürdig sind, versus, ich verenge meinen Förderungsradius, aber treffe dann vielleicht auch nicht Unternehmen, die es vielleicht verdient hätten. Und ich finde, da muss man auch sagen, dass es eben ein sehr schwieriges Unterfangen ist. Das muss man einfach bei dieser Fragestellung auch berücksichtigen.

00: 12:04:

00: Also du meinst, es war eine schwierige Frage, vor der die Bundesregierung da stand.

00: 12:10:

00: Auf jeden Fall, auf jeden Fall, denn es hat ja einfach einen großen Teil der Volkswirtschaft betroffen. Also besonders, wenn wir an den Handel denken, auch an die konsumnahen Dienstleistungen. Das war ja wirklich ein rapider Einbruch der Geschäftstätigkeit. Aber auch in den produzierenden Gewerben hatten wir ja einfach Unterbrechungen der Handelsketten, also dass Vorleistungen auf einmal nicht mehr geliefert wurden und dass deshalb die Produktion ins Stocken geraten ist. Und da ist es immer schwer, wenn man sich allein die schiere Masse der notleidenden Unternehmen anschaut, Screening-Prozesse einzubauen, die wirklich definitiv sicherstellen, dass nur Unternehmen Hilfen erhalten, die auch in einem guten Zustand sind. Also das muss man einfach sagen, das ist von der Kapazität her, auch von der Kapazität des Verwaltungsapparates, einfach eine enorme Aufgabe, die man sich da auch wirklich vor Augen halten muss, bevor man da vorschnell sozusagen urteilt.

00: 13:13:

00: Jetzt haben wir über die Insolvenzen gesprochen, aber nicht jede Unternehmensschließung ist ja die Folge einer Insolvenz. Wir hatten es schon davon, dass das mit einem Stigma verbunden ist. Wie sieht denn das Verhältnis von Insolvenzen zu freiwilligen Schließungen während der Krise aus?

00: 13:28:

00: Fangen wir vielleicht mal an mit den normalen, wirtschaftlich starken Zeiten. Da sehen wir in unseren Daten, dass zwischen 9% und 18% der Schließungen Insolvenzen sind. Der andere Großteil sind sogenannte freiwillige Schließungen. Das ist eine ganz heterogene Gruppe. Da gibt es Schließungen aufgrund von Krankheit, aufgrund von persönlichen Situationen, aber auch natürlich Schließungen unter wirtschaftlichem Druck. Also wenn die Unternehmer und Unternehmerinnen feststellen, dass die Gewinne und die Einkommen, die generiert werden können aus der Selbstständigkeit nicht den Erwartungen entspricht oder auch einfach am Markt in einem abhängigen Beschäftigungsverhältnis bessere Einkünfte erzielt werden können und sozusagen, bevor es überhaupt zu einer Insolvenz kommt, eben dann eine Schließung und eine Abwicklung kommt. Und da sehen wir, dass das zahlenmäßig der weit größere Anteil aller Schließungen ist. Und wir hatten zunächst, als wir gesehen haben, dass die Insolvenzen so abfallen, die Vermutung, dass es so sein könnte, dass es mehr freiwillige Schließungen gibt, dass es sozusagen eine Verlagerung von der Insolvenz in die freiwillige Schließung gibt. Aber da konnten wir jetzt sehen, dass das nicht der Fall ist, sondern dass wir auch da einen leichten Rückgang der Zahlen beobachten können. Und dieser Rückgang, der ist insbesondere in den Branchen Handel und konsumnahe Dienstleistungen, also genau die Branchen, die von Corona stark betroffen waren. Und auch da zeigt sich wieder ein ähnliches Bild wie bei dem Insolvenzparadox, dass anscheinend die Hilfen, die gewährt wurden, dazu geführt haben, dass einige Unternehmen, die in normalen Zeiten eine freiwillige Schließung gehabt hätten, es eben nicht hatten.

00: 15:15:

Und es war aber jetzt auch nicht so, dass Unternehmen, die sonst hätten Insolvenz anmelden müssen, gesagt haben: Ach, dann machen wir vielleicht einfach freiwillig dicht?

00: 15:23:

00: Das lässt sich im Einzelfall ein bisschen schwer sagen. Aber wenn das so gewesen wäre, hätten wir ja vielleicht sogar einen kleinen Anstieg sehen können. Das sehen wir zumindest nicht. Aber dass da eventuell ein paar dabei sind, die Insolvenz hätten anmelden müssen und dann den Weg der freiwilligen Schließung gegangen sind, das können wir auch nicht ausschließen.

00: 15:42:

00: So, jetzt haben wir inzwischen die Coronakrise ja vielleicht so einigermaßen durchgestanden, aber wir befinden uns schon in der nächsten Krise. Die Inflation ist gerade sehr hoch und vor allem Energie ist ja knapp. Könnte uns jetzt die nächste Welle an Insolvenzen oder überhaupt mal eine Welle an Insolvenzen drohen?

00: 15:59:

00: Ja, also definitiv ist das eine Sorge, die viele bewegt. Die Inflation, die trifft ja so gut wie jedes Unternehmen. Also Input-Faktoren werden teurer. Am Ende führt es dann oft auch zu einer Verteuerung der Endprodukte. Dann ist immer die Frage, wie ist die Situation am Wettbewerb? Kann ich die gestiegenen Kosten, die ich habe, weitergeben an den Konsumenten? Ob das jetzt private Konsumenten sind oder aber auch Firmen, denen ich Produkte verkaufe, das ist immer die Frage. Und dann ist auch die Frage, werden jetzt Konsumenten ihre Konsumentscheidungen verändern, dass beispielsweise eher Grundprodukte gekauft werden, die einfach notwendig sind zum alltäglichen Leben, andere Konsumentscheidungen vertagt werden. Auch das könnte die Unternehmen treffen und in gewisser Weise war das ja für die Unternehmen einfach auch ein exogener Schock wie die Coronakrise, also die Energiewende bzw. die Notwendigkeit sich umzustellen und auch Innovationen zu betreiben, um weniger Energie zu verbrauchen. Das war den Unternehmen ja klar, aber der Zeithorizont hat sich halt verändert. Dass diese Transformationsprozesse jetzt so schnell ablaufen müssen, war nicht vorgesehen. Und da ist jetzt schon die Frage, wie viele Unternehmen bringt es an den Rand der oder in die Insolvenz? Wir sehen leichte Anstiege schon in den Insolvenzzahlen. Es wurden jetzt aber auch von der Politik Hilfen initiiert, um eben einen starken Anstieg der Insolvenzzahlen zu vermeiden. Da ist insbesondere die Gaspreisbremse, die ja für Verbraucher, aber eben auch für Unternehmen Entlastung schaffen wird, initiiert worden. Aber wir reden ja auch oft mit Unternehmen und die sagen ganz klar, dass es teilweise Produkte gibt, die wegen einer hohen Gasintensität nicht mehr in Deutschland produziert werden - das sind besonders Basisprodukte im Moment – und die dann eben im Weltmarkt zu einem günstigeren Preis eingekauft werden. Und ja, das ist einfach eine Realität. Jetzt ist die Frage, wie wird die Entwicklung sein? Also es gibt bisher keine Aussetzung der Insolvenzantragspflicht, also kein Insolvenzmoratorium. Aber ich denke, wenn die Zahlen jetzt ansteigen, dann ist es nicht auszuschließen, dass die Politik noch mal dieses Instrument wählt. Denn man möchte einfach vermeiden, dass Unternehmen, die eigentlich ein tragfähiges Geschäftsmodell haben, Insolvenz anmelden müssen, aufgrund dieser doch unverschuldeten Krise. Und man muss sich auch vor Augen halten, wenn es zu Insolvenzen kommt und dann zu gehäuften Insolvenzen kommt, kann es auch zu Kettenreaktionen kommen. Denn wie gesagt, hinter jedem Schuldner, hinter jedem Unternehmen stehen ja Gläubiger. Und wenn es dann da massive Ausfälle gibt auf der Gläubigerseite, ist das ja wieder das potenziell nächste insolvente Unternehmen. Und um da diese Dominoeffekte eben zu vermeiden, ist eben ein Instrument auch das Insolvenzmoratorium, wenn die Zahlen jetzt stark steigen.

00: 19:13:

00: Könnte dann wieder so ein Insolvenzparadoxon auftreten wie während Corona?

00: 19:18:

00: Ja, es kommt natürlich immer auf den Umfang der Hilfen an, also wenn es so ist, dass so ein Moratorium von massiven Hilfen begleitet wird, kann das durchaus der Fall sein.

00: 19:31:

00: Und kann die Politik vielleicht was lernen aus der letzten Krise?

00: 19:38:

00: Also ich denke, was man sagen kann, ist, wenn die Zeit dafür da ist und wenn die Abläufe nicht zu kompliziert sind, auch in der Verwaltung, ist es natürlich immer sinnvoll, einen Screening-Mechanismus zu haben, der evaluiert, wie gesund ist das Unternehmen? Also wie gut geht es dem Unternehmen? Und dass da stark notleidende Unternehmen nicht hilfeberechtigt sein sollten, wenn diese bereits vor der Krise in diesem schwachen Zustand waren. Genau. Wenn es in diese Unternehmen reingeht, wenn da die Hilfen ankommen, führt das eben zu dieser “Zombification”. Aber wie gesagt, das ist durchaus auch schwierig.

00: 20:22:

00: Wobei ihr ja auch zumindest im Nachhinein das bewerten konntet.

00: 20:29:

00: Genau, diese Abschätzung, die wir gemacht haben und auch diese Identifikation, dass eben besonders die von vor der Krise schwachen Unternehmen es waren, die dann auch den starken Abfall der Bonität und dieses Nichteintreten in die Insolvenz hatten, das konnten wir in der Studie zeigen.

00: 20:52:

00: Und wäre das etwas, was man auch wider erwarten könnte, dass genau diese Art von Unternehmen eventuell jetzt -

00: 20:59:

00: In gewisser Weise könnte man sagen, dass es natürlich ist, denn Unternehmen, die notleidend sind, haben natürlich auch weniger Rücklagen und Rücklagen helfen natürlich, eine akute Krise zu bewältigen. Da kann man von zehren und insofern ist es, denke ich, ein Zusammenhang, der eigentlich für jede Krise erwartbar ist.

00: 21:22

00: Damit man politisch reagieren kann, braucht man ja auch überhaupt Daten zu Insolvenzen. Und du hast vorhin schon angesprochen, dass ihr gerade an einem Webscraping-Projekt arbeitet. Was macht ihr da genau?

00: 21:39:

00: Also es ist so, dass wenn ein Insolvenzantrag kommt, ist er erst mal nicht veröffentlichungspflichtig. Der wird dann bei Gericht verarbeitet sozusagen und nur die Eröffnung ist dann veröffentlichungspflichtig. Aber das dauert schon so 2 bis 3 Monate. Und in der amtlichen Statistik, vom Statistischen Bundesamt dauert es noch mal so 2 bis 3 Monate, bis diese Eröffnung dann aktenkundig oder öffentlich wird. Und unser Ziel ist es, in dem Projekt zeitnähere Insolvenzinformationen für die Politik und für die gesamte Öffentlichkeit bereitzustellen. Und zwar machen wir da Webscraping von den offiziellen Insolvenzbekanntmachungen und wir nehmen diese Daten und verknüpfen die über den Handelsregistereintrag, aber auch mit den Namen und Geburtsdaten der Unternehmer und Unternehmerinnen mit unseren Daten. Und dann können wir immer so am Zehnten des Monats, das ist unser Ziel, eine detaillierte Strukturanalyse der Insolvenzen vorlegen. Was heißt das? Wir können sagen, wie alt waren die Unternehmen, die Insolvenz angemeldet haben? Welche Branchen waren das? Auch regional, welche Bundesländer, welche Städte waren besonders betroffen? Und somit kann das auch eine Entscheidungsgrundlage sein, wenn es darum geht, wie müssen denn Hilfen für Unternehmen ausgestaltet werden und was wir auch vorhaben ist, dass wir die Branchen einteilen in besonders energieintensive Branchen.

00: 23:20:

00: Und dann kann man sich auch anschauen, wie ist denn eigentlich die Insolvenzentwicklung bei besonders energieintensiven Branchen? Um da auch möglichst schnell dann reagieren zu können, wenn wir sehen, da steigen Insolvenzzahlen jetzt massiv an, das wäre dann ein Indikator, dass die bisherigen Hilfen noch nicht ausreichen.

00: 23:38:

00: Wäre ja für die aktuelle Krise sehr hilfreich.

00: 23:40:

00: Genau. Genau. Man muss aber auch sagen, das hört sich jetzt relativ einfach an, wenn man das so erzählt. Es ist aber tatsächlich technisch relativ komplex, denn wenn wir beispielsweise die Namen der Unternehmer und Unternehmerinnen mit unseren Daten verknüpfen, da kann natürlich dann ein kleiner Rechtschreibfehler schon Schwierigkeiten bereiten. Und überhaupt, die Information, wie beispielsweise das Geburtsdatum aus den Texten zu ziehen ist, ist natürlich ja auch eine Arbeit, die wir bewerkstelligen.

00: 24:14:

00: Kannst du noch mal kurz erklären, was Webscraping genau macht?

00: 24:17:

00: Also Webscraping heißt, dass man auf eine strukturierte Art und Weise Informationen von Webseiten herunterzieht, herunterlädt und diese Daten dann nach seinen Vorstellungen nutzt. Also in unserem Fall ziehen wir den Namen des insolventen Unternehmens runter. Oder wenn das Personengesellschaften sind, auch die Unternehmer und Unternehmerinnen, die betreffenden natürlichen Personen und die Geburtsdaten und den Sitz des Unternehmens. Und diese Daten erlauben es uns, eine Zusammenführung mit dem Mannheimer Unternehmenspanel vorzunehmen. Das hatte ich ja schon mal erwähnt, diesen Datensatz, den erstellen wir in Kooperation und auf Basis der Daten von Creditreform, und der umfasst ja so ziemlich das ganze Universum der deutschen Firmen. Das sind jedes Jahr so zwischen 3 bis 3,2 Millionen Unternehmen. Und das ist die Grundlage für ganz viele Analysen, die hier auch am ZEW durchgeführt werden.

00: 25:26:

00: Und diesen Datensatz, den verwaltet und pflegt ihr hier auch im ZEW?

00: 25:30:

00: Genau, dieser Datensatz wird in der Abteilung Innovationsökonomik und Unternehmensdynamik gepflegt. Aber ganz viele Forscher nutzen den für ihre Analysen.

00: 25:43:

00: Und kannst du schon Aussagen zu den Ergebnissen, zum Beispiel Richtung energieintensive Unternehmen treffen?

00: 25:49:

00: Nein, das ist noch ein bisschen früh. Also ich hoffe, dass wir da zum Jahresanfang hin die ersten Ergebnisse haben.

00: 25:58:

00: Und die Hoffnung ist dann, dass politische Entscheidungsträgerinnen und Entscheidungsträger auf dieser Grundlage dann bessere und schnellere Entscheidungen treffen können?

00: 26:08:

00: Also ich denke auf jeden Fall, dass es im gesamten Puzzle aller Informationen, also aller wirtschaftspolitischen Daten und Analysen, ein Element ist, das auf jeden Fall einen Wert hat.

00: 26:21:

Ja, wenn wir jetzt gerade über die politische Perspektive sprechen: Stell dir mal vor, ich wäre eine Vertreterin des Wirtschaftsministeriums. Was würdest du mir empfehlen, um die Auswirkungen der gestiegenen Energiepreise abzufedern, ohne damit Zombiefirmen heranzuziehen?

00: 26:37:

00: Ich denke, wenn man sich die Ausgestaltung der Gaspreisbremse so anschaut, dann ist ja ein Element, dass eben nicht der gesamte historische Verbrauch subventioniert wird, sondern nur ein Anteil. Je nach Größe des Unternehmens variiert dieser Anteil. Und das ist ein Element, das ja zum einen ein Anreiz sein soll, weniger Energie zu verbrauchen, aber der natürlich auch in gewisser Weise ein Leistungsanreiz für die Unternehmen ist, indem man nicht einfach mit der Gießkanne drüber geht - jeder bekommt das, was er früher verbraucht hat -, sondern der den Unternehmen trotzdem noch etwas abverlangt und insofern auch der “Zombification” entgegenwirkt. Auch wenn das, denke ich, jetzt nicht das primäre Ziel dieser Ausgestaltung war. Ich denke, das primäre Ziel war, einen Anreiz zu geben, weniger Energie zu verbrauchen, aber trotzdem denke ich, dass das ein Nebeneffekt sein wird.

00: 27:34:

00: Also eine nützliche Maßnahme gibt es dann praktisch schon.

00: 27:39:

00: Also wir sagen, das ist ein Element der der Gaspreisbremse, das auf jeden Fall der “Zombification” entgegenwirkt, ja.

00: 27:47:

00: Vielen Dank, Simona, für das Gespräch.

00: 27:49:

00: Ich danke dir, Carola.

00: 27:50:

00: Danke auch fürs Zuhören beim ZEW-Podcast. Wenn euch der Podcast gefällt, freuen wir uns über eure positive Bewertung auf Spotify oder Apple Podcasts. Habt ihr Fragen oder Anmerkungen? Dann schreibt gerne eine Mail an podcast@zew.de Wir sind gespannt auf eure Zuschriften.

00: Wirtschaft, Forschung, Debatten. Ein ZEW-Podcast.

Über diesen Podcast

Der Podcast des ZEW Mannheim.

von und mit ZEW – Leibniz-Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung

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