Wirtschaft · Forschung · Debatten

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Transkript

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00: 00:00 In der letzten Folge `Kurz eingeordnet´ haben wir über das Klimageld und die Entlastung von zu hohen Energiepreisen gesprochen. Heute geht es in die andere Richtung. Die Kosten in der gesetzlichen Krankenversicherung steigen und steigen und das deutlich schneller als die Einnahmen. Das bringt nicht nur Krankenkassen in Bedrängnis, sondern auch die Versicherten, wenn die Bundesregierung jetzt nicht reagiert. Seit Montag zirkuliert ein Referentenentwurf aus dem Bundesgesundheitsministerium. Das ist also der Vorschlag von Gesundheitsminister Karl Lauterbach, um hier die Finanzierungslücke zu schließen.

00: Mein Name ist Dominic Egger und ich spreche heute mit dem Gesundheitsökonom Simon Reif über den Krankenkassenbeitrag und darüber, wie der Minister die Finanzierung der Krankenkassen auf feste Füße stellen will, ohne die Versicherungen zu stark zu belasten. Dabei erklärt uns Simon was genau in dem Reformpaket steckt und wo Karl Lauterbach wirklich ran müsste um die Krankenkassenfinanzierung zu reformieren. Außerdem erfahrt ihr, wie die Finanzierung der gesetzlichen Krankenversicherung überhaupt organisiert ist. Aufgenommen haben wir die Folge am Dienstag, den 5. Juli. Leider unter nicht ganz idealen Bedienungen, bitte entschuldigt also die nicht immer optimale Tonqualität.

00: 02:15 Musik

00: 02:24 Hallo Simon.

00: 02:25 Hallo Dominic.

00: 02:27 Wo erreiche ich dich denn grade? Du bist im Ausland unterwegs?

00: 02:30 Ich bin in Oslo, da treffen sich die europäischen Gesundheitsökonominnen und Gesundheitsökonomen zur Zweijährigen, alle 2 Jahre ist da eine Tagung. Das war jetzt länger nicht, aber um 18:00 Uhr ist Empfang bei der Bürgermeisterin von Oslo.

00: 02:45 Ja super, dass du dir Zeit nimmst. Ich habe gehört, du hast diesen Referentenentwurf auf der Reise durchgelesen und bist jetzt aktuell informiert. Also es steht im Raum der Krankenkassen-Zusatzbeitrag könnte stark steigen, wenn jetzt nicht reagiert wird. Warum steigen die Kosten so stark?

00: 03:05 Vielleicht erstmal das Thema. Also ich habe halt diesen Entwurf aus dem Gesundheitsministerium, der gestern, also Montag 4. Juli, am Nachmittag rumgegangen ist. Es gibt schon Gerüchte, dass der vielleicht auch wieder zurückgezogen wird. Also wer weiß, wie aktuell das ist, was wir hier besprechen, aber von den groben Linien wird das irgendwie so in die Richtung ausschauen. Ich meine, wir haben ein Grundproblem in unserer gesetzlichen Krankenversicherung, dass wir quasi einen steigenden Finanzbedarf haben, der nicht durch ebenso steigende Einnahmen gedeckt wird. Und jetzt muss man irgendwas machen, quasi der Default. Man könnte natürlich sagen, ja gut, dann müssen die Leute halt einfach mehr für ihre Krankenversicherung zahlen. Das wäre aber, insbesondere für niedrige Einkommensgruppen, dann halt schon eine sehr teure Angelegenheit. Und außerdem ist es vielleicht auch ökonomisch nicht der richtige Weg einfach nur, wenn die Kosten steigen, zu schauen, dass man mehr Geld hinbekommt. Sondern, man kann natürlich auch schauen, ob man irgendwie Ausgaben senken kann. Und was wir jetzt in dem Referentenentwurf sehen, ist so eine Mischung, ist ein Versuch an allen Ecken ein bisschen was zu drehen. Also einerseits die Einnahmen zu steigern, andererseits die Ausgaben zu senken.

00: 04:46 Karl Lauterbach hatte gesagt, er möchte die Lasten, diese Kosten, möchte er größer verteilen über die verschiedenen Akteure, die in das Gesundheitssystem einzahlen, also nicht nur die Beschäftigten, sondern auch die Arbeitgeber, die Pharmaindustrie und die Krankenkassen. Ist dieser Lastenausgleich aus deiner Sicht gelungen?

00: 05:06 Ja die Frage hier, ist eigentlich eine viel größere. Wie sollte eigentlich ein solidarisches Gesundheitssystem finanziert werden. Ich glaube, da bräuchte man irgendwie erstmal ein Ziel, damit man sagen kann, da geht der Reformvorschlag in die richtige Richtung. Und was man sieht, es gibt quasi, wir haben die Leute, die Geld einzahlen in die gesetzliche Krankenversicherung, in den Gesundheitsfond. Das sind quasi die Arbeitgeber und Arbeitnehmer, die werden jetzt höher belastet über den Zusatzbeitrag, der um 0,3 Prozentpunkte steigen soll. Und als zweite große Instanz, die Geld darein gibt, haben wir den Bund und der zahlt auch zwei Milliarden mehr, beziehungsweise eigentlich drei Milliarden, aber eine Milliarde ist irgendwie als Darlehen etikettiert, damit es wahrscheinlich nicht unter die Schuldenbremse fällt. Aber quasi so die beiden, die Geld reinbringen, bringen jetzt mehr Geld rein.

00: 05:56 Wenn wir jetzt erstmal bei der Einnahmenseite vielleicht bleiben, da ist ja ein Vorschlag, dass man eine Solidarabgabe macht für die Pharmaindustrie. Ist das aus deiner Sicht ein nachhaltiger und sinnvoller Vorschlag? Das ist ja jetzt erstmal für die nächsten 2 Jahre gedacht.

00: 06:00 Witzig, ich hätte das als Ausgabenseite tituliert, weil nämlich eigentlich, die Krankenkassen zahlen Geld an die Pharmaunternehmen, damit sie uns großartige Medikamente hinstellen. Und wenn die Pharmafirmen jetzt, ich glaube, das heißt Solidaritätsabgabe. Ich bin nicht ganz sicher, wie solidarisch die Abgabe ist, wenn man ein Gesetz dafür schreiben muss, damit man das macht. Aber naja. Auf jeden Fall, die Pharmafirmen müssen jetzt für die nächsten 2 Jahre jeweils eine Milliarde Euro zusammenbekommen und das dann in den Gesundheitsfonds reinbringen. Auf der anderen Seite zahlen wir natürlich viel Geld an die Pharmafirmen, das heißt eigentlich wir zahlen halt weniger. Das heißt, es wäre ein Weg unsere Arzneimittelausgaben zu senken. Weil du gefragt hast, wie sinnvoll oder nachhaltig das ist, ich würde sagen gar nicht. Also das kann ja nicht die Lösung sein, ein zukunftsfähiges System zu machen, dass man, wenn zwei Milliarden Euro fehlen, dann sagt, ok du zahlst jetzt zwei Milliarden Euro und dann in zwei Jahren verhandeln wir wieder. Also da sind die, jetzt bist du quasi auf die Ausgabenseite gesprungen, aber wenn wir bei den Pharmafirmen sind, da sind die Regelungen und Reformen, die angedacht sind, was die Arzneimittelpreise insgesamt anbelangt, haben mehr Potential langfristigen Einfluss zu haben.

00: 07:16 Das sind welche?

00: 07:17 Es geht im Endeffekt um verschiedene kleinere Sachen, die noch unkonkret sind. Ein Beispiel ist, in den Preisverhandlungen, je nachdem was der Zusatznutzen ist, den eine Firma für ihr neues Medikament nachweisen kann, kommen die in verschiedene Benefit-Gruppen und abhängig davon werden die Preise, die dann festgelegt werden in verschiedenen Grenzen eingeteilt. Also man weiß, wenn es sehr sehr hohen Zusatznutzen hat, dann kann die Firma dafür mehr Geld verlangen. Das soll restriktiver gehandhabt werden und es soll noch mehr quasi so eine Art Mengenrabatt geben oder auch wenn ganz wenige Leute ein Medikament brauchen, soll sich das natürlich trotzdem für die Firma lohnen. Und an diesen Schrauben will man drehen, um insgesamt die Ausgaben zu senken.

00: 07:53 Was ist sonst so im Bereich der Ausgaben geplant, wo du sagst, ja das ist ein großer Hebel und da kann man jetzt Kosten einsparen?

00: 08:03 Also ich glaube der größte Hebel ist das, was grade überhaupt noch nicht im Gesetz drinsteht. Das ist die große Krankenhausstrukturreform, die Karl Lauterbach angehen will, wo jetzt die Expert*innenkommission eingesetzt wurde, wo es quasi darum gehen soll, sowohl Krankenhausstruktur als auch Krankenhausvergütungssystem, vielleicht sogar komplett, zu reformieren. Und dadurch lässt sich natürlich sehr viel Geld sparen, aber das passiert natürlich nicht so schnell, dass man jetzt 2023 schon was davon merkt. Das heißt der Bereich ist weitgehend ausgeklammert. Wir haben eine Änderung, es gibt im Terminservice-Gesetz, also das was dazu geführt hat, dass uns allen erklärt wurde, wenn wir keinen Arzttermin bekommen, dann müssen wir die 116117 anrufen und dann sorgen die kassenärztlichen Vereinigungen dafür, dass wir einen Facharzttermin bekommen. Und bis jetzt gab es sowohl den Zwang, dass das auch angeboten wurde, aber es wurde auch extra vergütet. Also Ärzte und Ärztinnen hatten dann am Ende halt mehr Geld, wenn sie noch jemanden zusätzlich aufgenommen haben und dieses Extrageld soll jetzt wegfallen. Die sollen natürlich trotzdem weiter behandeln. Die spannende Frage ist, also Karl Lauterbach hat gesagt, das Leistungsniveau bleibt gleich. Und jetzt zahlen wir weniger Geld dafür, dass wir noch Arzttermine bei Fachärzten bekommen. Und wenn das bedeutet, dass das Leistungsniveau gleichbleibt, also sich nichts daran ändert, wie gut oder schlecht ich einen Arzttermin bekomme. Dann haben wir vorher Geld verschwendet. Wenn sich was ändert, dann war es eine gute Ausgabe. Wir wissen es nicht, weil nämlich irgendwie niemand Sachen evaluiert in diesem Gesundheitswesen.

00: 09:30 Das heißt, das wird erst ein paar Jahren dann die Aufgabe, unter anderem von Menschen hier sein, die dann zurückgucken und schauen, wie lief das. Aber das ist bisher auch noch nicht angedacht, dass vielleicht mit einzubauen. Bevor wir jetzt nochmal auf die Einnahmenseite zurückgehen, müssen vielleicht kurz mal über den Gesundheitsfonds sprechen oder generell die Struktur der Finanzierung, weil das nicht ganz so einfach ist. Das ist ja nicht so, dass ich als Mitglied einer Krankenkasse einfach nur Geld überweise und das wars dann und die bezahlen dann für mich die Rechnung, sondern da stecken ja noch mehr Schritte dazwischen. Bitte erklär uns das doch mal.

00: 09:49 Ja das ist das, was die Leute denken. Sie haben ihre Karte und das Geld läuft zur AOK und von der AOK dann an das Krankenhaus. Wir haben zwischengeschaltet, den sogenannten Gesundheitsfonds, deswegen wird auch immer darüber geredet, dass dem Gesundheitsfonds Geld fehlt. Das ist im Endeffekt ein großer Topf und alle Einnahmen aus den Beiträgen der gesetzlichen Krankenkassen laufen da rein und der Bund gibt auch ein bisschen Geld dazu. Und die Einnahmen oder alles Geld, was in diesem Topf drin ist, wird dann wiederum verteilt auf die Krankenkassen. Und zwar nicht abhängig davon, wieviel die jeweiligen Mitgliederinnen und Mitglieder eingezahlt haben, sondern in Abhängigkeit davon, wie krank oder im Fachausdruck, wie morbide die Versicherten sind. Das ist der sogenannte morbiditätsorientierte Risikostrukturausgleich und die Idee ist, dass dadurch eine Krankenkasse, die potenziell kränkere Versicherte hat, dann auch mehr Geld bekommt. Wird kein Anreiz gesetzt, dass man versucht, irgendwie Kranke aus einer Versicherung rauszubekommen, was wir sozial wahrscheinlich problematisch finden. Und um diese Reaktion zu verhindern, haben wir diesen Mechanismus, über den Gesundheitsfonds. Und grundsätzlich weiß man wie gut oder schlecht die Finanzen sind, wenn man schaut, was braucht denn der Gesundheitsfonds extrem.

00: 11:12 In den Gesundheitsfonds fließen der normale Beitrag rein, also von Beschäftigten, von den Arbeitgebern und außerdem dann der Bundeszuschuss aus Steuermitteln und dann habe ich zusätzlich aber noch diesen Zusatzbeitrag. Da gibt es eine moderate Erhöhung, hattest du schon gesagt, für diesen Zusatzbeitrag um 0,3 Prozentpunkte. Der Bund will auch noch seinen Zuschuss in den Gesundheitstopf aus Steuermitteln moderat erhöhen. Es gibt aber außerdem noch ein Darlehen. Das bringe ich nicht zusammen, warum einmal Zuschuss und einmal Darlehen?

00: 11:28 Der Grund dafür, dass es den Unterschied zwischen Zuschuss und Darlehen gibt, liegt nicht in der Gesundheitsökonomie. Also ich glaube, es geht da um die Schuldenbremse, da keine Probleme zu bekommen.

00: 11:39 Das heißt, das war innerhalb der Koalition eine politische Frage und das war dann der Kompromiss zwischen wahrscheinlich dem Finanzministerium und dem Gesundheitsministerium.

00: 11:48 Genau, ob das der Kompromiss war, werden wir sehen, je nachdem, ob dieser Entwurf in der Form auch ins Kabinett geht. Aber vielleicht war das erstmal der Kompromiss oder Kompromissvorschlag.

00: 12:00 Natürlich ja, das ist natürlich erst noch die Ressortabstimmung. Die letzte Frage, die ich habe, die Krankenkassen können ja jeweils auch Finanzreserven anlegen. Das war in der Vergangenheit anscheinend ein sehr hoher Beitrag. Das wurde schon mal abgeschmolzen und jetzt soll das auch nochmal angefasst werden, um da auch nochmal Mittel freizusetzen für den Gesundheitstopf. Ein kassenübergreifender Solidarausgleich steht in diesem Referentenentwurf, also ist das eine sinnvolle Maßnahme und was steckt da genau dahinter?

00: 12:12 Jens Spahn hat mal gesagt, das sind Krankenkassen und keine Sparkassen. Also von daher kann man sich natürlich schon fragen, wir haben ein umlagefinanziertes System, in dem quasi die Idee ist, es kommt Geld rein und das wird dann ausgegeben für unsere Gesundheitsleistungen. Auf der anderen Seite macht es natürlich Sinn, dass man, wie jeder Haushalt oder wie jede Firma überlegt mit seinem Geld zu wirtschaften und auch überlegt so ein bisschen Rücklagen zu bilden, falls halt mal was passiert oder falls man größere Investitionen macht. Und wir haben jetzt quasi, das ist jetzt der zweite Schritt, diese Rücklagen abzuschmelzen. Der erste war quasi während Corona, wie da Mehrausgaben angestanden sind. Ich würde sagen, das Problem ist nicht mal die Tatsache, dass man sagt, wir sollen weniger Rücklagen haben. Das Problem ist die Tatsache, dass man jetzt die Kassen bestraft, die Rücklagen geschaffen haben. Und inwieweit das solidarisch ist, wenn die einen halt sehr gut gehaushaltet haben oder sehr effizient waren, und die anderen nicht, dass man das, was die einen effizient erwirtschaftet haben, als Rücklage um vielleicht irgendwelche Versorgungsinnovationen auszuprobieren. Das jetzt einzuziehen ist glaub ich, anreiztechnisch schwierig und das kannst du halt auch nur einmal machen. Also meine Vermutung wäre zumindest, wir können jetzt nicht weiter mit den mit den Anforderungen an die Rücklagen runtergehen, weil irgendwie muss das Geld ja auch da sein, um unsere Gesundheitsversorgung zu finanzieren jeden Monat. Und von daher, das ist jetzt so ein Feuer löschen mit potenziell schlechten Anreizen.

00: 13:40 Danke Simon.

00: 13:43 Sehr gern, Tschüss.

00: 13:47 Danke für eure Rückmeldungen zur 1. Folge unseres neuen Formats `Kurz eingeordnet´. Eine Frage, die kam möchte ich gleich beantworten. Nein, nein, nein unserer Hauptangebot `Wissenschaft Forschung Debatten´ mit Carola Hasch bleibt natürlich erhalten. Jeden ersten Dienstag im Monat spricht sie mit ZEW-Wissenschaftler*innen über ein politikrelevantes Thema. Dieses Format hier ist eher als Beiboot gedacht, mit dem wir euch die ökonomische Sicht auf ganz aktuelle politische Debatten geben wollen. Unsere E-Mail-Adresse für Anregungen und Feedback: podcast@zew.de. Wir freuen uns über eure Mails.

Über diesen Podcast

Der Podcast des ZEW Mannheim.

von und mit ZEW – Leibniz-Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung

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